Hamburg. Finanzsenator Andreas Dressel spricht im Interview über höhere Ausgaben und politische Brandherde in Hamburg.
In seinem neuen Büro am Gänsemarkt stehen noch Umzugskartons, aber einige Bilder hat Andreas Dressel schon aufgehängt. Seit einer Woche ist der langjährige SPD-Fraktionschef Finanzsenator. Dem Abendblatt gab der 43-Jährige sein erstes Interview in neuer Funktion.
Herr Dressel, Hand aufs Herz: Hätten Sie sich vor vier Wochen vorstellen können, dass Sie heute hier als Finanzsenator sitzen?
Andreas Dressel: In der Tat waren das sehr bewegte Wochen, auch für mich persönlich. Wir haben jetzt ein gutes Personaltableau – und die neue Aufgabe reizt mich sehr. Ich habe viele fachliche, aber auch sehr persönliche Bezüge zur Finanzbehörde, da mein Vater hier schon tätig war und ich ihn als Kind oft dort besucht habe.
Sie waren auch ein Kandidat auf die Nachfolge von Olaf Scholz, für viele sogar der heißeste. Warum Finanzsenator, aber nicht Bürgermeister?
Dressel: Das wurde intensiv abgewogen, zum einen gemeinsam mit der Parteispitze und zum anderen innerhalb meiner Familie, für die ich eben auch Verantwortung trage. Wir sind gemeinsam zu einem guten Ergebnis gekommen.
Sie haben Ihren Verzicht auf das Bürgermeisteramt mit Ihrer familiären Situation mit drei Kindern begründet. Ist der Unterschied zwischen dem Amt des Senators und dem des Bürgermeisters wirklich so groß?
Dressel: Ich finde schon. Nur ein Beispiel: Die Erwartungshaltung an den Bürgermeister, wirklich durchgehend verfügbar zu sein, auch am Wochenende, ist noch einmal deutlich höher. Da muss man sehr genau abwägen, was man der eigenen Familie mit drei kleinen Kindern an Belastung noch zusätzlich zumuten kann und was nicht.
Ein erstes Thema haben Sie bereits gesetzt und eine enorme Ausweitung der Ausgaben angekündigt. Ist das wirklich nötig?
Dressel: Das Wachstum der Stadt ist offenkundig: Die Bevölkerung wächst und mit ihr die Beschäftigung, die Kitas und Schulen, der Verkehr und vieles mehr. Dadurch steigen automatisch die Kosten. Daher hatte die Bürgerschaft den Senat beauftragt, dieses Wachstum stärker in der Haushaltsplanung abzubilden. Das haben wir getan: Statt aus den vergangenen 21 Jahren leiten wir den Steuertrend, also die mutmaßlichen künftigen Einnahmen, nun aus den vergangenen 14 Jahren ab, anstatt ein komplett neues Verfahren einzuführen. Das ist ein kluger Mittelweg, der sich innerhalb der Logik unseres Finanzkonzepts bewegt, das wir seit 2011 verfolgen.
Na ja. Bis zu eine Milliarde Euro pro Jahr mehr auszugeben, ist schon eine kräftige Kurskorrektur.
Dressel: Wenn wir den Haushaltsplan 2019/2020 aufstellen, wird jeder sehen können, dass wir maßvoll vorgehen. Für große Träume und Goldgräberstimmung gibt es keinen Anlass.
Aber steigende Ausgaben für Kitas, Schulen und HVV sind doch nichts Neues und bereits in der Finanzplanung berücksichtigt. Oder etwa nicht?
Dressel: Natürlich ist das berücksichtigt. Aber die Wachstumseffekte schlagen sich immer stärker nieder und führen zu höheren Ausgaben. Das Finanzrahmengesetz legt uns ein sehr enges Korsett an. Wir sehen, dass wir die erforderlichen Ausgaben, die sicher auf uns zukommen, im bisherigen Finanzrahmen gar nicht bezahlen dürften, ohne an anderen Stellen massiv zu kürzen. Man muss auch die Sorgen mancher Bürger ernst nehmen, die sich fragen, ob wir das mit dem Wachstum unserer Stadt auch wirklich stadtverträglich hinbekommen. Daher wollen wir dafür sorgen, dass die städtische Infrastruktur mitwächst.
Im Gegensatz zu früher planen Sie die vorhergesagten Steuern voll ein. Ist das die Abkehr von vorsichtiger Haushaltsführung?
Dressel: Nein, die behalten wir ausdrücklich bei.
Das geht aus den Zahlen aber nicht hervor.
Dressel: Doch, wenn man sich das Gesamtkonzept anschaut. Wir wollen auch künftig Vorsichtsabschläge berücksichtigen, wir werden weiter zwei Prozent globale Minderkosten einplanen. Bei der vorsichtigen Haushaltsführung wird es mit mir keinerlei Abstriche geben.
Die Opposition spricht von einer Wahlkampfkasse. Haben Sie mit Blick auf die Wahl 2020 noch ein Ass im Ärmel?
Dressel: Das ist ja kein Pokerspiel. Wir haben klar benannt, wofür das Geld benötigt wird: Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, insbesondere Kitas, Bildung, Wissenschaft. „Wahlgeschenke“ gibt der Haushalt nicht her.
Bürgermeister Tschentscher will einen Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde einführen. Wie soll das finanziert werden?
Dressel: Schritt für Schritt. Zunächst werden wir mit den öffentlichen Unternehmen und der Arbeitnehmerseite ausloten, wie und wann wir eine Lohnuntergrenze von zwölf Euro erreichen können.
Können die Unternehmen das finanzieren, ohne Gebühren für die Bürger zu erhöhen?
Dressel: Das soll so gut es geht vermieden werden. Aber unser Ziel ist klar: Die Beschäftigten sollen einen Lohn erhalten, von dem sie gut leben können – nicht nur während ihrer Dienstzeit, sondern auch später im Alter. Diese Initiative unseres neuen Bürgermeisters begrüße ich ausdrücklich. Hamburg soll Vorbild sein, wenn es um gute Arbeit geht.
Sie sind auch Bezirks-Senator. Brauchen die Bezirke mehr Geld und Personal?
Dressel: Das Thema Bezirke liegt mir generell sehr am Herzen. Denn die Bezirke sind die ersten und wichtigsten Anlaufstellen für die Bürgerinnen und Bürger. Ich hatte in meiner früheren Funktion als Fraktionschef den Elf-Punkte-Plan für die Kundenzentren mit entwickelt und bin froh, dass ich jetzt an der Umsetzung mitarbeiten kann. Die Wartezeiten haben sich spürbar verkürzt, wir gehen zunehmend zum 60-Stunden-Betrieb von 7 bis 19 Uhr über. Die Zeiten, als man sich einen Tag Urlaub nehmen musste, um einen Behördengang zu erledigen, sind zum Glück vorbei. Diese Erfolge wollen wir verstetigen.
Reichen die vorhandenen Stellen in den Kundenzentren denn dafür aus?
Dressel: Wir haben einen deutlichen Personalaufwuchs realisiert. Jetzt geht es darum, dass diese Beschäftigten, die einen tollen Job für unsere Stadt machen, gehalten werden können, dass sie gute Arbeitsbedingungen haben und dass wir die Umstellung auf den Schichtbetrieb gut organisieren.
Sie sind auch für städtische Immobilien zuständig, darunter die Rote Flora. Wie sehen Sie deren Zukunft nach dem G-20-Gipfel?
Dressel: Der Aufarbeitungsprozess auf allen Ebenen geht weiter, auch in der Bürgerschaft im Sonderausschuss – das werden wir als Senat nach Kräften unterstützen, und dem werden wir nicht vorgreifen. Klar ist und bleibt: Gewalt darf kein Mittel der Politik sein – die Flora und ihr Umfeld müssen da auch ihren Teil zur Aufarbeitung beitragen.
Die öffentliche Debatte läuft, weil sich seit den markigen Ansagen des damaligen Bürgermeisters Scholz nichts getan hat. Ist es denn so naiv zu fordern, dass die Stadt als Eigentümer der Immobilie einen Vertrag mit den Nutzern abschließen sollte?
Dressel: Wir haben nach dem Rückkauf eine Struktur, in der die Lawaetz-Stiftung das Gebäude treuhänderisch verwaltet. Aber öffentliche Räumungsforderungen und andere Zündeleien im politischen Raum, egal von welcher Seite, helfen nicht weiter. Solche Themen geht man nicht mit Schaum vor dem Mund an, sondern ruhig und sorgsam – im Interesse des gesellschaftlichen Friedens in der Stadt.
Sie hatten bei Amtsantritt gesagt, Sie würden sich auf den Paternoster freuen, den Sie noch aus Kindertagen kennen. Haben Sie den schon getestet?
Dressel: Täglich! Auch wenn er ja wahrlich schon viele Jahre auf dem Buckel hat, ist er voll funktionstüchtig. Das ist eine tolle Tradition, und ich werde mich dafür einsetzen, dass sie in den wenigen Gebäuden, in denen noch Paternoster laufen, erhalten bleibt.