Hamburg. Jüdische Gemeinde Hamburg entspannt. Mehr Probleme mit Erdogans Einfluss als mit Flüchtlingen. Streit über AfD-Antrag.

Die Jüdische Gemeinde schätzt die Wahrscheinlichkeit von antisemitischen Beleidigungen oder Übergriffen in Hamburg als vergleichsweise gering ein. „In Hamburg gibt es deutlich weniger offenen Antisemitismus als in anderen deutschen Großstädten. Verglichen mit Brennpunkten wie Berlin leben wir hier in einer Art ‘Splendid Isolation’“, sagte Daniel Killy, Sprecher der Jüdischen Gemeinde Hamburg, dem Abendblatt mit Blick auf die aktuelle Debatte.

Wenn es Antisemitismus von Migranten gebe, gehe dieser häufig von türkischen Organisationen wie Ditib aus, so Killy. „Meines Erachtens ist der Erdogan’sche Einfluss auf einen Teil der Deutsch-Türken ein größeres Problem als etwa Flüchtlinge“, so Killy. „Der moderne Antisemitismus heißt Antizionismus oder Israelkritik.“

AfD will Übergriffe, die sich gegen Konfession von Schülern richten, erfassen lassen

Mit Blick auf einen aktuellen Antrag der AfD, in dem eine Registrierung aller Fälle „religiösen Mobbings gegen Juden und Christen an Schulen“ gefordert wird, sagte der Sprecher der Jüdischen Gemeinde: „Die AfD versucht seit längerem, das Thema einer vorgeblichen muslimischen Bedrohung zu instrumentalisieren und mit dem Schüren von diffusen Ängsten vor Muslimen auch Einfluss auf Mitglieder der Jüdischen Gemeinde zu nehmen. Ich finde das widerlich.“ Ihm selbst sei als „relativ exponiertem jüdischen Journalisten in all den Jahren übrigens kein persönlicher Antisemitismus begegnet“, so Killy weiter – „eine Menge an antiisraelischem Ressentiment hingegen schon“.

In dem von Schulpolitiker Alexander Wolf formulierten Bürgerschaftsantrag fordert die AfD, „die Richtlinie zur Bearbeitung und Meldung von Gewaltvorfällen in Schulen um die Kategorie ‘religiöses Mobbing’“ zu ergänzen. Darin eingeschlossen sollen nach Vorstellung der AfD sein: „alle Straftaten (zum Beispiel Beleidigung, Körperverletzung), Vorfälle und Vorkommnisse, die sich gezielt gegen die Konfession eines Schülers/einer Schülerin oder eines Lehrers/einer Lehrerin an den Hamburger Schulen richten“. Auch die Motive für die Übergriffe und weitere Hintergründe sollten statistisch erfasst werden.

Hamburger Schulbehörde lehnt ein Meldesystem ab

Die Schulbehörde lehnt diesen Vorschlag ab. „Die Hamburger Schulen haben in besonderem Maße die große und wichtige Aufgabe, dass alle jungen Menschen die Werte unserer Gesellschaft wie zum Beispiel Demokratie, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung von Mann und Frau, lernen und danach leben“, sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD) dem Abendblatt. „Verstöße gegen ein gutes Zusammenleben müssen deshalb in jedem Fall unterbunden und ggf. auch sanktioniert werden. Das gehört zum Lernen genauso dazu wie das Einüben von Regeln und die positive Verstärkung des erfolgreichen Miteinanders. Schulbehörde und Lehrkräfte arbeiten engagiert an Verbesserungen in diesem Sinne“, so Rabe. Ein Meldesystem aber führe „zu einem enormen bürokratischen Aufwand, zahlreichen Missverständnissen und Falsch-Klassifizierungen und hilft weder Kindern noch Lehrkräften“.

SPD-Bildungspolitikerin Barbara Duden sagte, wenn es „zu entsprechenden Übergriffen an Schulen kommt, werden die auch heute bereits dokumentiert, sanktioniert und auch gegebenenfalls der Polizei gemeldet“. Den Schulen stünden dabei vielfältige Unterstützungsangebote und Beratungsstellen zur Verfügung.

Grüne sieht in AfD-Antrag die Absicht, Angst zu schüren

Grünen-Schulpolitikerin Stefanie von Berg sagte, es sei „an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten, dass ausgerechnet die AfD sich als Anwalt ‘religiöser Minderheiten’ in Hamburg aufspielt“. Es gehe der Partei „einzig und alleine um weitere Diskriminierung Geflüchteter und um das Schüren von Angst“. Antisemitismus sei „schon vor der Gründung der AfD ein Verbrechen“ gewesen. „Die Darstellung, Deutschland habe sich mit den muslimischen Mitbürgern den Antisemitismus ‘ins Land geholt‘ ist in besorgniserregendem Ausmaß geschichtsvergessen.“

Linken-Innenpolitikerin Christiane Schneider betonte: „Die bundesweit zunehmenden antisemitischen Vorfälle dürfen nicht bagatellisiert werden, schon gar nicht in Deutschland, dem Land des Holocaust.“ Was die Schulen angehe, sei „ein Bündel vor allem auch präventiver Maßnahmen“ nötig. „Der Religionsunterricht für alle ist zum Beispiel ein sehr wichtiger Beitrag zur Wahrung des religiösen Friedens“, so Schneider. „Sehr unterstützenswert sind auch die Initiativen von Vertretern der Schura und der jüdischen Gemeinde, die gemeinsam in Schulen über Antisemitismus aufklären. Unerträglich aber finde ich die Scheinheiligkeit, mit der ausgerechnet die Partei, die keine Gelegenheit auslässt, den Kulturkampf gegen den Islam und die Muslime zu entfachen, wie ein Wolf im Schafspelz gegen religiöses Mobbing zu kämpfen vorgibt.“

FDP-Fraktionschefin Anna von Treuenfels-Frowein sieht ein „massives Integrationsproblem in Schulen und in öffentlichen Einrichtungen“. Auch religiöses Mobbing sei „keine Seltenheit mehr in unserer Stadt“, so Treuenfels-Frowein. „Doch Rot-Grün ignoriert das Thema. Dabei gilt für Straftaten und für Integrationsprobleme: Sie nehmen zu, wenn man wegschaut.“ Die FDP sei überzeugt, „dass wir diese unbequeme Wahrheit aus der Mitte der Gesellschaft heraus ansprechen und Lösungen finden müssen“. Man dürfe das Thema nicht den „Vertretern des Rechten Randes überlassen“.

Schwerpunkt soll auf Prävention liegen

CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver sagte, „Antisemitismus, Islamismus, Rechts- und Linksextremismus müssen mit gleicher Härte bekämpft werden, denn sie sind mit unseren demokratischen Grundwerten nicht vereinbar“. Der Schwerpunkt müsse aber auf Prävention liegen. „Zählen, abheften und vergessen, wie die AfD es sich wünscht, ist nicht der richtige Weg. Statt nur ein krudes Weltbild zu bestätigen müssen wir aktiv werden“, so Stöver. Konflikte müssten „frühzeitig erkannt, eingeschätzt und im Keim erstickt werden“.

Die jüdische Gemeinde Hamburg ist mit rund 3500 Mitgliedern eine der größten in Deutschland.