Hamburg. Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus kritisiert den hohen Anteil nicht von Fachlehrern vertretener Stunden.

Neben den Zensuren sind dies die Zahlen, die die Eltern schulpflichtiger Kinder am meisten interessieren: Wie viele Stunden Unterricht fallen aus? Das Ausmaß des Pro­blems ist bekannt: Die Schulen melden der Behörde seit mehreren Jahren Woche für Woche, welche Stunden regulär erteilt wurden, in welchem Umfang auf welche Art Unterricht vertreten wurde und wie viele Stunden ausgefallen sind.

In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktionschefin Sabine Boeddinghaus hat der Senat nun mitgeteilt, dass im ersten Halbjahr 2017/18 exakt 86,56 Prozent der Unterrichtsstunden an den staatlichen allgemeinbildenden Schulen nach Plan gegeben wurden. Das ist kein großer Unterschied zum ersten Halbjahr 2016/17, als die Quote 87,05 Prozent betrug. Allerdings ist die Lage je nach Schulform unterschiedlich: An den Grundschulen wurden 91,05 Prozent der Stunden regulär gegeben, an den Sonderschulen waren es sogar 92,06 Prozent, während Gymnasien mit 85,55 Prozent und Stadtteilschulen mit 82,84 Prozent deutlich abfielen.

Dramatische Lage

Rund vier Prozent nicht regulär gegebener Stunden konnten „fachidentisch“ vertreten werden. Das heißt: Statt des erkrankten Biologielehrers steht ein anderer Biologielehrer vor der Klasse. Das ist der Idealfall des Vertretungsunterrichts. In den restlichen Vertretungsstunden wurde der geplante Fachunterricht nicht erteilt. An den Gymnasien macht der Anteil 10,3 Prozent, an den Stadtteilschulen 12,5 Prozent und an den Grundschulen immerhin noch fünf Prozent aus. „Das sind nur Durchschnittswerte, an vielen Schulen dürfte die Lage deutlich dramatischer sein“, sagte Boeddinghaus.

Dabei ist der Anteil des komplett ersatzlos ausgefallenen Unterrichts mit 0,67 Prozent vergleichsweise gering, wobei auch hier die Stadtteilschulen mit 1,02 Prozent am stärksten betroffen sind, gefolgt von den Gymnasien mit 0,95 Prozent. Im Durchschnitt 2,31 Prozent der Stunden erhielten die Schüler Arbeitsaufträge, oder zwei Klassen wurden zusammengelegt und von einem Lehrer betreut. Besonders hoch ist der Anteil dieser Form des „Vertretungsunterrichts“ mit zum Teil mehr als fünf Prozent in der Oberstufe von Gymnasien und Stadtteilschulen.

Unterschiede zwischen den Schulformen

Mindestens bei den Arbeitsaufträgen ist längst nicht immer klar, in welchem Rahmen die Schüler sie erledigen. Die Behörde geht davon aus, dass die Schüler währenddessen in der Schule bleiben, was aber offenbar bei Weitem nicht immer der Fall ist. Statistisch erfasst wird das allerdings nicht. Ein mit 0,35 Prozent recht kleiner Anteil nicht regulär gegebener Stunden wird von einem Lehrer mit einer anderen Fächerkombination erteilt: Dann kommt zum Beispiel der Deutschlehrer in die Mathestunde.

Den größten Teilbereich nicht nach Plan erteilter Stunden macht der Unterricht „in besonderer Form“ aus. Dazu zählen Klassenreisen, Theater­besuche, Exkursionen, Berufspraktika oder fächerübergreifende Projekte wie zum Beispiel Theater oder Natur und Umwelt. Der Unterricht „in besonderer Form“ hat in den vergangenen Jahren zugenommen und umfasst jetzt sechs Prozent aller Unterrichtsstunden.

Pädagogisch sinnvolle Ergänzung

Hier sind die Unterschiede schulformbezogen deutlich: Während der „besondere“ Unterricht an Grund- und Sonderschulen mit 2,85, bzw. zwei Prozent gering ausfällt, ist der Anteil an Gymnasien (6,22 Prozent) und Stadtteilschulen (9,23 Prozent) erheblich höher. Noch krasser werden die Differenzen beim Blick auf einzelne Klassenstufen. In Klasse neun der Stadtteilschulen macht der Unterricht in besonderer Form 17,24 Prozent aus, in Klasse neun der Gymnasien 7,7 Prozent.

Der Unterricht in Projektform gilt durchaus als pädagogisch sinnvolle Ergänzung. Die Frage ist allerdings, welchen Umfang die Abweichungen vom regulären Stundenplan erreichen. Auch Schulsenator Ties Rabe (SPD) hält den gestiegenen Anteil von Projektwochen und Exkursionen für bedenklich. „Das mag charmant sein, darf aber nicht einen so großen Teil des Unterrichts einnehmen“, sagte Rabe im Oktober des vergangenen Jahres.

Schulsenator ist unzufrieden

„Beunruhigend ist, dass besonders viele Stunden in den kritischen Klassenstufen der weiterführenden Schulen ausfallen, etwa in Klasse neun oder 13, in denen Abschlüsse oder Anschlüsse zu höherer Schulbildung erworben werden sollen“, sagte Boeddinghaus. „So gefährdet man fahrlässig Bildungskarrieren, Chancengleichheit sieht anders aus.“ Die Linken-Fraktionschefin weist darauf hin, dass laut Senatsantwort nur 32,1 Prozent der knapp 1500 befristet beschäftigten Vertretungslehrer gesichert eine pädagogische Ausbildung haben. Bei 46 Prozent fehlen die Angaben. „Kein Wunder, dass so nicht alle Stunden angemessen vertreten werden können“, sagte Boeddinghaus.

Rabe hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die Konzepte zur Senkung des Unterrichtsausfalls erarbeiten soll. Aus Sicht des Senators ist die Voraussetzung für die Qualität von Schule, dass der Unterricht überhaupt stattfindet. „Da gibt es gleich mehrere Baustellen. Ich bin mit der Entwicklung nicht zufrieden“, so Rabe im Herbst.