Hamburg. Der Holländer Sebastiaan van Herk ist Hochwasserexperte mit Sinn für Ästhetik. Was Bollwerke künftig leisten müssen.

Einer, der alles gesehen hat auf der Welt, der jede Spundwand mit Vornamen kennt, der für die Uno an Orte fährt, die von Hochwassern heimgesucht wurden, der als absoluter Experte für den Umgang mit Starkregen gilt, und der noch dazu Holländer ist, also von Natur aus dem Wasser einiges abtrotzen kann, was denkt so jemand eigentlich über Hamburg? „Tja“, sagt Sebastiaan van Herk, „Ich beneide euch.“ Spätestens seit 1962 könne jeder Hamburger etwas mit Hochwasserschutz anfangen, es gebe ein Bewusstsein dafür. In Holland sei das ganz anders.

Smart, energisch, maßanzugtragend, in Holland geboren, in Barcelona lebend und mit 37 Jahren ziemlich jung für einen Hochwasserschutzpapst: Sebastiaan van Herk würde auch als Unternehmensberater oder Kosmopolit durchgehen. Der Doktor des Ingenieurwesens spricht aber gerade in Hamburg mit Experten aus sechs nordeuropä­ischen Ländern über Überschwemmungsproblematiken, Klimawandel und innovative Teilhabe. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei darauf, dass Flutschutz nicht hässlich sein muss. Hamburg sei da ein Musterbeispiel für Ästhetik und Nutzung des Hochwasserschutzbaus.

„Ihr Hamburger habt einen natürlichen Umgang mit Hochwasserschutzanlagen, ihr seht jeden Tag Ebbe und Flut oder Häuser mit Flutschutztüren.“ Der Katastrophenschutz sei ins Leben integriert, ohne als solcher wahrgenommen zu werden. „Und an der Elbe sieht er auch noch gut aus“, schwärmt van Herk. „Keine Wände oder schlichte Deiche – ihr habt eine begehbare Promenade!“ Auf der sogar Festivals wie der Hafengeburtstag gefeiert werden. Das treffe absolut den Zeitgeist. Obwohl man Städte nicht vergleichen könne, Rotterdam etwa schützt sich mit einem riesigen Sperrwerk an der Maas-Mündung vor Sturmfluten, könnten andere Me­tropolen in Hamburg etwas lernen – etwa bei der Hochwasserschutzanlagengestaltung. Andersherum funktioniert das auch: „Göteborg in Schweden etwa lässt Künstler mitreden. Sehr originell!“

Umdenken beim Hochwasserschutz

Während viele Städte ihrer Wasserseite jahrzehntelang den Rücken zugekehrt haben, wenden sie sich jetzt diesem Potenzial zu. In den vergangenen Jahren musste deshalb auch ein Umdenken beim Hochwasserschutz einsetzen. Er soll nicht nur funktional und sicher sein, sondern auch schön und nutzbar. Und zwar nicht nur beim Schutz vor Sturmfluten, sondern auch in der ganzen Stadt, beim Schutz vor Starkregen.

„In Hamburg wird grundsätzlich das Richtige gemacht – das Wasser wird in etwa 200 Rückhaltebecken dezentral aufgefangen und abgeleitet.“ Ideal wäre laut van Herk allerdings, wenn stark versiegelte Städte wie ein Schwamm funktionieren würden. Mit saugfähigen Baustoffen oder zusätzlichen Grünflächen, gern auf Straßen, die Feuchtigkeit schlucken und Wasser reinigen. Damit könnten lokale Überschwemmungen reduziert werden. „Und man kann mit dem Hund darauf Gassi gehen oder eine Laufstrecke anlegen“, so van Herk. Norwegen und England seien auf diesem Gebiet Vorreiter. Inzwischen werde dieser Aspekt aber auch in Hamburg bei jedem Straßenumbau mit geprüft, sagt Gabriele Gönnert vom Landesbetrieb für Straßen, Brücken und Gewässer.

Beim Kongress von 16 europäischen Hochwasserschutzexperten soll die Expertise Hamburgs für die Herausforderungen der Zukunft gestärkt werden, so Michael Pollmann, Staatsrat der Umweltbehörde. Was machen die anderen? Wo stehen wir im internationalen Vergleich? Angepasste Infrastrukturmaßnahmen müssen künftig vor Klimafolgen schützen und bestenfalls die Lebensqualität steigern.

Bürger sollen mitreden

Bei Bürgern werde die Akzeptanz von Überschwemmungsschutz jedenfalls deutlich erhöht, sagt Sebastiaan van Herk, wenn sie bei Gestaltung und Nutzung mitreden dürften. Die Promenade am Baumwall nach Plänen der inzwischen verstorbenen Londoner Architektin Zaha Hadid sei exzellent. „Im Vergleich habt ihr einen sehr schönen Flutschutz“, so van Herk.

Der Bau ist bekanntlich Abschluss eines auf viele Jahre angelegten, mehrere Hundert Millionen Euro teuren Hochwasserschutzprogramms, mit dem die Stadt seit 1990 Deiche und Flutmauern erhöht, um für einen Anstieg des Meeresspiegels gewappnet zu sein. Inzwischen wurde es bis 2050 neu aufgelegt. Aktuell beträgt die Risikoberechnung für die Stadt 1:7000, in Rotterdam sind es 1:10.000. „Aber dieser eine Tag in 7000 Jahren kann immer morgen sein“, sagt van Herk.

Für Hamburg als wachsende Stadt sei künftig entscheidend, den Überschwemmungs- und Flutschutz mit einem Mehrwert für die Bürger zu bauen. Sicher, aber auch ästhetisch und funktional. „Damit man in zehn Jahren nichts bereuen muss“, so der Experte.