Hamburg. Vor 50 Jahren eröffnete der Fernsehturm. Als es ein Ereignis war, in 127 Meter Höhe einen Kaffee zu trinken.

Rund um die Rentzel­straße ist der Teufel los. Überall stauen sich die Autos, vor dem markanten Neubau bildet sich eine lange Schlange. 500 Eintrittskarten sind vorab verlost worden, die Gewinner dürfen vor allen anderen kostenlos nach oben düsen. „Richtung Himmel in 21 Sekunden“, schreibt eine Zeitung. Erst danach sind die anderen Neugierigen dran – für moderate zwei Mark ­Eintritt. Kinder zahlen die Hälfte. Die Gas­tro­nomie hat noch geschlossen, trotzdem besichtigen schon am Eröffnungswochenende vor 50 Jahren 28.500 Menschen den neuen Fernsehturm.

Drei Jahre lang hatten die Hamburger bei den Bauarbeiten zugesehen, die sie aus vielen Ecken der Stadt verfolgen konnten. Mit seinen 279,2 Metern überragt der Riese noch immer alle anderen Gebäude der Stadt und ist zudem der sechst­höchste Fernsehturm Deutschlands. Auf den 204 Meter hohen Stahlbetonkörper folgt ein stählerner Gittermast mit Rundfunk- und Fernsehantennen, der zunächst 67,5 Meter hoch war und heute 75,2 Meter misst. Und auch das haben Experten ermittelt: „In Restauranthöhe beträgt die Schwankung bei Windstärke zwölf etwa 20 Zentimeter, an der Spitze ungefähr das Zehnfache.“

Wackelige Schritte in die Zukunft

Viele von denjenigen, die vor 50 Jahren dabei sind, haben sich noch nie in vergleichbaren Höhen bewegt – das wird angesichts der massenhaften Fernreisen unserer Tage leicht vergessen. Für sie bedeutet der Besuch auch ein paar wackelige Schritte in die Zukunft, und nicht wenigen ist dabei etwas mulmig. Sechs Meter pro Sekunde düsen die beiden Fahrstühle hinauf zur Aussichtsplattform auf rund 124 Metern. Darüber, in 127 Metern, liegen Bar und Restaurant, die erst Wochen später öffnen, dann aber Spektakuläres bieten: Innerhalb einer Stunde dreht sich der Raum einmal um die Achse des Turms, sodass die Gäste an ihren Tischen innerhalb von 60 Minuten die Stadt in ihrer ganzen Ausdehnung sehen können.

Erst am 11. Mai 1968 wird die offizielle Eröffnung mit einem abendlichen Empfang gefeiert. Einen Tag vorher hatten alle an dem Projekt Beteiligten mit einem Fest Abschied von „ihrer“ Baustelle genommen. Eine Zeitung schrieb damals, sie dürften „mit heimlichem Stolz auf ein attraktives Werk der Ingenieur-Kunst und großartiger Beherrschung des Handwerks blicken“. Da ist weitgehend vergessen, dass der Turm vorab als „langweilige Röhre“ kritisiert worden war. Immerhin ist es der kostengünstigste Entwurf.

Ein Bier kostete 50 Pfennig

Nicht nur der Eintritt, auch die Preise für leibliche Genüsse in schwindelnder Höhe sind niedrig, wie eine Liste aus dem Hamburger Abendblatt von damals zeigt. Ein Bier kostet 50, ein Kännchen Kaffee 95 Pfennig. Ein Schnitzel mit Pommes ist für drei Mark zu haben, auch ein Kombi-Ticket „Turm/Planten un Blomen“ wird angeboten: für 2,50 Mark.

Dabei war der Turmbau zu Hamburg alles andere als preiswert. Die Gesamtkosten werden auf 57,2 Millionen Mark beziffert, von denen die Bundespost rund 20 Millionen Mark übernommen hatte. Offiziell heißt das Bauwerk zwar Heinrich-Hertz-Turm, aber in Hamburg spricht man allgemein von Fernsehturm. Noch populärer wird ein Spitzname, den das Abendblatt schon am Eröffnungstag etabliert: Telemichel.

Der Neubau war initiiert worden, weil der Bunker auf dem Heiligengeistfeld, ursprünglicher Knotenpunkt des Fernmeldewesens, für die wachsende Zahl an benötigten Antennen in den 60er-Jahren nicht mehr ausreichte. Die Bundespost, die für die Ausstrahlung einiger TV-Programme zuständig war, entschied sich deshalb, in der Stadt einen leistungsfähigen Fernmeldeturm errichten zu lassen. Übrigens: Bei der Eröffnung und in den ersten Jahren danach sah der Telemichel noch wesentlich trister aus. Erst Anfang der 80er-Jahre erhielt er seinen weißen Schutzanstrich, nachdem ihm Wind und Wetter zugesetzt hatten. Auf älteren Fotos wirkt er entsprechend grau und etwas schäbig.

Was sich vor 50 Jahren kaum jemand vorstellen konnte: Die anfängliche Begeisterung für den Telemichel nahm mit den Jahren spürbar ab. Raumknappheit, gestresstes Personal und eintönige Küche sorgten dafür, das man sich oben – Jahre vor dem Rauchverbot an öffentlichen Plätzen – oft wie in einer verqualmten Kantine fühlte, und Kuchen und Torten, die es nachmittags für fünf Mark „satt“ gab, schmeckten auch so. Hinzu kam der stadtweit einsetzende Boom bei Erlebnis- und Außengastronomie, der bei schönem Wetter Gäste abzog. Die Besucherzahlen gingen in den 90er-Jahren deutlich zurück, und als der Turm am 1. Januar 2001 wegen Asbestbelastung geschlossen wurde, hielten sich die Proteste in Grenzen.

Das lange Warten auf eine neue Nutzung

Dass der mittlerweile denkmalgeschützte Fernsehturm schon seit 17 Jahren im Dornröschenschlaf dämmert, muss allerdings befremden, denn immerhin ist er ein Hamburger Wahrzeichen und aus dem Stadtbild nicht wegzudenken. „Wer vom rotierenden Restaurant (...) das Panorama genießt, wird zwangsläufig auch eines der problematischsten Reviere betrachten“, hieß es in einem Buch 1978 über die Umgebung des Fernsehturms: „das sanierungsbedürftige Sternschanzenviertel rund um den Schlachthof und den ungenutzten Wasserturm.“

Heute hat sich die Situation umgekehrt: Der sanierungsbedürftige Turm steht in einer schicken, lebendigen Gegend, in der hohe Preise verlangt und bezahlt werden. In den vergangenen Jahren schien die Wiedereröffnung oftmals nur noch eine Frage der Zeit. Mal ließen sich Politiker werbewirksam oben im ausgeräumten Restaurant fotografieren und als Retter feiern, mal wurden spektakuläre Hotelpläne präsentiert, die dann wieder in der Versenkung verschwanden. Aber vielleicht kann Hamburg in ein paar Jahren wieder eine so spektakuläre Eröffnung feiern wie 1968.