Hamburg. Viel Randale, viele Bilder, viele Daten: Wegen der Ausschreitungen beim G-20-Gipfel laufen 3200 Ermittlungsverfahren.
Trotz scharfer Kritik weitet die Polizei die öffentliche Fahndung nach G-20-Randalierern noch einmal deutlich aus: Am Mittwoch wurden im Präsidium 101 neue Fotos präsentiert, die mutmaßliche Krawallmacher und Plünderer zeigen sollen. „Wir wollen die größtmögliche Öffentlichkeit erzielen“, sagte Polizeisprecher Timo Zill.
Die Bilder zeigen Männer und Frauen, denen die Ermittler in vielen Fällen gleich mehrere Straftaten zur Last legen. Aktuell arbeiten noch 145 Beamte in der Soko Schwarzer Block die schweren Krawalle auf. Die Strafverfolgung der G-20-Geschehnisse ist eine Mammutaufgabe: Es laufen mehr als 3200 Verfahren, gegen mehr als 700 Personen wird namentlich ermittelt. Die Beamten werteten sieben Terabyte an Datenmaterial und rund 6000 valide Hinweise aus der Bevölkerung aus.
Offensichtlich zeigen einige Bilder mutmaßliche Plünderer
Anders als bei der ersten Welle von 107 Bildern, die bereits im Dezember an die Öffentlichkeit gegeben wurden, ordnete die Polizei die Fotos diesmal nicht einzelnen Begebenheiten während des Gipfels wie der Demonstration „Welcome to Hell“ zu. Offensichtlich zeigen einige der Bilder aber erneut etwa mutmaßliche Plünderer aus den zerstörten Geschäften am Schulterblatt im Schanzenviertel.
Der zuständige Oberstaatsanwalt Michael Elsner betonte, dass gegen alle gezeigten Personen ein starker Tatverdacht bestehe und es sich um erhebliche Straftaten wie gefährliche Körperverletzung oder schweren Landfriedensbruch handele: „Wir reden hier nicht über Kleinigkeiten.“
In der ersten Welle wurden 35 von 107 Personen identifiziert
Weitere Details zu den Vorwürfen will die Polizei jedoch nicht bekanntgeben – „aus ermittlungstaktischen Gründen“, wie es heißt. Deshalb gab es etwa keine Antwort auf die Frage, ob unter den Gesuchten auch Randalierer aus der Gruppe sind, die brandschatzend über die Elbchaussee gezogen waren.
Bereits die erste Welle an veröffentlichten Fotos sei „sehr erfolgreich“ gewesen, bilanzierte Polizeisprecher Zill. Von den 107 ursprünglich gesuchten Verdächtigen konnten demnach 35 Personen identifiziert werden, also mehr als 30 Prozent. Üblich sei bei Öffentlichkeitsfahndung aus der Erfahrung, dass nur fünf bis zehn Prozent der Verdächtigen gefunden werden könnten. Gegen zwei mutmaßliche Täter aus der Fotofahndung wurde bislang Anklage erhoben, gegen einen weiteren Verdächtigen ein Strafbefehl beantragt.
Auch die allgemeine Resonanz nach den Fotos der G-20-Fahndung war laut Zill enorm: 3,8 Millionen Besucher hätten zusätzlich zu der Veröffentlichung in Medien allein auf die entsprechende Seite der Polizei geklickt. Zill sprach allen Hinweisgebern am Mittwoch ein „kräftiges Dankeschön“ aus.
Harsche Kritik bei de ersten Veröffentlichung
Bereits bei der Veröffentlichung der ersten Fotos war der Polizei aber auch harsche Kritik entgegengeschlagen. Die Fahndung gleiche einer „Menschenjagd“, hieß es von Politikern der Linke und Kommentatoren in Medien. Auch die große Anzahl der Bilder und ihre Veröffentlichung im Block stieß auf Kritik. Zudem seien einige der Gesuchten offensichtlich minderjährig und dürften deshalb nicht öffentlich an den Pranger gestellt werden, so die Kritiker.
Polizei und Staatsanwalt traten den Vorwürfen bei der Vorstellung der neuen Bilder offensiv entgegen. Richter hätten jeweils einzeln die Veröffentlichung der Fotos geprüft und freigegeben. „Damit steht die Fahndung auf einem soliden rechtsstaatlichen Fundament“, sagte Polizeisprecher Timo Zill. Der Oberstaatsanwalt Elsner verwies auf die Strafprozessordnung, nach der auch nach Minderjährigen öffentlich gefahndet werden dürfe. In diesen Fällen entscheide außerdem ein Jugendrichter über die Veröffentlichung der Bilder.
Auf die Frage, was passiere, wenn ein per Foto gesuchter Tatverdächtiger sich als unschuldig herausstelle, antwortete Elsner: „Das ist bei der bisherigen Fahndung noch nicht vorgekommen“. Nach dem Gesetz muss nicht nur ein dringender Tatverdacht vorliegen, um mit Fotos fahnden zu dürfen – auch müssen andere Ermittlungsansätze ausgeschöpft sein. Und wenn eine Öffentlichkeitsfahndung erfolgsversprechend sein, müsse diese nach dem Legalitätsprinzip auch eingeleitet werden.
Fahndung im Ausland – und bereits 700 Verdächtige
Parallel zu der Öffentlichkeitsfahndung in Deutschland hat die Polizei auch damit begonnen, in 15 weiteren europäischen Ländern nach 91 bestimmten Verdächtigen zu fahnden (das Abendblatt berichtete). „Es sind bereits Hinweise auf diesem Wege eingegangen“, sagte Polizeisprecher Zill. Beabsichtigt ist auch eine anschließende Öffentlichkeitsfahndung in Ländern wie Spanien und Italien, wie Innensenator Andy Grote (SPD) bereits zu Jahresbeginn gegenüber dem Abendblatt angekündigt hatte. Dafür müssen aber zunächst Rechtshilfeersuchen gestellt werden.
Über den Anteil von ausländischen Linksextremen an den Krawallen hatte viele Spekulationen gegeben. Von den bisher 733 Beschuldigten in den Verfahren der Soko Schwarzer Block kämen 140 Personen nicht aus Deutschland, so die Polizei. Zu der Frage, ob auch im Nicht-EU-Ausland polizeilich nach Verdächtigen gesucht werde, wollte Michael Elsner keine Aussage machen.
Bei der Auswertung des Videomaterials zu den Krawallen setzen die Beamten seit März auch eine Gesichtserkennungssoftware als Hilfsmittel ein – und achteten laut Staatsanwaltschaft auch auf Übergriffe von Polizisten gegenüber Demonstranten. Nach Abendblatt-Informationen führten sieben solcher Hinweise aus der Soko zu Verfahren beim Dezernat Interne Ermittlungen.