Hamburg. Bundesweit fehlen 1200 Zuglenker – Agentur steuert mit Lehrgang gegen. Zahl der Menschen ohne Job in Hamburg sinkt deutlich.

Am Sonntag tritt Engin Karci seine erste eigene Fahrt als Lokführer an. Wenn andere das Wochenende gemütlich ausklingen lassen, ist für ihn Dienstbeginn im Hamburger Hafen, um 19 Uhr. „Meine erste Fahrt geht mit einem Güterzug nach Bremerhaven und wieder zurück“, sagt Karci, der am Mittwoch mit fünf Kollegen sein Zertifikat über die bestandene Ausbildung zum Triebfahrzeugführer, wie der Beruf offiziell heißt, erhielt. Alle waren zuvor arbeitslos und qualifizierten sich innerhalb von zwölf Monaten zum Lokführer. „Die Ausbildung ist hart, aber es hat sich gelohnt“, so Karci, der vor der Arbeitslosigkeit eine Postagentur betrieb.

Zusammen mit seinen Kollegen wurde er zum 1. Juni unbefristet bei der Eisenbahngesellschaft Potsdam (EGP), angestellt. Sie will über ihre Tochter Hanseatisches Bahn Contor (HBC) ihre Geschäfte in Hamburg ausbauen. „Wir könnten noch 20 weitere Triebfahrzeugführer einstellen“, sagt Lars Gehrke, Geschäftsführer der EGP. Als Lokführer müsste sich Karci ohnehin keine Sorgen machen, eine Anstellung zu finden. Aktuell fehlen bundesweit laut Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) mindestens 1200 Lokführer.

Fachkräfte werden gesucht

In vielen Branchen werden Fachkräfte gesucht. Das zeigt sich am Hamburger Arbeitsmarkt, wo die Zahl der Jobsuchenden zum fünften Mal in diesem Jahr gesunken ist. Ende Mai sind 65.057 Menschen arbeitslos gemeldet. Das ist gegenüber dem Vorjahresmonat ein Rückgang von 6,7 Prozent. Auch im Vergleich zum Vormonat sank die Zahl der Jobsuchenden um 2,1 Prozent. „Es ist der niedrigste Mai-Stand seit 25 Jahren“, sagt Sönke Fock, Chef der Arbeitsagentur Hamburg. Die Arbeitslosen­quote beträgt 6,2 Prozent und liegt 0,6 Punkte unter dem Vorjahreswert.

„Die weiterhin optimistischen Wirtschafts- und Konjunkturprognosen sorgen für eine kontinuierlich hohe Arbeitskräftenachfrage“, sagt Fock. Es sei zu spüren, dass die Unternehmen sehr bemüht seien, ihre Mitarbeiter zu halten. Die Zahl der Arbeitslosmeldungen im bisherigen Jahr sank um 1,7 Prozent. Gleichzeitig stieg die Zahl der gemeldeten offenen Stellen im Jahresvergleich um 6,7 Prozent auf 17.200. „Wir sind in einer sehr komfortablen Situation“, sagt Fock. Das zeigt sich daran, dass auch schwer vermittelbare Gruppen vom Rückgang der Arbeitslosigkeit profitieren.

Problem bleiben Arbeitslose ohne Ausbildung

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen sank innerhalb eines Jahres um 10,5 Prozent. Bei den über 50 Jahre alten Jobsuchenden ging die Arbeits­losigkeit um 4,4 Prozent zurück. Ein Problem bleiben die Arbeitslosen ohne Ausbildung, denn ungeachtet der guten Konjunktur nahm ihre Zahl um 7,7 Prozent auf 36.570 Personen zu. Meist kann sie nur eine Qualifizierung nachhaltig aus der Arbeitslosigkeit bringen. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr von der Arbeitsagentur und dem Jobcenter 1317 arbeitslose Hamburger durch Qualifizierung auf Fachkräfteniveau gebracht. Sie arbeiten jetzt als Hafenfacharbeiter, Fachinformatiker, Anlagenmechaniker – oder eben als Lokführer.

Engin Karci hat Maschinenbauschlosser gelernt. Andere, neu mit Zeugnissen ausgestattete Lokführer waren vorher länger arbeitslos und arbeiteten zuvor in angelernten Jobs wie Taxifahrer oder Verputzer. Nach der Aufgabe der Postagentur aus Rentabilitätsgründen wollte Karci nicht mehr zurück in seinen alten Beruf. „Da habe ich 13 Jahre gearbeitet, das war mir zu monoton. Aber Lokführer konnte ich mir gut vorstellen.“ Im April vergangenen Jahres begann die Ausbildung, im Dezember stand er zum ersten Mal im Führerstand einer Lok.

Bis zu 700 Meter lange Güterzüge

„Die Ausbildung war hart, jeden Tag acht Stunden“, sagt der 39-Jährige. „Ich habe vor gut 20 Jahren zum letzten Mal auf der Schulbank gesessen, da muss man das Lernen erst wieder lernen.“ Bis zu 700 Meter lange Güterzüge wird er künftig quer durch die Republik steuern. Fahrten gehen bis nach Berlin, Fulda oder Regensburg. Bis zu zehn Stunden dauert eine Schicht. Abhängig von Schichtzuschlägen verdienen die Lokführer bei der EGP bis zu 42.000 Euro brutto im Jahr, sagt Gehrke.

Die duale Ausbildung zum Lokführer dauert bis zu drei Jahre. „Bei der einjährigen Ausbildung verzichten wir auf allgemeine Inhalte wie Verkehrsinfrastruktur oder Mathematik, die in der Berufsschule eine Rolle spielen“, sagt Arnulf Schuchmann, Geschäftsführer der Ostdeutschen Eisenbahn (ODEG), die die Ausbildung im Auftrag der Arbeitsagentur übernommen hat. Alle relevanten Kenntnisse für die Tätigkeit werden in dieser Zeit aber vermittelt. ODEG bildet jährlich 100 Lokführer für den eigenen Bedarf und andere Firmen aus. „Außerdem bringen die Teilnehmer ein gewisses Potenzial aus ihrer bisherigen Tätigkeit mit“, sagt Fock.

Arbeitslosenquote im Bund sinkt auf Rekordtief

Entscheidend sei die Auswahl der Kandidaten. „Es gibt eine strenge Vorauswahl nach medizinischen und psychologischen Kriterien“, sagt Schuchmann. Durch die Erfahrungen sei die Abbrecherquote von 50 auf 30 Prozent gesunken. Die Ausbildung ist so aufgebaut, dass man mit Teilabschlüssen beruflich durchstarten kann, wenn man nicht alles schafft. So arbeiten zwei Kursteilnehmer als Rangierarbeiter, zwei von zehn gestarteten sind durchgefallen.

Gut ausgefallen ist die Arbeitsmarkt­bilanz auch in anderen Regionen. In Schleswig-Holstein stieg die Beschäftigung im Mai kräftig und sank die Zahl der Arbeitslosen um knapp sieben Prozent. 83.900 Menschen waren ohne fes­ten Job. Die Arbeitslosenquote sank von 5,9 auf 5,4 Prozent. Bundesweit ist die Zahl der Arbeitslosen mit rund 2,3 Millionen auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung gesunken. Innerhalb eines Jahres sank die Zahl der Arbeitslosen um 182.000. Die bundesweite Arbeitslosenquote liegt bei 5,1 Prozent. „Die Arbeitslosigkeit hat erneut abgenommen, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nimmt weiter zu und die Nachfragen nach Arbeitskräften bleiben ungebrochen hoch“, sagte Detlef Scheele, Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit.