Hamburg. Es gibt zu viele Projekte und Ausflüge. Schulbehörde will gegen Stundenausfall vorgehen. Besonders prekär ist Lage in Oberstufe.
Schulsenator Ties Rabe will den Unterrichtsausfall senken – insbesondere in der Oberstufe von Gymnasien und Stadtteilschulen. Aus diesem Grund hat der SPD-Politiker in seiner Behörde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich des Themas annehmen und Konzepte entwickelt soll. Dahinter steht eine simple Erkenntnis, deren Umsetzung aber umso schwerer ist: Voraussetzung für Qualität von Schule ist, dass der Unterricht überhaupt stattfindet. „Da gibt es gleich mehrere Baustellen“, sagte Rabe dem Abendblatt, „ich bin mit der Entwicklung nicht zufrieden.“
Der Arbeitsgruppe geht es um den Unterrichtsausfall im Allgemeinen, besonders aber in der Oberstufe. Denn Anspruch und Wirklichkeit klaffen in den letzten Schuljahren, in denen sich die Jugendlichen intensiv auf die Abiturprüfung vorbereiten sollen, oftmals auseinander – auch, weil die Vorgaben der Behörde an den Schulen offenbar nicht immer umgesetzt werden. Viele Eltern berichten davon, dass ihre Kinder selbst in der entscheidenden Phase vor dem Abitur an einigen Tagen schon nach zwei Stunden wieder zu Hause sind oder der Schultag überhaupt erst um 11 Uhr beginnt. Besonders prekär ist die Situation in diesem Schuljahr, das durch den frühen Ferienstart am 5. Juli so kurz ist wie selten.
Die Zahlen spiegeln die Entwicklung nur bedingt wider. So ist der Anteil der Unterrichtsstunden, die in der Oberstufe von Gymnasien und Stadtteilschulen ersatzlos ausfallen, vom Schuljahr 2012/13 bis zum Schuljahr 2016/17 gesunken – und zwar von 2,68 auf 0,64 Prozent. Das klingt verschwindend wenig. Hinzu kommt allerdings eine wachsende Zahl von Unterrichtsstunden, die „durch Arbeitsauftrag“ vertreten wird, wie es im Schuldeutsch heißt. Ihr Anteil stieg leicht von 4,37 (2012/13) auf 5,19 Prozent.
Das bedeutet: Der Unterricht fällt aus, die Schüler bekommen dafür aber Aufgaben, die sie abarbeiten sollen. Nach dem Verständnis der Behörde: in der Schule. Zumindest in den Randstunden sowie vor und nach der Mittagspause gehen die Oberstufenschüler tatsächlich aber meist nach Hause, um dort zu arbeiten. Kontrolliert werden die Aufgaben oftmals nicht. Diese Stunden als „vertreten“ zu werten, ist also etwas hochgegriffen.
Nur noch 81,9 Prozent des Unterrichts regulär
An einigen Schulen wird allerdings fast nur so verfahren: Beispiel eines Niendorfer Gymnasiums: Von den 14 Unterrichtsstunden (inklusive Doppelstunden), die an einem Tag in der vorletzten Woche krankheitsbedingt nicht erteilt werden konnten, entfiel eine ganz, elf wurden „durch Aufgabe“ vertreten, nur in zwei Fällen sprang ein Vertretungslehrer ein.
Problematisch findet Senator Rabe aber auch, dass mittlerweile nur noch 81,9 Prozent des Unterrichts ganz regulär so erteilt wird, wie es im Stundenplan vorgesehen ist. 2012/13 lag der Anteil noch bei 85,5 Prozent. Und: „Das ist nur ein Durchschnittswert, es gibt extreme Schwankungen“, sagt Rabe. „An manchen Schulen werden nur rund 70 Prozent des Unterrichts regulär erteilt. „Der deutliche Rückgang macht nachdenklich“, sagt Rabe. „Das ist eine weitere Baustelle.“
Grund für den niedrigen Wert ist besonders der „Unterricht in besonderer Form“, dessen Anteil seit 2012 von 6,1 auf durchschnittlich 10,7 Prozent gestiegen ist. Gemeint sind Theaterbesuche und Projektwochen, Berufspraktika, Klassenfahrten, Exkursionen und derlei mehr. „Das mag charmant sein, darf aber nicht einen so großen Teil des Unterrichts einnehmen“, findet SPD-Politiker Rabe.
Die von ihm eingesetzte Arbeitsgruppe will deshalb gemeinsam mit den Schulleitern einen Richtwert erarbeiten, wie viel Unterricht so stattfinden sollte, wie er im Stundenplan vorgesehen ist. Es gebe große Unterschiede, wie die Schulen den „Unterricht in besonderer Form“, aber auch den Stundenausfall mit und ohne Arbeitsaufträge für die Schüler handhabten. „Wir brauchen deshalb einen Richtwert, wie viele Stunden mindestens nach Stundenplan unterrichtet werden müssen“, so Rabe.
Unterrichtsausfall mit Ansage
An einigen Gymnasien gibt es sogar Unterrichtsausfall mit Ansage. „In der Oberstufe wird grundsätzlich kein Unterricht vertreten“, heißt es dort pauschal, wie von mehreren Schulen übereinstimmend berichtet wird. Im Sinne der Schulbehörde ist dieses Vorgehen nicht. Im Gegenteil: „Für eine solche Regelung gibt es keine Grundlage“, sagt Schulsenator Rabe. „Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Oberstufen-Unterricht viel seltener durch Lehrkräfte vertreten wird als in der Unter- und Mittelstufe.“
Zwar ist es in den oberen Klassen wegen des hohen fachlichen Niveaus nicht immer ganz leicht, geeignete Vertretungslehrer zu finden. Doch an Ressourcen fehlt es nicht. Denn: Die Schulen bekommen nach Rabes Worten für den Unterricht in der Oberstufe ebenso Vertretungslehrermittel zugewiesen wie für die unteren Klassen.
Vertretungskonzepte inhaltlich verbessern
Seit 2015 wird mithilfe eines Computersystems erhoben, wo wie viel Unterricht ausfällt. Doch während die Zahlen sinken, ist der Eindruck vieler Mütter und Väter ein anderer. Das ist Rabe bewusst. „Auch wenn ich keinen Zweifel an der seriösen Erfassung an den Schulen habe, höre ich manchmal von Eltern von Ausfällen, die sich nicht in den Zahlen widerspiegeln“, sagt Rabe und kündigt einen Realitätscheck an: „Wir müssen in der Arbeitsgruppe daher aufklären, ob die Statistiken genau sind.“
Viertens soll die Gruppe auch dazu beitragen, die Vertretungskonzepte inhaltlich zu verbessern. Sprich: Vertretungslehrer sollen in die Lage versetzt werden, mit den Schülern auch aus dem Stand tatsächlich sinnvollen Unterricht zu machen. Einige Schulen sind da bereits vorbildlich: Sie haben auf die einzelnen Klassenstufen, Fächer und Themengebiete bezogen fertige Unterrichtsstunden im Archiv, die sich ein Lehrer bei Bedarf auch noch in der Pause vorher ziehen kann. Um dann Unterricht zu machen, bei dem die Schüler etwas lernen – anstatt einen Film zu sehen. Diese Konzepte, so hofft Rabe, könnten hamburgweit Schule machen.