Hamburg. Christoph Kastenholz und Lara Daniel bauen gezielt Influencer auf – mit 75 Mitarbeitern und Büros in New York und Mailand.

Man muss Tezza Barton nicht treffen, um über ihre Lieblingsschuhe Bescheid zu wissen. Oder die Marke ihres Shampoos zu kennen. Oder etwas über den roten Lipgloss zu erfahren, den sie mag. Die 26-Jährige mit der langen Mähne lebt in New York. Aus ihrem Leben erzählt sie für jeden sichtbar in künstlerisch produzierten Fotos in sozialen Netzwerken wie Instagram. Die junge Frau, die als Beruf Fotografin und Musikerin angibt, ist einer von den Menschen, die bei vielen Unternehmen im Moment sehr gefragt sind. Jeden Tag sehen fast eine halbe Million Fans im Netz, was sie gerade macht und gut findet. Und sie kommentieren und teilen das auch. Für die Firmen ist die stylische Meinungsführerin die perfekte Basis, um neue Produkte zu präsentieren.

Gemanagt wird Tezza Barton von der Hamburger Agentur Pulse Group. Das Unternehmen entwickelt mit dem Geschäftszweig Pulse Advertising Kampagnen und strategische Beratungskonzepte für Unternehmen in den sozialen Medien und baut mit Pulse Management gezielt Influencer (englisch für Beeinflusser) und deren Reichweite auf. Bei Pulse heißen sie Künstler. „Influ­ence Marketing ist eine Art erweiterte Mund-zu-Mund-Propaganda“, sagt Christoph Kastenholz, der das Start-up gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Lara Daniel vor vier Jahren gegründet hat. Und genau das macht das Geschäftsmodell so interessant in einer Zeit, in der vor allem junge Leute über Fernsehspots nur müde lächeln und Onlinewerbung mit speziellen Programmen blockieren. Bekannte Influencer wie die Hamburgerin Caro Daur oder Bianca Heinicke („BibisBeautyPalace“) sind inzwischen nicht nur Topverdienerinnen und Akteure in einer (gesponserten) Glamourwelt, sondern bei der Zielgruppe oft bekannter als Schauspieler oder Musiker. Und vor allem glaubwürdiger.

Sie erkannten früh das Potenzial der eingebetteten Werbebotschaften

Wie das funktioniert, hat das Unternehmerpaar selbst erlebt. Kastenholz (27) und Daniel (29) sitzen in ihrem Loft-Büro am Stephansplatz. Klare Linien, viel Glas. An der Tür zum Konferenzraum prangt das Logo in Gelb und Beige – eine stilisierte Bienenwabe. Die Gründer kannten sich aus ihrer Schulzeit in Bonn, bevor sie sich nach dem Studium zusammen selbstständig machten. 2013 starteten sie mit viel Enthusiasmus, aber ohne Einkommen das Modelabel Noemii Resortwaer, mit dem sie Strandtuniken aus Seide produzierten und verkauften. Den Businessplan hatte Daniel für ihren Master-Abschluss als Wirtschaftswissenschaftlerin in Barcelona entwickelt.

„Es lief gar nicht so schlecht“, sagt sie. Das Gründerduo zog nach Hamburg, „eine Kaufmannsstadt“. Weil das Geld für Werbung nicht reichte, fingen sie an, mit Bloggern zusammenzuarbeiten, schicken ihnen Teile der Kollektion und testeten, wie sich die Erwähnungen ihrer Tuniken auf YouTube, Instagram und Facebook auf die Bestellungen auswirkten. „Das war manchmal sehr effektiv“, sagt Christoph Kastenholz. Sie erkannten früh das Potenzial der eingebetteten Werbebotschaften und fingen an, andere Start-ups zu beraten. Das lief noch besser. Die Idee für ihre Agentur war damit geboren. An einem Sonntagabend im Juli 2014 schickten die Wahlhamburger zwei Gewerbeanmeldungen ab und kauften eine Internetseite. „Das hat zusammen 48 Euro gekostet“, sagt Lara Daniel und lacht. Und war der Start für eine der erfolgreichsten Gründungen in der Branche.

Der erste Auftraggeber war ein Dirndl-Hersteller

Der erste Auftraggeber kam im September, ein Dirndl-Hersteller, der seine Produkte gezielt vermarkten wollte. „Wir haben sofort losgelegt. Die richtigen Leute für die Kampagne gesucht“, sagt Kastenholz. Voraussetzung: Faible für bayerische Feierkultur, Dirndl und Oktoberfest. Mit Erfolg. Im November hatten die Newcomer ihren ersten sechsstelligen Monatsumsatz. Inzwischen hat die Pulse Group 75 Mitarbeiter und Büros in New York und Mailand. Im Sommer sind Eröffnungen in London und Los Angeles geplant. 2018 peilen Kastenholz und Daniel einen Umsatz in zweistelliger Millionenhöhe an. „Wir haben eine klare Wachstumsperspektive“, sagt Geschäftsführerin Daniel.

Die Hamburger zählen mit ihrem Expertenwissen zu den gefragtesten Agenturen in dem Bereich. Zu den Kunden gehören die Autobauer Volkswagen und BMW, die Deutsche Telekom, Süßwaren-Hersteller Ferrero, Schuhhändler Deichmann und Luxusmarken wie Gucci und Cartier. Und sie machen Kampagnen mit Millionenbudgets. In ihrer Datenbank sind 20.000 Influencer aus der ganzen Welt gelistet, auf die sie im Bedarfsfall zugreifen. 20 Influencer vertreten die Hamburger exklusiv. Gerade hat das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ die beiden zu den Top-30-Unternehmern unter 30 Jahre gekürt. Ende März wurde die Agentur mit dem vom Abendblatt mitinitiierten HAMMA-Award für das beste Hamburger Start-up-Marketing gekürt.

Das Erfolgskonzept beruht auf Identifikation und Glaubwürdigkeit

Viele Unternehmen sehen inzwischen in Influencern einen wichtigen Baustein im Marketing-Mix. „Der Markt wächst stark zweistellig“, sagt Jan Hildebrand, Experte für digitales Marketing bei der Unternehmensberatung McKinsey. Das liege an der steigenden Teilnehmerzahl, aber auch den höheren Preisen. Studien zufolge werden mit den neuen „Einflussnehmern“ 2019 bis zu fünf Milliarden Dollar umgesetzt. In Deutschland schätzt Branchenexperte Hildebrand das Volumen auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Dabei ist der Anteil an den gesamten Media-Ausgaben mit unter fünf Prozent sehr gering. „Wegen der Relevanz in bestimmten Zielgruppen ist die Aufmerksamkeit von Markteting-Abteilungen aber deutlich höher“, so der Berater. Das gelte besonders für Produkte aus den Bereichen Mode, Kosmetik, Reisen oder Sport.

Das Erfolgskonzept beruht dabei vor allem auf Identifikation und Glaubwürdigkeit der Influencer. Oft ist zumindest der Beginn einer Karriere selbstgesteuert – und bedeutet harte Arbeit. Motto: Jeder kann es schaffen. „Influence Marketing ist auch eine Demokratisierung der Werbewirtschaft“, sagt Pulse-Geschäftsführer Kastenholz. Die Zeiten, in denen Werbeagenturen sich TV-Spots mit Strichmännchen ausdachten, die eine bestimmte Zigarette brauchten, um nicht in die Luft zu gehen, als die Klementine für ein Waschmittel warb oder Meister Propper durch die Küche wirbelte, sind lange vorbei. Die Währung im Influence Marketing ist die Reichweite der Protagonisten im Netz. „Eine Million Abonnenten ist schon viel“, sagt Lara Daniel – und das kann auch hohe Einnahmen bedeuten.

Gesponserte Produkte werden extra gekennzeichnet

Topverdiener sind allerdings die Ausnahme. Nach einer Studie der Hamburger Agentur Jung von Matt und der Influencer-Plattformen Brandnew und Facelift bekommen 20 Prozent der Influencer kein Geld für ihre Posts. Die meisten der 1200 Befragten verdienen weniger als 1000 Dollar pro Kampagne. Und nur acht erzielen zwischen 10.000 und 25.000 Dollar. Unter Jugendlichen ist Influencer, trotz der medialen Selbstvermarktung, inzwischen ein beliebter Berufswunsch – ähnlich wie Model oder Profi-Fußballer.

Mit dem zunehmenden Erfolg gibt es aber auch Kritik von Medienanstalten und Wettbewerbsschützern. Denn oftmals ist nicht erkennbar, was persönliche Meinung und was Werbung ist. „Wir stehen für Transparenz“, sagt Christoph Kastenholz zu den Bedenken. Gemeinsam mit Instagram, wo inzwischen 800 Millionen Nutzer aktiv sind, haben die Hamburger einen einheitlichen Zusatz vorgestellt, der deutlich macht, wann eine Produktnennung gesponsert ist. Andererseits ist der Pulse-Geschäftsführer sicher: „Wer einem Influencer im Netz folgt, weiß, wie das Geschäft läuft.“ Mit Tezza Barton hat die Agentur bei einigen Kampagnen zusammengearbeitet, unter anderem für ein Shampoo. Es gab Herzchen und ­Likes. Tezza engagiert sich auch sozial, erzählt Agentur-Chefin Daniel. Die Amerikanerin sammelt Geld für Musikzimmer in Krankenhäusern. Und auch dafür gibt es richtig viele Likes.