Langenbek. Jenni Koch absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr im Hospiz, ihre Oma Helga Schlage ist dort Ehrenamtliche.

Seit Jenni Koch im Hospiz des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Langenbek ein und aus geht, ist die 19-Jährige ihrer Oma Helga Schlage (78) noch viel näher als ohnehin schon. Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Die Seniorin liegt nicht im Sterben, und ihre Enkelin ist hier keine Besucherin. Vielmehr leistet Jenni Koch in dem Haus, das Ende 2013 eröffnet wurde, ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). Und ihre Oma ist ehrenamtliche Helferin der ersten Stunde: „Das Hospiz war noch gar nicht eingeweiht, da habe ich hier schon mit angepackt.“ So kommt es, dass die alte Dame und die junge Frau sich seit August 2016 regelmäßig in dem Haus am Blättnering 18 begegnen. Ein Umstand, der die Beziehung der beiden verändert hat. Das Sterben und der Tod gehören nun zu beider Alltag. Das prägt ihr Leben und ihren Umgang miteinander. Das weite Feld zwischen Memento mori („Gedenke, dass du sterben musst“) und Carpe diem („Genieße den Tag“) bestellen sie mit diesem Satz: „Ich hab dich lieb.“

Im Gespräch mit den beiden ungewöhnlichen Frauen fällt er mehrmals. Ein anderer ist: „Ich bin froh, dass ich dich habe“. Mal sagt ihn die Enkelin, mal die Oma. Nie klingt er aufgesetzt oder klebrig, wie das manchmal so ist, wenn Menschen etwas zur Schau stellen, was doch nicht an die Öffentlichkeit gehört. Wer diesen beiden zuhört, versteht hingegen, dass der Tod zum Leben gehört: weil er die eigene Vergänglichkeit aufzeigt. Aber auch, weil er Achtung und Respekt vor dem Leben lehrt.

„Es ist tröstend, wennjemand friedlich gehen kann“

Dass ihre Oma noch lebt, dafür ist Jenni noch dankbarer, seit Helga Schlage erst vor einigen Wochen einen Schlaganfall erlitten hat. Doch sie hatte Glück und ist beinahe schon wieder ganz die Alte. Nur schonen muss sie sich noch. Doch ins Hospiz geht sie schon wieder regelmäßig. Zu wichtig sind ihr die Begegnungen mit den Menschen, die sie bei deren letzten Gang begleitet.

Schon immer war es Helga Schlages Wunsch, Menschen zu helfen. Sie wollte Krankenschwester werden: „Mein Traumberuf.“ Aber der Hausarzt legte damals sein Veto ein. Dafür sei sie zu zierlich, viel zu schwach. „Eine krasse Fehleinschätzung“, sagt die Enkelin: „Krankenschwester, das wäre genau ihr Ding gewesen.“ Stattdessen wurde Helga Schlage Buchhalterin, eine Frau, die seit langem weiß, dass wahres Glück von innen kommt. Eine Erkenntnis, die zunehmend auch ihre Enkelin teilt. Mehrmals schon musste die junge FSJlerin von Menschen Abschied nehmen. Das hat ihre Prioritäten verändert: „Ich nehme kleinere Dinge viel mehr wahr“. Etwa wenn ein Fremder sie auf der Straße anlächelt, oder sie mit Kleinigkeiten Freude bereiten kann. Zum Beispiel backt sie im Hospiz fast täglich Kuchen oder Torte – ihr Hobby, das offenbar jetzt auf besonders fruchtbaren Boden fällt.

Bekanntschaft mit dem Tod hat Helga Schlage schon früher gemacht. Ihr erster Mann, ein Kaufmann, starb, als er gerade mal 57 Jahre alt war. Und auch ihr zweiter Mann, Bauingenieur, ist inzwischen tot – gestorben in einem Krankenhaus.

Helga Schlage möchte, dass Menschen in Würde sterben können. Deshalb engagiert sie sich so im Hospiz und hat sich sogar zur Sterbebegleiterin ausbilden lassen: „Es ist tröstend zu sehen, wenn jemand friedlich gehen kann.“ Die Wege dorthin sind so unterschiedlich, wie die Art der Begleitung, die Helga Schlage leistet. Manchmal liest sie Gästen (wie die Hospiz-Bewohner hier genannt werden) vor, manchmal singt sie für sie oder streichelt ihnen über die Hände: „Einmal habe ich Maiglöckchen mitgebracht, ihr Duft war so herrlich.“

Was uns Angst macht, wird weniger wichtig, je näher wir den Menschen in unserem Leben sind. Verbringt man einige Zeit mit Helga Schlage und Jenni Koch, glaubt man das sofort. Die Bande, die die beiden verbinden, sind stärker als Verwandtschaft. Sie leben im gleichen Koordinatensystem. Auch Jennis größter Wunsch ist es, Menschen zu helfen. Sie träumt davon, Psychologie zu studieren und später auch als Sterbebegleiterin zu arbeiten. Ihre Eltern, der Vater ist Hausmeister, die Mutter Chemielaborantin, unterstützen sie zwar, machen aber keinen Hehl daraus, dass das ein Feld ist, das sie nie beackern würden. Noch weniger der Zwillingsbruder: „Der geht lieber raus, wenn wir über so was sprechen.“

Das Sommerfest im Hospiz für Hamburgs Süden wird am Sonnabend, 10. Juni, 13 bis 18 Uhr am Blättnerring 18 gefeiert. Die Gäste erwartet neben Grill- und Kaffeespezialitäten unter anderem viel Musik, Bewegung und Bewegendes.