Hamburg. Bei der öffentlichen Anhörung des Sonderausschusses in der St. Johanniskirche schlagen Emotionen hoch. Grote gibt sich selbstkritisch.
Die (St. Johannnis-)Kulturkirche Altona ist ein ungewöhnlicher Ort in Hamburg. Kirche und Veranstaltungszentrum für Kunst und Kultur zugleich – das verlangt allen Betei- ligten ein großes Maß an Toleranz ab. Wer gedacht hatte, dieser „Ort der Verbindung“, wie sich die Kulturkirche selbst nennt, würde sich auch beim hochbrisanten Thema G 20 mäßigend auswirken, wurde am Donnerstagabend jedoch eines Besseren belehrt.
Bei der öffentlichen Anhörung des Sonderausschusses der Bürgerschaft schlugen über Stunden die Emotionen hoch. Es wurde lautstark applaudiert, gebuht, dazwischengegrölt, es gab höhnisches Gelächter, und es flossen Tränen. Und jede einzelne von Dutzenden Wortmeldungen der 200 anwesenden Anwohner, – nur die hatten an diesem Abend das Wort, die Politik hörte lediglich zu – setzte sich kritisch mit dem G-20-Gipfel, mit der Politik und vor allem mit der Polizei auseinander.
„Vor dem Haus Krieg, hinter dem Haus Krieg“
Einige wollten nur einmal ihre Geschichte loswerden, wie etwa die Anwohnerin aus dem Schanzenviertel. Sie wollte am G-20-Wochenende das Abitur ihres Sohnes feiern, erzählte sie mit tränenerstickter Stimme. Doch am Ende stand sie mit bewaffneten Nachbarn auf der Straße, um ihr Eigentum gegen einen wütenden Mob zu verteidigen – weil die Polizei nicht da gewesen sei. „Vor dem Haus war Krieg, hinterm Haus war Krieg“, erzählte sie, dazu permanent Hubschrauberlärm. Ihre Tochter sei heute noch traumatisiert.
Auch andere Mütter berichteten eindringlich, wie sehr Kinder unter den Begleiterscheinungen des Gipfels gelitten hätten. Eine dreifache Mutter, Anwohnerin der Max-Brauer-Allee, erzählte, dass es der Grundschule ihres Kindes von der Schulbehörde verweigert worden sei, G-20-frei zu nehmen. Und für einen zweitägigen Schulausflug sei kein Geld vorhanden gewesen.
Ihr Sohn habe schon am Donnerstagabend vor dem Gipfel gesagt: „Mama, wenn ich noch einen Vermummten oder einen Polizisten sehe, raste ich aus.“ Es sei unglaublich hart gewesen, den Kindern zu erklären, dass ihr Haus schon nicht angezündet werde, und wenn doch, dass dann die Feuerwehr komme, „obwohl man weiß, dass sie nicht kommen wird“, so die Mutter.
Der Mob griff sogar die Anwohner an
Immer wieder beklagten die Anwohner, die überwiegend aus der Schanze und aus Altona kamen, dass die Polizei und Hilfskräfte nicht da waren, als man sie während der Aussschreitungen am dringendsten gebraucht habe. „Es waren die Anwohner, die Schlimmeres verhindert haben“, sagte Jan Simon vom Stadtteilbeirat Sternschanze, der einen „massiven Vertrauensverlust in Politik und Polizei“, beklagte.
„Wir waren es, die immer wieder Barrikaden gelöscht und weggeräumt haben“, bestätigte Henning Brauer vom Stadtteilbeirat. Die Polizei habe währenddessen mit drei Wasserwerfern eine Kreuzung weiter gestanden und nicht eingegriffen. Als der marodierende Mob gemerkt habe, wer da die Barrikaden lösche, seien sogar die Anwohner attackiert worden – und wieder habe die in der Nähe stehende Polizei nichts dagegen unternommen, sagt Brauer, der mehrmals donnernden
Applaus von den Anwohnern erhielt. Der Appell des Ausschussvorsitzenden Milan Pein (SPD), die Emotionen den Gepflogenheiten eines Bürgerschaftsausschusses anzupassen, wurde niedergebuht – und nicht weiter beachtet.
Senator Grote gibt sich selbstkritisch
Persönlich im Fokus der Kritik standen vor allem Innensenator Andy Grote (SPD) und Polizeipräsident Ralf Meyer, die beide anwesend waren, sowie Ex-Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und der Polizei-G-20-Einsatzleiter Hartmut Dudde. Nicht nur Vertreter der linken Szene wie Emily Laquer forderten sie mehrmals offen zum Rücktritt auf. Als Grote nach der Anhörung das Wort ergriff, verließen die Hälfte der Besucher die Kirche und skandierten „Grote raus!“.
So verpassten sie durchaus selbstkritische Worte: „Das, was wir vorhatten, was unser Anspruch war, hat nicht funktioniert“, sagte Grote. „So wollen wir nicht auftreten.“ Der gesellschaftliche Frieden sei beschädigt und das Vertrauen in Politik und Polizei teilweise verloren gegangen, so Grote. „Das ist schlecht, und wir müssen daran arbeiten, das wiederherzustellen.“
Zwölf von 101 Gesuchten identifiziert
Der G-20-Gipfel am 7. und 8. Juli 2017 war trotz mehr als 30.000 eingesetzten Sicherheitskräften von schweren Ausschreitungen überschattet worden. Mehrere Hundert Polizisten und Demonstranten wurden verletzt.
Gut zwei Wochen nach Beginn der zweiten Öffentlichkeitsfahndung hat die Polizei zwölf Gesuchte identifiziert. Insgesamt seien knapp 100 Hinweise eingegangen, sagte eine Polizeisprecherin. Mitte Mai hatten Polizei und Staatsanwaltschaft die Bilder von 101 Frauen und Männern veröffentlicht. Ihnen werden Straftaten wie schwerer Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung oder Plünderung vorgeworfen (mit Material von dpa).