Hamburg. Ohne die Meldungen aus einem kleinen Haus am Landebahnkreuz dürfte am Flughafen in Fuhlsbüttel keine Maschine landen.
Das Staunen über einen der ungewöhnlichsten Arbeitsplätze in Hamburg beginnt schon bei der Anfahrt: Vom Tor des Betriebsgeländes sind es acht Kilometer mit dem Auto auf einer landstraßenähnlichen Piste, streckenweise gesäumt von Baumreihen und Waldstücken. Zwar befindet man sich am Ziel der Fahrt mitten im Stadtgebiet. Die Tierwelt lässt aber anderes vermuten. „Hier leben zwei oder drei Fuchsfamilien“, sagt Ulrike von Bargen, Mitarbeiterin des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Hamburg. „Außerdem gibt es mehrere Falken – und sehen Sie dort den Mäusebussard fliegen? Wunderschön.“
Doch die Arbeit, die Ulrike von Bargen und ihre Kollegen an diesem erstaunlichen Ort leisten, gilt den hundertfach größeren Vögeln aus Aluminium, die gut 150 Meter entfernt starten und landen. Nur wenn aus dem zweistöckigen Häuschen der Wetterbeobachter auf dem Gelände des Hamburger Flughafens jede halbe Stunde eine Meldung zu den aktuellen Wetterbedingungen gesendet wird, darf der Flugbetrieb weitergehen.
Seit 2011 Leiter der Flugwetterwarte
„Selbst bei wolkenlosem Himmel und bester Sicht ginge ohne diesen Bericht gar nichts mehr“, sagt Jörn Gronemann. Er ist seit 2011 Leiter der Flugwetterwarte Hamburg und in dieser Position der Nachfolger von Ulrike von Bargen, die bereits seit 1973 in Fuhlsbüttel arbeitet und heute als Beauftragte für die Flugwetterwarten in Hamburg, Bremen und Hannover tätig ist. In Hamburg gehören außer den zwölf Wetterbeobachtern, die im Schichtbetrieb ihren Arbeitsplatz hinter den großen Glasscheiben im Obergeschoss des kleinen Hauses nahe dem westlichen Rand des Airportgeländes haben, weitere 16 Kolleginnen und Kollegen dazu, die an Computerbildschirmen im Terminalgebäude sitzen. Ihre Aufgabe ist es, Vorhersagen zu erstellen und in besonderen Fällen den Piloten für eine individuelle Wetterberatung zur Verfügung zu stehen.
Doch die Grundlage für solche Dienstleistungen liefern die Beobachter mit ihren Meldungen im sogenannten Metar-Format. Der weltweit einheitliche Code aus Zahlengruppen und Kürzeln enthält außer der Kennung des Flughafens (EDDH für Hamburg-Fuhlsbüttel) und dem Gültigkeitszeitpunkt aktuelle Angaben zu Temperatur, Windrichtung und -stärke, Luftdruck, eventuellem Niederschlag, der Wolkenuntergrenze und dem Bedeckungsgrad sowie zur Sichtweite. Manche der Daten werden von den Messgeräten automatisch in den Computer des Wetterbeobachters eingespielt. Das gilt bei Nebellagen auch für die Sichtweite entlang der Landebahnen; sie wird mittels eines Infrarotlichtstrahls ermittelt. „Niemand könnte unter solchen Bedingungen genau sagen, ob man 200 Meter oder 300 Meter weit sehen kann“, erklärt Gronemann.
Sonst aber kommt der Mensch ins Spiel: Auf dem Schreibtisch des Beobachters klebt unter einer Folie ein Panoramafoto der Umgebung mit markanten Geländepunkten und der jeweiligen Distanz zu ihnen. So beträgt die Entfernung bis zum Fernsehturm 7,7 Kilometer. Anhand solcher Orientierungspunkte lässt sich die Sichtweite gut abschätzen.
Beobachter warnen vor schweren Turbulenzen
Zu den Aufgaben des Wetterbeobachters gehört es auch, mittels entsprechender Codes in der Metar-Meldung gegebenenfalls darauf hinzuweisen, ob gerade ein Gewitter aktiv ist oder ob eine bestimmte Wolkenart, aus der sich ein Gewitter entwickeln kann und die starke Turbulenzen mit sich bringt, im Umkreis erkennbar ist. „Nebel, Gewitter und Sturm sind für den Flugbetrieb von besonderer Bedeutung“, sagt Ulrike von Bargen. Bei allen drei Wettererscheinungen kann es erforderlich sein, wesentlich mehr als die üblichen zwei Meldungen pro Stunde abzusetzen, wenn sich die Bedingungen in schneller Folge ändern. „Manchmal wird es dann ganz schön hektisch“, so Gronemann.
Auf ihrem Logenplatz sind die Beobachter ganz nah dran am Wettergeschehen. „Wir können von Beginn an verfolgen, wie ein Gewitter heranrauscht – und gelegentlich bleibt es stundenlang fast genau über uns“, sagt Ulrike von Bargen. Sie hat sich einst nicht zuletzt wegen des Schichtdienstes für den Beruf der Flugwetterbeobachterin entschieden, denn so konnte sie tagsüber relativ viel Zeit mit den Kindern verbringen.
Weil der Flughafen Hamburg auch während der Nachtruhe von null Uhr bis sechs Uhr für eventuelle Notlandungen – etwa wenn ein Passagier dringend ärztliche Hilfe benötigt – offen gehalten wird, ist das Wetter-häuschen rund um die Uhr an allen 365 Tagen im Jahr besetzt. Tagsüber sind dort zeitweise zwei Beobachter im Dienst, aber vom Spätnachmittag an ist man allein.
Abgeschiedener Arbeitsplatz
Gerade in den Nachtstunden, in der Betriebspause des Airports, kann dies dann auch einer der einsamsten Arbeitsplätze Hamburgs sein, vielleicht nicht so gut geeignet für ängstliche Naturen mit viel Fantasie: 900 Meter vor sich sieht man die hell erleuchteten, aber weitestgehend menschenleeren Terminalgebäude, hinter sich nur den dunklen Waldrand. Gronemann spricht nicht von Einsamkeit, er drückt es etwas anders aus: „Man arbeitet schon sehr selbstständig.“
Zwar gibt es auf dem Schreibtisch der Wetterbeobachter ein Uralttelefon, über das man mit den Kollegen im Terminal und mit dem Tower-Personal sprechen kann. Doch bei sehr starkem Schneefall zeigt sich deutlich, wie abgeschieden dieser Arbeitsplatz tatsächlich ist: Es kommt dann vor, dass jemand am Ende seiner Schicht noch längere Zeit nicht abgelöst werden kann, weil die kilometerlange Zufahrt, die in weitem Bogen nördlich um die Start-und-Lande-Bahnen herumführt, unpassierbar geworden ist. „Natürlich geht es vor allem darum, die Bahnen und das Vorfeld schneefrei zu halten“, sagt Gronemann. „Die Umlaufstraße ist das Letzte, was geräumt wird.“
Schönsten Sonnenuntergänge der Stadt
Dafür biete der Beruf aber auch faszinierende Naturerlebnisse, findet der Chef der Wetterbeobachter: „Wir können hier durch das weite Sichtfeld die wahrscheinlich schönsten Sonnenuntergänge Hamburgs genießen. Und wenn über einer ganz flachen Schicht von Bodennebel die Sonne wieder aufgeht, ist das ein unvergessliches Bild.“
Die Stunden zwischen Abend- und Morgendämmerung jedoch können sehr lang sein. Damit der Beobachter den Zeitpunkt für die nächste Meldung nicht verpasst, ertönt immer fünf Minuten vorher eine Art elektronischer Tusch. Es gibt zwar eine Küchenecke für die Zubereitung von einfachen Gerichten und heißen Getränken. „Aber man kann gar nicht so viel Kaffee trinken, dass man nicht doch müde würde“, sagt Ulrike von Bargen.
Außer den halbstündlichen „Metars“ steht jede Stunde noch eine sogenannte synoptische Meldung an. Sie ist ausführlicher und enthält, nach einem Zahlenschlüssel codiert, unter anderem Angaben zu Niederschlagsmengen oder Wettererscheinungen wie etwa Glatteis. Für diese Meldungen muss der Beobachter in den „Garten“ gehen. In dem umzäunten Messfeld gleich neben dem Beobachterhäuschen ragen diverse teils bizarr geformte In-strumente in die Höhe. Die Geräte registrieren zum Beispiel die Temperatur in verschiedenen Höhen über dem Boden, die Größe von Niederschlagspartikeln und die Dauer der Sonneneinstrahlung.
Besonderes Projekt
Hier in Hamburg enthält das Messfeld deutlich mehr Instrumente als an anderen Flughäfen. Denn Fuhlsbüttel wurde für ein besonderes Projekt ausgewählt: An diesem Standort sammelt man Erfahrungen für die vollständige Automatisierung der Flugwetterbeobachtung, die vom DWD für das Jahr 2021 vorgesehen ist. Arbeitslosigkeit droht den deutschlandweit rund 140 betroffenen Beschäftigten nicht – sie sind Beamte und sollen künftig in anderen Funktionen eingesetzt werden.
Die Aufgaben der Kollegen im Flughafengebäude hingegen werden auf absehbare Zeit nicht von Automaten übernommen. Dort entsteht alle sechs Stunden ein „Terminal Area Forecast“ (TAF). Diese kleinräumigen Prognosen für die jeweils nächsten 30 Stunden in einem Umkreis von acht Kilometern gelten als die treffsichersten aller Wettervorhersagen.
Rechenmodelle und Erfahrung
Zwar erhalten die Mitarbeiter stets einen Vorschlag aus dem Computer anhand von verschiedenen Rechenmodellen. „Wir kombinieren diesen Vorschlag aber mit unseren Erfahrungswerten“, sagt Andreas Tschapek, einer der Hamburger DWD-Beschäftigten, „denn so ist das Ergebnis jedem der Modelle überlegen.“ Während Tschapek und die anderen Flugwetterberater ein Meteorologie-Studium abgeschlossen und anschließend eine 15-monatige Zusatzqualifikation erworben haben, absolvierten die Beobachter eine spezielle Ausbildung von 18 Monaten beim DWD. Inzwischen wird sie wegen der geplanten Automatisierung allerdings nicht mehr angeboten.
Lars Kirchknopf, der sich gerade für seine Schicht im Wetterbeobachterhäuschen einrichtet, hat die Ausbildung im Jahr 1991 abgeschlossen. „Für mich kam nur ein Beruf infrage, bei dem man viel Kontakt mit der Natur hat“, sagt Kirchknopf. Wie manche seiner Kollegen fällt ihm allerdings der Dienst in den langen Nachtstunden nicht leicht: „Ich bin absolut kein Nachtmensch und Vorschlafen funktioniert nicht immer. Aber manchmal sehe ich herrliches Morgenrot“, sagt er. „Das belohnt dann für die vielen Stunden allein.“