Hamburg. Es begann vor drei Jahren. Inzwischen erreicht Foodboom 20 Millionen Menschen pro Monat über das Web, Apps und soziale Netzwerke.
Hätte sie damals die Polizei angehalten, dann wäre aus der ganzen Sache wahrscheinlich nichts geworden. Die Kumpels Hannes Arendholz und Sebastian Heinz fahren im November 2014 zu der Halle in Rothenburgsort, die sie gerade gemietet haben. Dort möchten sie ihre Zukunft aufbauen, Rezepte kreieren und Kochvideos produzieren, die sie ins Internet stellen wollen. Um zu kochen, braucht man Strom, einen Herd, und außerdem wäre ein Wasseranschluss hilfreich. Um zu filmen, müsste es Lampen geben und die ein oder andere Technik. Über all das verfügt die Halle in Rothenburgsort nicht. Im November 2014 ist sie absolut leer.
Wie anfangen? Handwerker kommen nicht infrage, zu teuer, nie Zeit. Außerdem hat Hannes Arendholz früher mit seinem Vater im Keller gerne gebastelt, also denkt er sich: kann ja nicht so schwer sein, einen verlassenen Raum in ein Filmstudio zu verwandeln. Die Freunde schauen sich Tutorials im Internet an, wie man eine Regenrinne verlegt beispielsweise. Angeguckt, nachgemacht, hat geklappt. Einfach machen!
In drei Küchen wird gebrutzelt und gedreht
Es sind die beiden Wörter, die die Freunde in den nächsten drei Jahren zu den erfolgreichsten Produzenten von Food-Content machen werden, aber zu dem damaligen Zeitpunkt haben sie noch nicht einmal ein Klo. Wenn die Blase drückt, müssen die Jungs in die WG von Arendholz gehen, die sich in der Nähe befindet. Für das Abendessen nehmen sie sich tiefgekühlte Suppe von zu Hause mit, die sie morgens auf den Heißlüfter stellen, dann ist sie zur Dinnertime aufgetaut und sogar ein bisschen warm. Dazu Kerzen und eine Flasche Weißwein, romantischer kann ein Gründungsmythos nicht beginnen.
Das fühlte sich damals nur keineswegs romantisch an, war eher mordsmäßig anstrengend, denn sie bauen und werkeln alles neben ihren normalen Jobs als Profikoch und Produktentwickler (Arendholz) und Content-Marketing-Experte (Heinz). An diesem Novemberabend jedenfalls kutschieren die beiden einen neun Meter langen Holzbalken auf dem Dach ihres Wagens. „Wenn uns jemand so erwischt hätte, dann wären unsere Führerscheine sofort weg gewesen“, sagt Arendholz – und ohne Pkw lassen sich weder Dachlatten noch Toilettensitze oder Ikea-Küchen transportieren.
Heute steht der 34-jährige Arendholz in dieser Küche und schaut dabei auf zwei weitere. Drei große, optisch ganz verschiedene Sets stehen in Studio 1 von Foodboom bereit, um die vielen Rezepte mit möglichst verschiedenen Kulissen zur Geltung zu bringen. In einem gemütlichen Landhaus-Set wird gerade Pizza gebacken, in der etwas kühleren Kochschulküche entsteht eine Kundenproduktion für Orangenmarmelade, und in der Experimentalküche brutzeln Foodboom-Mitarbeiter Hackfleisch für das Team-Mittagessen.
Leute zum Kochen bringen
Täglich um 13 Uhr essen alle 60 Kollegen gemeinsam; die Kochteams werden aus unterschiedlichen Abteilungen von Foodboom zusammengestellt, da schnibbelt die Videoproduzentin neben dem Performance-Experten, der Ernährungswissenschaftler neben der Analytikerin, die Redakteure neben den Vermarktern. „Es gibt nichts Sozialeres als ein gemeinsames Essen“, sagt Arendholz. Außerdem lautet das erklärte Ziel von Foodboom, die Leute zum Kochen zu bringen, ihnen die Angst vor dem Herd zu nehmen. „Wir möchten Inspirationen und Know-how vermitteln, sodass unser Zuschauer seine Tiefkühlpizza vielleicht zunächst nur mit frischen Tomaten belegt. Beim nächsten Mal aber stellt er den Teig selbst her.“
Lässig, aber nicht nachlässig, so könnte man die Philosophie beschreiben, die hinter den gut erklärten Rezepten und den mit Musik unterlegten Videos von Foodboom steht. Eine Million Facebook-Fans verzeichnet dieses wortwörtliche Erfolgsrezept. Die Beschreibungen der Gerichte werden inzwischen auch auf Englisch und Polnisch übersetzt, 20 Millionen Leute im Monat erreicht Foodboom über seine verschiedenen Kanäle Facebook, Homepage, Zeitschrift und Buch. Inzwischen gibt es sogar Foodboom-Reisen; wer will, kann im November auf kulinarische Entdeckungsreise durch Namibia gehen, andere Länder wie Thailand und Kolumbien sind in Planung.
Foodboom ist Medienhaus und Agentur gleichzeitig, neben den eigenen Videos erarbeiten die Rezeptingenieure und Geschmacksvisionäre auch Content für rund 100 Partner aus der Industrie wie Miele, Fissler oder Maille. Stehen also Jack-Daniel’s-Flaschen in den Büros, die aussehen wie in der TV-Serie „Mad Men“, dann herrscht kein Grund zur Besorgnis, hier wird lediglich Kundenkontakt gepflegt.
Hühnersuppe auf dem Heißlüfter
Foodboom verdiente von Anfang an Geld, das kann passieren, wenn Deutschlands bester Nachwuchskoch aus dem Jahr 2009 und ein Marketingprofi sich zusammentun und Hühnersuppe auf dem Heißlüfter erwärmen. Hannes Arendholz ist Food, Sebastian Heinz ist Boom. „Wir sind kein klassisches Start-up, das erst mal Kohle einsammelt und aus dem Fenster wirft. Wir gehen eher den Weg des Hamburger Kaufmanns: am Anfang kleine Brötchen backen und dann kontinuierlich wachsen“, sagt Sebastian Heinz. Unterstützung bekamen und bekommen sie von den Business Angels, die mit ihrem Wissen beraten und in neue Produkte investieren.
Nach kleinen Brötchen, von denen Heinz spricht, sieht es am Ort des Geschehens allerdings nicht gerade aus. Das Gelände umfasst mittlerweile 1600 Quadratmeter, es gibt einen Treppenaufgang in Dschungel-Optik, eine goldene Bar und mehr Geschirr und Besteck, als schätzungsweise für die Hochzeit von Prinz Harry benötigt werden wird.
Jede Kleinigkeit wird professionell diskutiert, etwa: Welche Kameraeinstellungen wählen wir bei der Roten-Bete-Suppe? Den Dampf erkennt man besser im Gegenlicht, und Dampf ist wichtig, um dem Zuschauer das Gefühl von Wärme zu vermitteln. Was soll der „Leckershot“ werden? Am Anfang eines Videos ist immer der Höhepunkt des Kochprozesses zu sehen, die Szenen, bei denen einem das Wasser im Munde zusammenläuft, damit der Zuschauer dranbleibt. Wann verändern wir den Hintergrund? Die Küchen können nach Bedarf durch Tischler Andi (den alle McGyver nennen) ganz anders aussehen. Oder welche Löffel passen am besten zur Orangenmarmelade? „Es kommt immer darauf an, welchen Stil ich rüberbringen will, das ist genau wie beim Outfit, das ich mir morgens überlege“, sagt Julia Bögge.
Verzicht auf Lack oder Haarspray
Die Stylistin hantiert mit dem Besteck, während ihr Manchester-Terrier Haley verliebt auf das Marmeladenbrot schaut. Durch den Verzicht auf Lack oder Haarspray, den manche Foodfotografen für schönere Bilder verwenden, kann man alles nach der Produktion noch essen. Fünf Kilo nimmt ein neuer Mitarbeiter im Durchschnitt in den ersten Wochen bei Foodboom zu, aber mit der Zeit lernt der Mensch, nicht jede Leckerei probieren zu wollen. Hunde achten weniger auf ihr Gewicht.
Julia Bögge bringt auf den Punkt, warum Formate wie Foodboom gerade so durch die Decke gehen: Food is the new Fashion. Was früher mit dem schicken Mantel gezeigt wurde, transportiert heute ein Instagram-Bild von einem perfekt zubereiteten Dry Age Beef. „Kochen ist mehr als Ernährung. In unserer schnelllebigen Welt hat die Ernährung zuletzt oft gelitten, aber jetzt denken die Leute um. Früher wurde in den Familien gekocht, in unseren immer kleiner werdenden Haushalten lohnt das nicht, und man tut sich zu Kochabenden zusammen“, sagt Heinz. Wenn der Analytiker selbst mal unter der Hektik der Welt leidet, dann schält er fünf Kilo Obst für seine Kinder, schon fühlt er sich weniger gestresst.
Viele Dinge, die vom Laster gefallen scheinen
Das Büro des 35-Jährigen liegt in einem anderen Gebäudekomplex als das TV-Studio und ist nur schwer zu finden, bzw. man vermutet den Eingang einfach nicht zwischen einem Teppichhändler und dem Ria Money Transfer. Wer die Billstraße in Rothenburgsort noch nie gesehen hat, der muss beim ersten Besuch zugeben, wie wenig er Hamburg kennt.
Ein kleiner Spaziergang reicht, um auf 100 Nationen zu treffen und ebenso viele Dinge, die irgendwo vom Laster gefallen sind. Mikrowellen, Schuhe, Kronleuchter, Gartenzwerge oder Matratzen, die im Nieselregen auf der Straße lagern. Versuchen Sie kein Foto von den skurrilen Warenbergen zu machen, es sei denn, Sie wollen Ärger.
Einer neuen Kollegin riet ein Foodboom-Mitarbeiter scherzhaft, ihr Auto panzern zu lassen. Doch die Chefs schätzen diese Gegend. „Vieles hier scheint unorthodox, schmerzhaft, verrückt, laut, dreckig und rechtsfrei zuzugehen“, sagt Heinz. „Aber wir haben uns in Rothenburgsort unsere eigene kulinarische Spielwiese geschaffen.“