Hamburg. Die Notaufnahme schickt täglich mehr als 20 Patienten mit leichteren Beschwerden in die Notfallpraxis, am Wochenende auch mehr.

Der Fußboden ist mit dunkelbraunem Laminat ausgelegt, die Wände sind in hellem Grau gestrichen, auf den großzügigen Gängen verbreiten große Topfpflanzen eine angenehme Atmosphäre. Auf rund 300 Quadratmetern erstreckt sich die Notfallpraxis im Hamburger Stadtteil Harburg. Wer außerhalb der regulären Sprechstunden seines Hausarztes einen Allgemeinmediziner aufsuchen möchte, kann sich hier jeden Tag bis Mitternacht behandeln lassen. Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVHH) hat damit auf die überfüllten Notaufnahmen reagiert, mit denen bundesweit viele Kliniken zu kämpfen haben.

Friederike Lutz (l), Fachärztin für Allgemeinmedizin, untersucht eine Mann, der mit seiner Frau in die Notfallpraxis gekommen ist.
Friederike Lutz (l), Fachärztin für Allgemeinmedizin, untersucht eine Mann, der mit seiner Frau in die Notfallpraxis gekommen ist. © dpa | Markus Scholz

Doch wie viele der Patienten, die eine Notaufnahme besuchen, sind tatsächlich auch Notfälle? Laut einer Studie des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE), in der 1300 Patienten befragt wurden, stuften mehr als die Hälfte ihre Behandlung als nicht dringlich ein. „Individuelle Beweggründe wie Bequemlichkeitserwägungen, negative Erwartungen der Verfügbarkeit ambulanter Ärzte oder die Erwartung einer besseren Versorgung in der Notaufnahme als im ambulanten System spielten für viele Patienten eine wichtige Rolle“, fanden die Autoren heraus.

Herr Lopetoso ist am Samstag das erste Mal in der Notfallpraxis. „Ich bin hierher gekommen, weil mein Hausarzt zu hat“, sagt der 52-Jährige. Dieser habe ihn jedoch auf das Angebot der KVHH aufmerksam gemacht. In den beiden Behandlungszimmern kümmert sich an diesem Wochenende Friederike Lutz um die Patienten. Es sei ihre erste Schicht in der Notfallpraxis, sagt die Fachärztin für Allgemeinmedizin. Sie sei begeistert von dem Konzept. „Hier besteht die Möglichkeit, die Notaufnahmen zu entlasten. Zudem kann Patienten schnell geholfen und Wartezeiten entzerrt werden“, sagt die Medizinerin, die sonst in zwei anderen Praxen tätig ist.

Bis zu 80 Patienten am Wochenende in der Praxis

In den Stadtteilen Altona und Farmsen gibt es schon seit Jahrzehnten ein ähnliches Konzept. „An diesen Standorten wird das Angebot sehr gut angenommen, mit bis zu 300 Patienten pro Wochenendtag“, sagt Carmen Rehbock, Abteilungsleiterin der Notfallpraxis. „In Harburg hingegen muss es sich erst noch herumsprechen.“ Unter der Woche würden bislang pro Tag im Schnitt etwa dreißig bis vierzig Patienten versorgt, an den Wochenenden seien es täglich bis zu 80. Die häufigsten Beschwerden seien Infekte, kleinere allergische Reaktionen oder auch sonstige Symptome, mit denen man normalerweise zu seinem Hausarzt gehe.

„Auch Verbandswechsel sind ein Grund für den Besuch“, sagt Rehbock. Für die Patienten bietet die Notfallpraxis gegenüber einer Notaufnahme vor allem einen zeitlichen Vorteil. „Die Wartezeit ist hier viel geringer“, erklärt Rehbock. Im Durchschnitt liege sie bei gerade einmal einer halben Stunde.

Im Gegensatz zu den Praxen in Altona und Farmsen, in denen neben einem Allgemeinmediziner auch immer vier weitere Fachärzte aus den Bereichen Hals-Nasen-Ohren, Augenheilkunde, Orthopädie, Kinderheilkunde oder Chirurgie vor Ort seien, gebe es in Harburg lediglich eine hausärztliche Versorgung, erklärt Rehbock. Die Notfallpraxis im Süden der Stadt, die am 1. Oktober eröffnet wurde, sei jedoch ein Pilotprojekt. Sie ist an das Asklepios Klinikum Harburg angebunden. Dort werden laut Mathias Eberenz, Sprecher der Asklepios Kliniken, jährlich etwa 50 000 Patienten betreut.

„Der weitaus größte Teil dieser Patienten, die zu Fuß, mit dem Auto, dem Taxi, dem Rettungsdienst und sogar mit dem Helikopter kommen, sind echte Notfallpatienten“, berichtet er. Dennoch habe sich in den vergangenen Jahren der Anteil derer erhöht, „die im Grunde von Haus- und Fachärzten versorgt werden können und sollten“.

Sie kämen mit vergleichsweise leichten Beschwerden, die zum Teil schon Tage oder Wochen anhielten. „Deshalb begrüßen wir ausdrücklich die kürzlich direkt neben unserer Notaufnahme von der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg eingerichtete Notfallpraxis“, bekräftigt Eberenz. Seit der Inbetriebnahme schicke die Notaufnahme im Durchschnitt täglich mehr als zwanzig Patienten dorthin. Am Wochenende sei die Zahl sogar noch höher.

Notdienst der Kassenärztlichen Vereinigung ausgeweitet

Zusätzlich hat die KVHH das bisherige Notdienst-Konzept zum 1. Mai ausgeweitet. Der „Arztruf Hamburg“ ist unter der bundeseinheitlichen Telefonnummer 116 117 erreichbar und bietet Patienten nun zu jeder Tages- und Nachtzeit ambulante ärztliche Hilfe. In der Telefonzentrale vermittelt ausgebildetes, nicht-ärztliches Personal Beratungen durch einen Arzt, Hausbesuche durch einen fahrenden Notfalldienst und informiert über die Notfallpraxen.

Laut KVHH-Sprecher Jochen Kriens haben im Mai aus dem Angebot unter der Woche innerhalb von 24 Stunden durchschnittlich 222 Besuche und 66 telefonische Beratungen resultiert, an den Wochenenden innerhalb von 24 Stunden durchschnittlich 443 Besuche und 106 telefonische Beratungen. Derzeit laufe eine Werbekampagne, um den „Arztruf Hamburg“ bekannter zu machen.