Hamburg. SPD und Grüne: Einigung mit Initiative möglich. Vorerst kein Gang zum Verfassungsgericht. Mehr Geld für Kitas und Unis.
Geldsegen für die Stadt: Auch in den kommenden Jahren wird Hamburg deutlich mehr Steuern einnehmen als geplant. Für 2018 bis 2022 sagt die Mai-Steuerschätzung der Stadt Mehreinnahmen von 200 bis 300 Millionen Euro pro Jahr voraus – insgesamt knapp 1,2 Milliarden Euro.
„Der positive Trend bei den Steuererträgen setzt sich auch auf Basis der bewusst vorsichtigen Hamburger Schätzungen fort“, sagte Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). Maßgeblich dafür seien die anhaltend gute Konjunktur, wachsende Beschäftigung und stabile Lohnzuwächse. Seit die SPD 2011 an die Regierung kam, stiegen die Steuereinnahmen stetig an – und sie steigen weiter. Von seinerzeit 8,7 Milliarden über 11,5 Milliarden im Jahr 2017 bis auf 13,5 Milliarden Euro im Jahr 2022 – so jedenfalls die Prognose.
Kommentar: Steuern sind auch für Kitas da
Mit Blick auf den Haushalt 2019/2020, der gerade aufgestellt wird, blieb Dressel dennoch zurückhaltend: „Die Steuerschätzung schafft keinen Raum für neue Ausgabenwünsche.“ Hintergrund: Wegen der hohen Überschüsse der vergangenen Jahre hatten Senat und Bürgerschaft kürzlich beschlossen, die Ausgaben zu erhöhen. An diesen Ansätzen ändert die Steuerschätzung nichts, aber der Senat sieht sich in seinem Kurs bestätigt.
Kitas, Schulen und Hochschulen bekommen Finanzspritze
Wie Dressel sagte, werde ein großer Teil der Mehrausgaben in den Bereich Bildung und Betreuung fließen, also in Kitas, Schulen und Hochschulen. Die gute finanzielle Lage ist zumindest ein Grund dafür, dass eine Einigung mit der Volksinitiative für mehr Kita-Personal doch wieder möglich erscheint. Nachdem Rot-Grün der Initiative wegen der hohen Kosten ihrer Forderungen anfangs mit Verfassungsklage gedroht hatte, wird nun intensiv ein Kompromiss gesucht. „Ich hoffe, dass wir in den nächsten Wochen zu einem Ergebnis kommen“, sagte SPD-Familienexperte Uwe Lohmann.
Einigung zwischen Bürgerschaft und Kita-Initiative möglich
Das ist eine durchaus überraschende Wende: Die rot-grüne Mehrheit in der Bürgerschaft und die Volksinitiative „Mehr Hände für Hamburger Kitas“ steuern jetzt doch auf eine Einigung zu. „Wir verhandeln mit der Initiative“, sagte Uwe Lohmann, Fachsprecher für Familie, Kinder und Jugend der SPD-Bürgerschaftsfraktion, und betonte: „Es sind gute und angenehme Gespräche. Ich hoffe, dass wir in den nächsten Wochen zu einem Ergebnis kommen.“ Auch Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks spricht von „guten Gesprächen“ und sagt: „Eine Einigung erscheint grundsätzlich möglich.“
Kommentar: Steuern sind auch für Kitas da
Aufseiten der Initiative ist man ebenfalls zuversichtlich, dass ein Kompromiss gelingen könnte. Das zeigte sich auch am Dienstagabend im Familienausschuss der Bürgerschaft: Obwohl die Initiative laut Volksgesetzgebung ein Recht darauf hat, ihr Anliegen dort vorzutragen, bedankte sich Vertrauensfrau Marina Jachenholz ausdrücklich beim Ausschuss dafür. Und auf Lohmanns Hinweis auf die „konstruktiven Gespräche“ entgegnete ihre Kollegin Alexandra Balthasar: „Dem schließen wir uns an.“ Eitel Sonnenschein also zwischen Initiative und Rot-Grün.
Das klang Anfang des Jahres noch völlig anders. Da waren SPD und Grüne voll auf Konfrontationskurs gegangen. „Wenn die nicht beidrehen, ist das ein Fall für das Verfassungsgericht“, hatte Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks damals gesagt. Denn die Forderungen der Initiative nach mehr Personal in den Kitas führten zu Mehrausgaben in Höhe von rund 350 Millionen Euro pro Jahr, das sei „ganz klar ein massiver Eingriff in den öffentlichen Haushalt“, so Tjarks seinerzeit.
Betreuungsqualität verbessern
Hintergrund: Für Volksinitiativen gilt ein „Haushaltsvorbehalt“, die von der Bürgerschaft beschlossenen Haushaltspläne dürfen nicht per Volksentscheid verändert werden. Andererseits wirkt sich jede erfolgreiche Initiative naturgemäß auf die Ausgaben der Stadt aus – nur die Frage, ab wann diese Auswirkung gegen die Verfassung verstößt, ist nie gerichtlich geklärt worden. Die Kita-Initiative wollte der Senat nun zum Anlass nehmen, diese Frage klären zu lassen – wobei er sich sehr sicher zeigte, dass die Verfassungsrichter die Initiative stoppen würden.
Doch nachdem diese Anfang März mehr als 30.000 Unterschriften eingereicht hatte (nötig wären nur 10.000 gewesen) und ein Volksentscheid parallel zur Bürgerschaftswahl Anfang 2020 möglich erscheint, rückt man davon wieder davon ab. Stattdessen betonen SPD und Grüne plötzlich die großen Gemeinsamkeiten mit der Initiative. Hamburg habe das Platzangebot stärker ausgebaut als jedes andere westdeutsche Bundesland, man habe als Vorreiter das Fünf-Stunden-Angebot kostenlos gestellt, und die Betreuungsqualität wolle man doch auch ohnehin verbessern, heißt es. Tjarks betont daher: „Unsere Ziele und die der Initiative widersprechen sich nicht. Es geht grundsätzlich in dieselbe Richtung, allerdings gibt es Unterschiede in der Reichweite.“
Die Initiative fordert konkret, dass eine Erzieherin im Krippenbereich (bis drei Jahre) nur noch maximal vier Kinder betreuen darf und im Elementarbereich (drei Jahre bis Einschulung) maximal zehn. Derzeit liegt diese „Fachkraft-Kind-Relation“ in Hamburg bei 1:5,6 in den Krippen und 1:10,7 im Elementarbereich. Darüber hinaus fordert die Initiative, dass auch Ausfallzeiten (Urlaub, Krankheit) und mittelbare Pädagogik (etwa Planung und Elterngespräche) vollständig angerechnet werden, sodass de facto ein Personalschlüssel von 1:3 in den Krippen und 1:7,5 im Elementarbereich nötig ist.
500 mehr Erzieher in den Krippen
Der rot-grüne Senat arbeitet selbst an einer Verbesserung der Personalsituation, allerdings in geringerem Umfang. Die Krippen sollen jedes Jahr 500 zusätzliche Erzieherstellen bekommen, sodass 2021 eine Relation von 1:4 erreicht wird – allerdings ohne Einrechnung von Ausfallzeiten und mittelbarer Pädagogik. Von ehrgeizigeren Zielen hatten die Kita-Betreiber selbst den Senat abgebracht – weil es zu wenig Erzieher gebe.
Dieses Argument gelte weiter, so Tjarks: „Unter dem Strich fordert die Volksinitiative zusätzlich zu den deutlichen Qualitätsverbesserungen eine Personalaufstockung um weitere 25 Prozent. Eine solche Forderung ist nicht nur finanziell, sondern auch aufgrund von fehlendem Fachpersonal kaum umsetzbar.“ Der Gang zum Verfassungsgericht sei zurückgestellt, aber nicht vom Tisch: „Wir reden jetzt und wollen zu einem Ergebnis kommen“, so Tjarks. „Aber wenn es dieses Ergebnis nicht gibt, gehe ich davon aus, dass ein Gericht über die Zulässigkeit der Initiative entscheiden wird.“