Hamburg. Nabu-Volksinitiative für mehr Grünschutz reicht 23.100 Unterschriften ein. 10.000 waren nötig. Nun wird verhandelt.

Der Naturschutzbund Nabu scheint mit seiner Volksinitiative zum Schutz des städtischen Grüns den Nerv vieler Hamburger getroffen zu haben. Statt der geforderten mindestens 10.000 Unterschriften lieferten Nabu-Vorstand Alexander Porschke und seine Mitstreiter am Montagmorgen nach eigener Zählung 23.100 Unterschriften per Schubkarre im Rathaus ab. Ziel der Initiative „Hamburgs Grün erhalten“ ist es, Senat und Bürgerschaft dazu zu bringen, den Grünanteil in Hamburg trotz des Wachstums der Stadt und des massiven Wohnungsbaus auf heutigem Stand zu erhalten.

„Ich danke allen, die uns unterstützt haben“, sagte Nabu-Vorstand Porschke. „Wir sind heute mehr denn je davon überzeugt, dass der Start der Initiative die richtige Entscheidung war, um der wachstumsorientierten Stadtentwicklung entgegenzusteuern. Wir wollen nicht weiter zusehen, wie Fläche um Fläche immer mehr Grün für gewinnorientierte Bauprojekte geopfert wird.“ Es sei wichtig, eine Debatte über eine „klügere Stadtplanung angestoßen zu haben“, so der frühere grüne Umweltsenator. „Viele Hamburgerinnen und Hamburger sind nämlich nicht einverstanden, dass ihr Grün in Betongold verwandelt wird.“

Termin für Volksbegehren fällt mitten in die Sommerferien

Entgegengenommen wurden die Unterschriften am Montagvormittag vor dem Rathaus von den Vorsitzenden der beiden Regierungsfraktionen, Dirk Kienscherf (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne). Tjarks betonte, dass die hohe Zahl von Unterschriften ein „starkes Zeichen für ein grünes Hamburg“ sei und auch die Politik das Ziel verfolge, Hamburgs Charakter als grüne Stadt am Wasser zu erhalten. „Wir müssen allerdings mit der Entwicklung umgehen, dass Hamburg eine beliebte Stadt ist“, so Tjarks. „Viele Menschen möchten hier leben und arbeiten. Wir können die Schotten nicht einfach dichtmachen. Gute Politik ist immer auch die Suche nach einem guten Interessenausgleich.“

"Hamburg eine der grünsten Städte Deutschlands“

SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf, der kürzlich im Abendblatt-Interview gesagt hatte, Hamburg könne statt jetzt 1,8 irgendwann 2,2 Millionen Einwohner verkraften, betonte, dass auch die SPD das Grün erhalten wolle. „Wir werden in Gesprächen abstimmen, wie das verlässlich erreicht werden kann. Mit rund zehn Prozent Naturschutzgebieten, 20 Prozent Landschaftsschutzgebieten, grünen Ringen, Biotopverbundsystem und vielen Grün-, Erholungs- und Kleingartenanlagen ist Hamburg eine der grünsten Städte Deutschlands“, so Kienscherf.

Nun muss zunächst formal festgestellt werden, dass mindestens 10.000 der eingereichten Unterschriften gültig sind – es müssen also Doppelunterschriften herausgerechnet werden oder solche, die von Nicht-Hamburgern geleistet wurden. Bei der hohen Zahl der eingereichten Unterschriften gehen aber alle davon aus, dass diese Hürde locker übersprungen wird. Danach wird die Initiative ihr Anliegen der Bürgerschaft in einem Ausschuss vortragen.

Suche nach Kompromissen

Vermutlich wird parallel dazu bereits nach einer Kompromisslösung gesucht. Grünen-Fraktionschef Tjarks deutete vorsichtig an, worin diese aus Koalitionssicht mit bestehen könnte: So könne man etwa versuchen, nicht allein auf Flächen abzuheben, sondern das Grünvolumen weitgehend zu erhalten. Dabei könnten auch Gründächer oder begrünte Fassaden eine Rolle spielen, so Tjarks.

Von dem ursprünglichen Ziel, einen Volksentscheid parallel zur Bürgerschaftswahl Anfang 2020 abzuhalten, musste sich die Initiative bereits verabschieden. Das liegt an Sperrfristen rund um die Europawahl am 26. Mai 2019. Die haben für den Nabu auch eine andere, möglicherweise sehr nachteilige Begleiterscheinung. Die nächste Stufe der Volksgesetzgebung, das Volksbegehren, würde mit seinem Start am 26. Juni fast exakt in die Zeit der Hamburger Sommerferien fallen, die 2019 am 27. Juni beginnen. Dann hätte die Initiative sechs Wochen Zeit in einer ziemlich leeren Stadt fünf Prozent der Wahlberechtigten, rund 65.000 Hamburger, zur Unterschrift zu bewegen – drei Wochen davon darf öffentlich gesammelt werden.

Dieser denkbar ungünstige Termin kann sich laut Landeswahlamt dadurch verschieben, dass die Bürgerschaft das Vorhaben länger prüft und ihre Frist von im Normalfall vier Monaten verlängert. Dann würde das Begehren sich auf Herbst 2019 verschieben. Der Volksentscheid wird so oder so wohl erst parallel zur Bundestagswahl im Herbst 2021 stattfinden. „Wenn wir müssen, werden wir das Begehren auch in den Ferien zum Erfolg führen“, sagte Nabu-Chef Porschke. Zudem wolle er das Thema auch in den Bezirksversammlungswahlkampf 2019 tragen. Die Bezirkspolitiker müssten sich klar dazu äußern, wie sie zu Wachstum und Grünerhalt stünden, so Porschke. „Wir wollen, dass das Thema Grünschutz von Sonntagsreden in die Alltagspolitiker übergeht.“

CDU: „Das ist eine Ohrfeige für die rot-grüne Politik“

CDU-Fraktionschef André Trepoll bezeichnete die hohe Zahl von Unterschriften als „Ohrfeige für die rot-grüne Stadtentwicklungspolitik“. Der Bürgermeister bekomme „die Quittung dafür, dass die Hamburgerinnen und Hamburger nicht wissen, was er mit der Stadt vorhat“ (siehe Artikel auf Seite 12). Linken-Umweltpolitiker Stephan Jersch forderte, der „Dialog über Machbares in unserer Stadt“ müsse „endlich aufgenommen werden“. Hamburg verliere derzeit „dauerhaft Flächen, die für Ökologie und Erholung notwendig sind“.

FDP-Umweltpolitiker Kurt Duwe kritisierte die Nabu-Initiative als „gut gemeint, aber weniger gut gemacht“. Die Lebensqualität bemesse sich „höchstens vordergründig an flächenhafter Verteilung von Grünflächen und Beton“, so der FDP-Politiker. „Für Erholung und biologische Vielfalt ist Qualität entscheidend, bei der es nicht auf eine feste Größe der Rasenflächen ankommt.“ AfD-Umweltpolitikerin Andrea Oelschläger sagte, bei Rot-Grün sei „der Schutz der grünen Stadt nicht wirklich zu erkennen“. Der Nabu stelle „die richtigen Fragen und hat einige sinnvolle Antworten“.

So urteilen die Leser über ein Hamburg mit 2,2 Millionen Einwohnern und den Abendblatt-Report

Wachstum mit Augenmaß

Ihre Analyse über die Folgen eines Bevölkerungswachstums bezieht sich offensichtlich nur auf die Schaffung von neuen Großquartieren und die daraus entstehenden Folgen. Dabei haben Sie meines Erachtens vergessen, dass Wachstum – und zwar behutsam und nachhaltig – auch auf andere Weise, nämlich durch Generationswechsel in kleineren, gewachsenen Quartieren erfolgen kann. Ein gutes Beispiel ist unsere Wohnsiedlung in Sasel. Hier wohnen in 131 Reihen- und Doppelhäusern zurzeit 400 Personen, also im Schnitt drei Personen pro Haushalt. Quasi mit der Brechstange versucht ein Investor, in unserem Quartier 33 neue Eigentumswohnungen zu bauen. Bei ebenfalls drei Personen pro Haushalt würde das Quartier also um ca. 100 Personen wachsen. Aber mit welchen Folgen? 120 Parkplätze für die Altbewohner würden wegfallen, Parkchaos wäre programmiert, das zurzeit liebenswerte Quartier verliert massiv an Wohnqualität. Ich hoffe, dass bei Behörden und Politik auch (wieder) Vernunft und Augenmaß bei der Gestaltung des Wachstums der Stadt einkehrt. Auch die Interessen der Altbewohner müssen Berücksichtigung finden, statt unkritisch die Gewinnmaximierungswünsche von Investoren zu fördern.

Winfried Adam, per E-Mail

Naturschutzgebiet wird überrannt

Naturschutzgebiete (wie die Boberger Niederung) werden schon heute von Anwohnern der umliegenden Großsiedlungen überrannt. Wo sollen denn die zusätzlichen 20.000 Einwohner von Oberbillwerder ihre Hunde spazieren führen, Lagerfeuer machen und grillen, wenn sie mal aus den sechsgeschossigen Wohnhäusern rauswollen? Abschreckendes Beispiel ist doch der Hamburger Stadtpark.

Michael Kühl, per E-Mail

Unwohlsein in der City

Ihr Artikel zum Wachstum unserer schönen Stadt hat mich total abgeholt. Die Vielzahl der von Ihnen gebrachten Argumente waren die letzten Jahre „gefühlt“ in mir, ohne dass ich sie so konkret hätte formulieren können. Ich merkte nur immer wieder, dass ich mich in „meiner Stadt“ immer mehr unwohl fühlte. Ich wohne nun seit drei Jahren am Holzhafen an der Dove Elbe in Moorfleet und fühle mich als Vier- und Marschländer sehr wohl und der Gegend verbunden. Den Michel kann ich vom Deich aus sehen. Das reicht mir zurzeit.

Christoph Lauterbach, Hamburg

Überfällige Diskussion

Vielen Dank für diese längst überfällige Diskussion. Der zunehmende Bau von Wohnungen des SPD-geführten Senats stößt an die Grenzen des Wachstums, wenn eine Stadt wie Hamburg, die gegenüber dem Umland viele Alleinstellungsmerkmale hat, nicht in allen lebenswichtigen Bereichen mitwächst. Das gilt vor allem für die verkehrliche Infrastruktur, die Bildung und die Erholung. Hamburg sollte so attraktiv werden, dass es sich auch lohnt, z. B. am Wochenende in der Stadt zu bleiben. Hamburg sollte es aus demselben Grund vermeiden, den umliegenden Gemeinden und Städten ihre notwendige Kaufkraft durch immer neue Einkaufsmöglichkeiten zu entziehen. Beide Fallbeispiele produzieren bei Nichtbeachtung ein hohes individuelles Verkehrsaufkommen zulasten der Hamburger Luft. „Erholen und einkaufen“ sollten aus dem Konkurrenzkampf der Städte und Gemeinden herausgenommen werden. In der bislang so lobenswerten Hafen-City wird aus Imagegründen mit einem riesigen Einkaufszentrum und dem Kreuzfahrtterminal gerade dieser vermeidbare Verkehr produziert.

Bruno Brandi, per E-Mail

Hamburg hat nichts dazugelernt

Ich möchte aus einem Artikel der ak­tuellen Mitgliederzeitung der Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften „Bei uns“ zitieren: „... 1918 unterzeichnete der legendäre Hamburger Oberbau­direktor Fritz Schumacher eine Art Masterplan für die Bebauung ... Die Menschen brauchen Wohnverhältnisse, die Licht, Luft und ein grünendes Wohnumfeld garantieren. Nur so könne man anständig und gesund leben. Wie verheerend sich das Spekulantentum mit dem Ergebnis von viel zu engem und zu dunklem Wohnraum auswirkt, ... grassierende Tuberkulose. ... Wichtigste Merkmale: Platz für Grünanlagen, erleichterte Sonneneinstrahlung in die Wohnungen, maximal drei bis vier Geschosse ...“ Und was macht Hamburg 100 Jahre später? Die berechtigten Einwände und Kompromissvorschläge der Bürger werden weitestgehend ignoriert, und die massive Nachverdichtung wird durchgezogen. Das Ergebnis ist ein großer Verlust von Grünflächen und Verschattung der Bestandshäuser, da es ja mindestens fünfgeschossig plus Staffelgeschoss werden muss. Hamburg hat aus der Geschichte des engen Wohnungsbaus von vor über 100 Jahren nicht gelernt. Das ist bedenklich.

Anke Hamann , Hamburg

Bloß weg aus dieser Stadt

Immer mehr Grünflächen verschwinden zugunsten von Neubauten, überall wird nachverdichtet – die Politik in Hamburg gibt vor, dass der Wohnungsbau absolute Priorität haben muss. Immer größere Menschenmassen durch Zuwanderung und Tourismus bewegen sich in den öffentlichen Verkehrsmitteln und auf den öffentlichen Plätzen. Kurzum: Es wird immer ungemütlicher in dieser Stadt. Insbesondere für ältere Menschen und gebürtige Hamburger ist dieser Wandel deutlich spürbar. Wer von alledem wenig mitbekommt, wohnt wahrscheinlich in einem Einzelhaus mit Garten in Sasel oder Blankenese und fährt gelegentlich mit dem Auto in die City. Ach ja, früher gab es auch mal so etwas wie hanseatisches Understatement in Hinblick auf die Schönheit der Stadt. Man war stolz auf Hamburg, schwieg aber lieber darüber. Jetzt ist die Devise aber nur noch: Die Anzahl der Übernachtungen steigern, mehr Touristen anlocken, mehr Wohnungen bauen. Das wird sich nicht mehr ändern. Es gibt zu viele mächtige Gewinner dieses entfesselten Wachstums: Politik, Industrie und Handwerk. Meine Frau und ich können die Rente kaum abwarten: bloß weg aus dieser Stadt!

Norbert Schelper, per E-Mail

Hamburg schafft sich ab

Ein wichtiger Aspekt blieb unberücksichtigt: Hamburgs Stadtwachstum erzeugt Druck auf den baulichen Bestand. Schon zahlreiche Altbauten mussten weichen und noch mehr werden folgen, weil sich auf gleicher Grundstücksfläche durch einen Neubau mehr Nutzfläche erzeugen lässt. Manche Umwidmung von Flächen, beispielsweise von Gewerbeflächen zu Wohnungsbauquartieren, erzeugt deutliche Veränderungen in der Stadtstruktur. Immer geht dabei ein Stück Stadtgeschichte verloren. Nicht nur, wenn eines der ein bis zwei Prozent Baudenkmäler betroffen ist, auch der umfangreiche nicht denkmalgeschützte Baubestand Hamburgs prägt diese Stadt, und sein Verschwinden bedeutet einen empfindlichen Verlust. Das mag wie ein Luxusproblem erscheinen, ist es aber nicht. Geschichtsverlust bedeutet Identitätsverlust, und das betrifft die Stadt wie auch ihre Bewohner. Eine sorgsame Stadtplanung ist notwendig, sonst schafft diese Stadt sich selbst ab.

Kristina Sassenscheidt, Verein Freunde der Denkmalpflege

Mehr Leute auf derselben Fläche

Der Begriff „wachsende Stadt“ ist irreführend, denn die Stadt wächst ja nicht, sie wird nur voller: Immer mehr Leute auf derselben Fläche. Das ist wie bei einem Menschen, der zu viel isst: Der wird ja auch nicht größer, sondern nur dicker – bis er irgendwann krank wird. So ist das mit Hamburg auch. Die Stadt kränkelt bereits an ihrer Überfülle.

Karsten Flohr, per E-Mail

Der Trend zum Drittauto

Mein Wohnumfeld hat zwei U-Bahn-Haltestellen und mehrere Tag- und Nachtbuslinien in der Nähe. Trotzdem geht bei einigen Familien der Trend zum Drittauto, obwohl nur zwei Führerscheininhaber und kein Stellplatz auf dem eigenen Grundstück vorhanden ist. Hier sollte kreatives Einwirken der Politik die Folge sein, auch wenn man den Aufschrei autofreundlicher Politiker schon förmlich hören kann. Und auch beim Ausbau des ÖPNV ist Kreativität gefordert. Hierzu rechnet insbesondere die Stadtbahn, die Ex-Bürgermeister Scholz den Hamburgern sieben Jahre lang vorenthalten hat, obwohl die Grünen und auch die SPD diese früher immer gefordert haben. Die U 5, ohne Baurecht und ohne Kostenplan, kann nicht der Problemlöser für das gesamte Stadtgebiet sein.

Lutz Achilles, per E-Mail

Die Grenzen sind erreicht

Ich bin nicht dafür, dass Hamburg weiter wachsen soll. Die Grenzen scheinen mir langsam erreicht.

Dr. med. Martin Gutermuth, per E-Mail

Deutliche Worte

Vielen Dank für die deutlichen Worte, die sicherlich etlichen Wachstumsgläubigen sauer aufstoßen werden. Wachstum kann nicht immer so weitergehen, siehe die Überschrift des Dossiers „Die Grenzen des Wachstums“, die der Club of Rome bereits 1972 in seinem Bericht zu den Problemen der Menschheit verwendet hat. Fragt sich jedoch, wer den Mut hat, diesen Pfad zu verlassen, schließlich basiert die kapitalistische Gesellschaft auf genau diesem Modell. Solange kein Umdenken und Umsteuern erfolgt, laufen wir alle wie die Lemminge in den Abgrund.

Walter Spremberg, per E-Mail