Hamburg. Die Schneekatastrophe im Winter 1978/1979 machte den Teenager Frank Böttcher zum Hobbymeteorologen.

Vermutlich ist der Schnee schuld. Frank Böttcher war in jenem Winter, von dem er noch seinen Enkeln erzählen wird, knapp elf Jahre alt. Der Dezember 1978 und Januar sowie Februar 1979 hatten so gar nichts von ihren regengrauen, dauernassen, nieselmilden Nachfolgern, sondern waren die Monate der doppelten Schneekatastrophe. Gleich zweimal bliesen Blizzards über Deutschlands Norden, verwehten den Schnee meterhoch und drückten das Thermometer unter 20 Grad minus. Jedes Schulkind begann den Morgen hoffnungsfroh am Radio – würde heute wieder der Unterricht ausfallen?

Die Länge der NDR-Verkehrsnachrichten erinnerte in diesen Tagen fast an „Ulysses“ von James Joyce. Doch wie es der Zufall wollte, weilte der kleine Frank mit seiner Familie nach Weihnachten zum Skiurlaub im Allgäu – wo kein Schnee lag. „Um uns die Zeit zu vertreiben, habe ich mit meiner Schwester am Rand der Skipiste Fünf-Mark-Stücke gesucht – die fielen den Läufern gern aus den Taschen.“ Der Schnee war längst anderswo gefallen – in der norddeutschen Tiefebene.

Fahrt wurde zur Odyssee

Als die Böttchers die Bilder der Schneekatastrophe in der „Tagesschau“ sahen, packten sie sofort für die Rückfahrt – man wollte rechtzeitig in Hamburg sein. Die Fahrt wurde zur Odyssee. Morgens um vier Uhr brach die Familie auf, am Abend hatten sie es gerade bis in die Kasseler Berge geschafft. Dort waren schon die Lkw auf dem rechten Fahrstreifen liegen geblieben, nichts ging mehr; am nächsten Tag kämpften die Böttchers sich in weiteren zehn Stunden bis nach Othmarschen durch. „Und als wir ankamen, mussten wir erst einmal einen Parkplatz freischaufeln.“

Die Schneemassen begeisterten den Zehnjährigen. „Ich weiß noch, wie enttäuscht ich war, als der Nachrichtensprecher von einem Ereignis sprach, dass nur als 100 Jahre vorkommt“, erinnert sich Böttcher. Und fügt nach einer Kunstpause mit verschmitztem Lächeln hinzu: „Der Mann wusste nicht, dass das Wetter ein Wiederholungstäter ist.“

Wetterstation im Garten

Nur sieben Wochen später rollte die nächste Schneewalze auf Hamburg zu – Kaltluft aus Skandinavien traf über Norddeutschland erneut auf Warmluft aus dem Süden. Am 18. Februar 1979 lag in Hamburg die höchste jemals gemessene Schneedecke: 67 Zentimeter. „Diese zweite Katastrophe war wohl das Schlüsselerlebnis“, sagt Böttcher.

Er sammelt fortan die Wetterberichte des Abendblatts und heftet sie fein säuberlich in einen Ordner. Er stellt eine Wetterstation in den Garten und arbeitet als ehrenamtlicher Beobachter des Deutschen Wetterdienstes und erfasst Niederschlagsdaten. In der siebten Klasse referiert er am Gymnasium Hochrad über Tornados, sein Schulpraktikum führt ihn zum Seewetteramt, der Wetterbericht wird seine Lieblingssendung. „Damals waren die Wetterberichte für 24 Stunden so genau, wie sie es heute für den fünften Tag sind.“

Er ist ein Kommunikationstalent

Trotzdem entscheidet er sich nach seinem Zivildienst in einer Seniorenwohnanlage in Ottensen für einen anderen Beruf – und geht als Werbekaufmann nach Berlin. In dieser Zeit schreibt er mit zwei Freunden ein Musical zum Schülerdrama „Die Welle“. „Weder spiele ich ein Instrument, noch kann ich Noten lesen. Das hat mich aber nicht vom Komponieren abgehalten“, sagt der heute 50-Jährige. Als Kommunikationstalent organisiert er das dreitägige Gastspiel im Münchner Gasteig und wirbt vom Zigarettenkonzern West 15.000 Mark als Sponsoring ein.

In Berlin hält es ihn nur dreieinhalb Jahre. „Ich hatte erwartet, dass die Hauptstadt die große Werbemetropole wird, aber so schnell ging es nicht.“ 1994 kehrt er in seine Heimatstadt zurück und fängt bei der Agentur Menzel Nolte an. Später macht er sich mit der Grafik- und Internetagentur Ferdinandgruppe selbstständig. In dieser Zeit, als das Internet laufen lernt, kommt die alte Passion zurück: das Wetter.

1998 startet Böttcher seine Webseite

1998 startet Böttcher seine Webseite Wetterspiegel.de – in einer Zeit, als nur zwei meteorologische Seiten das Geschäft unter sich aufteilen. Sein Clou ist das Niederschlagsradar des DWD, das er auf die Website stellen darf. Böttcher verkauft seine Anteile an der Agentur und setzt aufs Wetter – allerdings in Form eines gedruckten Wettermagazins. „Ich hatte große Lust, das Verlagswesen kennenzulernen, und wollte mal Verleger sein.“

Er gründet eine Redaktion und hat nach sechs Monaten immerhin 3500 Abonnenten. Als aber die Geldgeber knausern, stellt er das Projekt kurzerhand ein. Das Wetter aber lässt ihn nicht los, und so hebt er den Extremwetterkongress aus der Taufe. „Das Wort Klima weckt viele negative Assoziationen. Extremwetter hingegen ist zwar aus der Nähe gefährlich, aus der Ferne aber faszinierend.“

Nicht die ganze Familie ist wetterverrückt

Er gründet das private Institut für Wetter- und Klimakommunikation. Der dreifache Vater bietet sich Medien als Wetterfrosch an – bei Hamburg 1 und dem Abendblatt feiert er erste Erfolge, bald kommen NDR und Radio Hamburg hinzu. Seine Moderationserfahrung, einst im Offenen Kanal eingeübt, hilft ihm – und sein Talent, so fröhlich wie fundiert übers Wetter zu plaudern. „Wissen Sie, warum unsere Wohnungen und Büros meist 23 Grad warm sind?“, fragt Böttcher gern seine Gesprächspartner. „Ganz einfach: Wir holen uns das Lieblingswetter ins Haus.“ Und er weiß, wo das Wetter in Hamburg am besten ist: Am trockensten sind Neuwiedenthal und Neugraben, während der Nordwesten und die Elbvororte am meisten Regen abbekommen.

Im Oktober 2017 hat Böttcher sein Institut mit dem Wetterdienstleister Q.met zusammengeführt. „Das gibt mir die Freiheit, Dinge zu machen, die mir wichtig sind.“ Schon lange engagiert er sich für ein Schaufenster der Wissenschaft, eine Kombination aus Erlebnis- und Entdeckerwelt. Am 19. Mai wird er im Theaterstück „Das Wetter“ an der Gaußstraße mitwirken. Mit dem Meteorologen Sven Plöger hat er 2013 das Buch „Klimafakten“ publiziert, diese Woche stellte er mit seinem 14-jährigen Sohn Jonathan die „Reise durch das Extremwetter der Erde“ vor. In dem Buch werfen Vater und Sohn einen ungewöhnlichen Blick auf das Wettergeschehen. Über die Extreme und Superlative nähern sie sich der Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Nicht die ganze Familie ist wetterverrückt. Die elfjährigen Zwillinge und seine Frau, die als Grundschullehrerin arbeitet, seien eher „Wetternutzer“. Da trifft es sich gut, dass sie als Deutsch-Französin der Familie auch ein Standbein bei ihren Eltern in Südfrankreich verschafft.

Nächste Woche: Cornelia Poletto, Fernsehköchin und Gastro-Unternehmerin