Hamburg. Der am Montag in Hamburg gefundene Tote wurde eindeutig identifiziert. Aber Fragen bleiben. Ein Rechtsmediziner gibt Antworten.

Nach dem Fund eines Toten in der Elbe ist es nun traurige Gewissheit: Es ist der Schotte Liam Colgan. Bei einer Obduktion im Institut für Rechtsmedizin wurde der 29-Jährige anhand seines Zahnstatus eindeutig identifiziert, teilte die Polizei mit. Hinweise auf eine gewaltsame Fremdeinwirkung haben sich demnach nicht ergeben. Die Ermittlungen zur Todesursache dauerten an.

Liam Colgan war seit dem 10. Februar vermisst worden, als er bei einer Feier zum Junggesellenabschied seines Bruders aus einer Kneipe an der Reeperbahn verschwand. Nach dem Mann hatte es eine beispiellose Suchaktion gegeben. Am Montag war seine Leiche in einem Hafenbecken entdeckt worden.

Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel im Institut für Rechtsmedizin des UKE
Rechtsmediziner Prof. Klaus Püschel im Institut für Rechtsmedizin des UKE © HA / Mark Sandten | HA

Dass Vermisste, nachdem sie im Wasser landen, erst nach Wochen oder sogar Monaten wieder auftauchen, komme sehr häufig vor, sagt Prof. Klaus Püschel­, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin. „Das Auftauchen des Leichnams etwa zum jetzigen Zeitpunkt entsprach durchaus meiner Prognose, die dahin geht, dass es im Frühjahr an der Elbe zwei bis drei Monate dauern kann, bis ein Körper von Fäulnisgas an die Oberfläche gedrückt wird. Ansteigende Temperaturen verursachen eine Vermehrung der Fäulnisbakterien. Und Bakterien sind Gasbildner. Dieser Gasdruck sorgt für Auftrieb des Leichnams.“ Ähnlich seien die Zeit- und Temperaturverhältnisse auch im vergangenen Jahr gewesen, als der HSV-Manager Timo Kraus gesucht und nach etwa zwei Monaten geborgen wurde.

Die Stelle, wo ein Leichnam auf­getaucht ist, müsse keineswegs die gewesen sein, wo er ins Wasser gefallen sei, sagt Experte Püschel. Speziell bei der Elbe sorgten Strömungen und Gezeiten dafür, dass Körper in Bewegung gerieten. „Und sogar beschwerte Leichen treiben wieder hoch.“ So war es etwa im Fall des im Juli 2015 verschwundenen Familienvaters aus Drage, dessen Leichnam mit einem 25-Kilo-Betonklotz vertäut war – und den der Gasdruck gleichwohl an die Oberfläche beförderte.

Unfälle häufiger als Verbrechen

„In Hamburg haben wir Rechtsmediziner besonders viele Erfahrungen mit Wasserleichen“, betont Püschel. „Hier gibt es unterschiedliche Gewässer – und damit unterschiedliche Befunde bei Süßwasser und Brackwasser.“ Im vergangenen Sommer etwa verschwand eine farbige Prostituierte, von der nach und nach Leichenteile in unterschiedlichen Gewässern geborgen wurden. Dieser Mordfall ist noch nicht aufgeklärt.

Darüber, ob es sich bei Wasser­leichen häufiger um Unglücksfälle oder Verbrechen handelt, gibt es keine verlässlichen Erhebungen. „Aber gefühlt kommen die Unfälle häufiger vor“, sagt der Rechtsmediziner. „Es passiert immer wieder, dass Unvorsichtige ins Wasser fallen, weil sie beispielsweise ausrutschen oder weil sie etwa in betrunkenem Zustand oder unter Drogeneinfluss vorn überkippen. Außerdem gibt es Leute, die beim Schwimmen ihre Kräfte über- oder Strömungen unterschätzen und untergehen. Manche Menschen begehen im Wasser Suizid. Und natürlich kann eine Leiche in ein Gewässer geworfen oder jemand ertränkt werden.“

Der Ertrinkungsvorgang dauere in der Regel drei bis sechs Minuten, erläutert Püschel. Entgegen der Darstellung in vielen Krimis, in denen Wasser in der Lunge als Nachweis eines Ertrinkungstodes dargestellt wird, sei dies kein eindeutiger Befund. „Auch Menschen, die nach ihrem Tod ins Wasser gelangen, beispielsweise bei einem tödlichen Herzinfarkt von Bord eines Schiffes fallen, können Wasser in der Lunge haben.“ Das Ertrinken sei vielmehr unter anderem an einer sehr stark überblähten Lunge und an Schaum in den Atemwegen zu erkennen.

Warum der Zahnstatus wichtig ist

Je länger ein Toter im Wasser gelegen hat, desto schwieriger werde die Identifizierung, weil dann die Verwesung einsetzt, so Püschel. „Je wärmer das Wasser, desto schneller beginnt dieser Prozess.“ Wichtig sei deshalb der Zahnstatus. „Der ist auch bei starker Fäulnis noch verlässlich.“ Eine eindeutige Erkennung über DNA ist immer das sicherste Mittel, aber wegen des technischen Aufwands auch problematisch.

Bei der Frage, ob es sich um einen natürlichen Tod oder ein Tötungsdelikt handelt, wird vor allem nach Verletzungen gesucht und festgestellt, ob sie noch zu Lebzeiten oder erst nach dem Tod zugefügt wurden. „Oft kommt es auch vor, dass schwerste Verletzungen oder sogar Amputationen von Gliedmaßen mitnichten auf ein Verbrechen zurückzuführen sind, sondern beispielsweise durch Schiffsschrauben verursacht wurden.“

Ein besonderes Phänomen bei Toten im Wasser sei die sogenannte Fettwachsbildung, erklärt Püschel. „Das geschieht bei kühlen Temperaturen und weitgehendem Sauerstoffabschluss.“ Eine vollständige Umwandlung dauere Jahre. „Letztlich ist der Körper dann in eine stark verhärtete, mörtelartige Struktur umgewandelt.