Warum eine rätselhafte Werbekampagne mir aus der Seele sprach – und ich von der Auflösung etwas enttäuscht bin.
Die Worte „Bla Bla Bla“ reihen sich hundertfach aneinander. Immer wieder. Schwarz auf weiß. Es ist Sonnabendmorgen, 5.15 Uhr am Hamburger Hauptbahnhof. An Gleis 14 warte ich auf den ICE 571 in Richtung Kaiserslautern. Dort soll in einigen Stunden der FC St. Pauli Fußball spielen. Der Himmel ist stockduster. Nicht einmal die Vögel auf den Bäumen singen. Klar, wäre mir auch zu früh. Meine Augen sind zugeschwollen, als hätte ich in der letzten Nacht gegen Tyson Fury geboxt.
Durch meine Sehschlitze entdecke ich ein Werbeplakat an der Steinmauer gegenüber. Die Botschaft: „Bla Bla Bla“. Sonst steht nichts darauf. Nicht einmal das Logo einer Firma ist in einem Winkel des Posters zu finden. Seltsam. Soll das ein neuer PR-Gag sein? Hat sich ein Künstler einen Spaß erlaubt? Oder druckt die Werbeindustrie endlich den Inhalt ab (nämlich keinen), den ohnehin jede Reklame hat? Ganz egal: Es spricht mir aus der Seele.
Die Poster hängen in ganz Hamburg. An Litfaßsäulen. In U-Bahn-Schächten. An Bushaltestellen. Kein Weg führt an ihnen vorbei. Viele Menschen haben das Motiv abfotografiert und in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. „Meine Zeit ist mir zu schade für Bla Bla Bla“, kommentierte eine junge Frau. Jemand anderes schrieb dazu: „Endlich mal eine ehrliche Werbung.“ Und etwas philosophischer: „Manche Menschen sprechen durchgängig, sagen aber eigentlich nichts.“
Wie wahr. Nicht nur 90 Prozent der Werbung sind inhaltslos. Würde mich jemand fragen, welche Plakate am Bahnhof Jungfernstieg hängen (an dem ich fast jeden Tag mit der U-Bahn vorbeifahre), mir würde kein einziges einfallen. Die Welt labert uns mit ihrem Angebot dicht. Es ist einfach zu viel.
Das „Bla Bla Bla“-Problem hat längst unseren Alltag erreicht. Besonders durch Facebook, Instagram & Co. haben wir in den vergangenen Jahren ein riesiges Mitteilungsbedürfnis entwickelt – ohne wirklich etwas auszusagen. Mal ehrlich: Wen interessiert es, ob mein Latte macchiato ein Herz aus Milchschaum hat? Oder ob auf dem Teller meiner mit Erdbeeren gefüllten Waffel mein Name in Schokoladenschrift steht? Für wen ist es wichtig, dass ich Bilder von meinem Essen mit der Welt teile? Was uns wirklich bewegt, bleibt geheim. Stattdessen gaukeln wir im Internet vor, wie aufregend unser Leben ist. Der Job. Der Partner. Der nächste Urlaub. Wir könnten kaum glücklicher sein. Aber meistens ist es nur Fassade – und so oberflächlich wie der Inhalt der Werbeplakate.
Influencer befeuern das Phänomen. Was sich liest wie eine seltene Krankheit, ist der neue Traumjob der Jugend. Wer eine große Fangemeinde bei Social Media hat, kann darüber sein Geld verdienen. Sogenannte „Beeinflusser“ werben mit Fotos und Videos im Netz für Produkte, die sie kostenlos von Firmen zugeschickt bekommen. So läuft der Deal.
Die Zielgruppe sind vor allem Teenager. Ihnen wird vorgelebt, wie sie sich zu kleiden, schminken und ernähren haben. Der Trick: Influencer bauen Vertrauen zu ihren Fans auf. So werden die Werbeprodukte garantiert nachgekauft. Es ist ein Millionengeschäft, das viele Eltern kritisch sehen. Denn sie wissen: Das meiste im Internet ist nur „Bla Bla Bla“.
Andererseits: Das Leben ist ernst genug. Ein bisschen Stumpfsinn schadet nicht. Es ist kein Wunder, dass sich so viele Menschen nach Bildern von Krieg, Armut und Hungersnot in der „Tagesschau“ erst einmal das Dschungelcamp auf RTL reinziehen. Nicht weil sie ignorant sind. Sondern weil es schlicht nicht gesund ist, sich nur mit der harten Realität auseinanderzusetzen. (Was nicht heißen soll, dass es keine bessere Lösung als das Dschungelcamp gäbe.)
Fakt ist: Inzwischen ist das Rätsel um die Plakate in Hamburg aufgelöst worden. Leider versteckt sich hinter der Aktion nur ein – wenn auch ziemlich genialer – Werbegag. Schade eigentlich. Es handelt sich um eine Kampagne für das neue Newsportal „Watson“. Seit gestern werden die alten Motive abgehängt und durch neue Poster mit dem Slogan „News ohne Bla Bla“ ersetzt. Zugegeben: Ich bin etwas enttäuscht. Werbung ist eben doch nur „Bla Bla Bla“.