Hamburg . Uni Hamburg hat die weltgrößte Sammlung wirbelloser Tiere. Andreas Schmidt-Rhaesa wacht über Präparate, die recht eklig sein können.

Aus dem Echsenkopf, eingelegt in Alkohol in einem Glas, treten viele dünne Würmer hervor. Ein Parasit hatte das Tier zu Lebzeiten befallen. Im Regal daneben schwebt aufrecht in einem Glaskörper ein Riesen­regenwurm in einer Alkohollösung. Bestimmt 30 Zentimeter lang ist das Tier. Zu Lebzeiten war es wohl einen Meter lang, im Alkohol ist es geschrumpft. Der Wurm stammt aus Rumänien und ist in den 1990er-Jahren in die Sammlung der Abteilung „Wirbellose Tiere I“ des Centrums für Naturkunde (CeNak) gekommen. Willkommen in der weltgrößten Regenwurmsammlung mitten in Eimsbüttel.

50.000 Objekte aus 25 Tiergruppen

Der rumänische Riesenregenwurm war ein Geschenk eines Forschers. An­dreas Schmidt-Rhaesa freut sich über solche Gaben. Gehören die mehr oder weniger kleinen Tiere doch neben anderer Wurmgruppen zu seinem Spezialgebiet. Schmidt-Rhaesa verantwortet als Kurator die mit 4500 Regenwurmpräparaten weltgrößte Sammlung dieser Art. Und nicht nur das: Der 52-Jährige kümmert sich um rund 50.000 Objekte aus 25 Tiergruppen, aufgereiht in diversen Regalen, eingelegt in Gläsern mit Alkohol und somit für die Ewigkeit präpariert. Neben Regenwürmern gehören zu der Abteilung Wirbellose I etwa Korallen, Schwämme, Seeigel, Seesterne, Nesseltiere, Quallen und viele, viele Würmer.

Igitt? Ein Horrorkabinett hinter den Mauern des CeNak an der Bundesstraße? Ansichtssache. Die einen mögen sich vor diesem präparierten Ohrenkneifer ekeln, aus dessen Körper ein hauchdünner Wurm – wieder ein Parasit – krabbelt. Andere, wie Biologe Schmidt-Rhaesa, finden das einfach nur faszinierend. „Jedes Thema, jedes Tier ist spannend – auch der ekligste Parasit.“

Regenwürmer bewiesen Theorie der Kontinentaldrift

Und Wenigborster erst! So oder auf Lateinisch „Oligochaeta“ nennen Zoologen Regenwürmer. „Das sind hochkomplexe Wesen“, sagt Schmidt-Rhaesa. Ausgestattet mit Geschlechtsorganen, einem Darm, Gehirn, einem Kreislaufsystem, nierenähnlichen Organen. Alles dran, alles drin. Bis auf eine Lunge – Sauerstoff nehmen Regenwürmer über ihre Haut auf. Sie können noch viel mehr: Regenwürmer aus der Hamburger Sammlung haben nichts Geringeres als die Kontinentaldrift-Theorie Alfred Wegeners bewiesen: Der frühere Kurator Wilhelm Michaelsen (1860 bis 1937) unternahm Forschungsreisen nach Südamerika, Südafrika und Australien und sammelte dort Regenwürmer.

Hunderte Arten

„Er hat herausgefunden, dass bestimmte Gattungen auf verschiedene Kontinente verteilt sind, obwohl sie nicht von Kontinent zu Kontinent gelangen können“, so Schmidt-Rhaesa. Diese Erkenntnisse unterstützten die Theorie der Kontinentaldrift, wonach es früher einen Südkontinent gab, der aufbrach und auseinanderdriftete.Regenwürmer können also Großes vollbringen. Es gibt Hunderte Arten. Diese allein mit dem Auge zu unterscheiden gelingt selbst Wurmforschern wie Schmidt-Rhaesa nicht. Dafür braucht er ein Mikroskop, am besten ein Elektronenmikroskop. „Sie unterscheiden sich zum Beispiel darin, in welchem Segment ihr Geschlechtsorgan ausmündet.“

Lange Nacht der Museen mit Beitrag über Parasiten

Im durchschnittlichen Hamburger Garten, schätzt der Experte, leben bestimmt zehn verschiedene Wurmarten. Forscher kommen hierher, um sich die Tiere genau anzusehen. Per Fernleihe werden die Würmer außerdem an die Forschenden verschickt. Das macht man mit Büchern ja auch.

Wenn am kommenden Sonnabend zur Langen Nacht der Museen eingeladen wird, will Andreas Schmidt-Rhaesa im Zoologischen Museum nicht wieder mehr oder weniger allein in einer Ecke stehen. Für Regenwürmer und Würmer ist das Interesse erfahrungsgemäß nicht so überbordend. Dieses Jahr hat der Vater von fünf Kindern eine andere Strategie: Er berichtet über Parasiten, unter dem Motto: Von Band-, Spül-, Saitenwürmern und Blutegeln. Zu den rund 360 Saitenwurmarten, die als Parasiten in Insekten leben, forscht er, unter anderem über die Morphologie, also wie sich die verschiedenen Organe entwickelt haben und über die Biodiversität. Denn: „Alles hängt miteinander zusammen. Jede Art, auch jeder Regenwurm, ist Teil eines Lebensraums und Ökosystems“, so Schmidt-Rhaesa.

Interesse aus Zufall

Greift der Mensch ein, durch Versiegelung, durch den Einsatz von Pestiziden, kann das Auswirkungen auf jedes einzelne Ökosystem haben. Das zu erforschen ist seine Sache. Und immer noch kommen neue Arten hinzu. Jedes neue Tier, Kurator Schmidt-Rhaesa spricht von Objekt, das neu in die Sammlung kommt, wird vermerkt – mit dem Finder, Fundort und einer genauen Beschreibung. „Der Mensch“, sagt Schmidt-Rhaesa, „will einfach immer wissen, mit wem wir auf dem Planeten leben.“ Dass es bei Schmidt-Rhaesa ausgerechnet Würmer sind, die ihn interessieren, sei Zufall gewesen.

Am 21. April öffnen 59 Hamburger Museen zum 18. Mal von 18 bis 2 Uhr ihre Türen zur Langen Nacht der Museen. Mit 870 Veranstaltungen und kostenlosem HVV-Shuttle. Mit dabei sind unter anderem die „Cap San Diego“, das Kaffeemuseum Rösterei Burg, der Stückgutfrachter „Bleichen“ und das Zoologische Museum, Bundesstraße 52. Tickets sind für 17 Euro, ermäßig für 12 Euro zu haben. Die Tickets gelten auch für die Busshuttles von 18 bis 2 Uhr sowie für den gesamten HVV und alle Hadag-Fähren in der Nacht. Alle Informationen zur Langen Nacht der Museen im Internet unter www.langenachtdermuseen-hamburg.de

Was stimmt?

1. Verlieren Regenwürmer einen Teil ihres Hinterkörpers, zum Beispiel durch einen Spatenhieb beim Graben im Garten, können beide Körperteile weiterleben – falsch! Nur der Teil des Wurmes mit dem überlebenswichtigen Clitellum ist (das ist eine Erhebung am Körper mit zahlreichen Drüsen) kann fortbestehen.

2. Der Name kommt daher, dass die Tiere nur bei Regen an die Oberfläche kommen – nein. Nicht alle Arten kommen an die Oberfläche. „Von Wasser gesättigter Boden hat weniger Sauerstoff, manche Arten können dann an der Luft besser Sauerstoff aufnehmen“, so Schmidt-Rhaesa.

3. Regenwürmer sind klein –
nicht alle. Laut Internet gibt es welche, die bis zu sechs Meter lang werden können. Das bezweifelt der Experte zwar, Schmidt-Rhaesa weiß aber von welchen, die drei Meter lang werden. In Europa leben die größten Arten in Rumänien (bis zu einem Meter). Die kleinsten sind nur wenige Millimeter lang.