Hamburg. Zuletzt wurden in Hamburg allein 90 reine Wohngebäude abgebrochen. Kulturbehörde widerspricht Kritik von Denkmalschützern.
Das wuchtige Deutschlandhaus am Gänsemarkt, der City-Hof beim Hauptbahnhof, die riesige Post-Pyramide in der City-Nord, das weiße Euler-Hermes-Hochhaus in Bahrenfeld oder auch beschauliche Stadtteil-Ensembles wie am Spritzenplatz in Altona – sie alle haben derzeit etwas gemeinsam: die markanten Gebäude stehen kurz vor dem Abbruch – oder sind der Abrissbirne weitgehend schon zum Opfer gefallen. Selbst für das erst 1980 eröffnete Hanse-Viertel gab es kürzlich Abriss-Überlegungen.
Allein für das Jahr 2016 zählt das Statistikamt Nord in seiner jüngsten „Abgangsstatistik“ 176 größere Gebäude. Davon waren 90 reine Wohngebäude. Zum Vergleich: Im viel größeren Berlin waren es im gleichen Zeitraum 54 Wohngebäude – was schon auf eine eher rege Abrisstätigkeit an der Elbe schließen lässt, zumindest bei Wohngebäuden. Wobei die Abbrüche in den Hamburger Bezirken relativ gleichmäßig verteilt sein dürften. Nimmt man die Abbruch-Vorbescheide der letzten drei Jahre, gab es für Mitte 57, für Altona 52, für Nord 56 und in Wandsbek 79 solcher Vorweggenehmigungen. Nur in Bergedorf und Harburg gab es mit 16 und 18 weniger solcher Vorbescheide.
Abriss samt Neubau lohnt sich zu sehr
Die vielen kleinen und mittlerweile verschwundenen Villen und Siedlungshäuser in den Walddörfern oder den Elbvororten fließen in diese Abbruch-Statistiken noch nicht einmal hinein, weil sie oft ohne Genehmigung abgerissen werden könnten, wie es in den Bezirksämtern heißt. Hamburg, so scheint es, macht seinem Ruf der „Freien und Abrissstadt“ derzeit alle Ehre.
„Es ist einfach unfassbar“, sagt Architekturkritiker Dirk Meyhöfer, der seit 30 Jahren das Jahrbuch der Hamburgischen Architektenkammer herausgibt, das die wichtigsten Neubauten der Stadt beschreibt. „Mittlerweile stehen auch schon Projekte vor dem Abriss, die haben wir noch hochgeschrieben“, zürnt er. Hinter der „auffällig“ hohen Zahl der Abbrüche in Hamburg vermutet der Experte einen „enormen Verwertungsdruck“ von Grund und Boden in Hamburg. Abriss samt Neubau lohne sich zu sehr, weil die Nachfrage so groß ist. Und die Stadt unternimmt dagegen zu wenig, kritisiert Meyhöfer: „Es ist das Geld, das derzeit bestimmt, was im Weg ist.“
Ähnlich besorgt zeigen sich auch Denkmalschützer wie die Vorsitzendende des Hamburger Denkmalvereins, Kristina Sassenscheidt. Bei den Abbrüchen habe sich derzeit „die Schlagzahl“ enorm erhöht, vermutet sie. Besonders betroffen seien derzeit die Nachkriegsbauten – wie der City-Hof, das Allianzhochhaus oder Gebäude in der City-Nord. Selbst vor dem Denkmalschutz mache diese Entwicklung nicht halt.
Widerspruch kommt von der Kulturbehörde
Ist Hamburg also wirklich eine gnadenlose Abbruchstadt? Widerspruch kommt von der Kulturbehörde: Hamburg habe 12.300 Denkmäler, in den vergangenen drei Jahren seien aber nur sieben Objekte abgerissen worden, die geschützt waren. Mit Blick auf die Denkmäler lasse sich die These vom häufigen Abriss in Hamburg daher nicht belegen, sagt Behördensprecher Enno Isermann. Und auch der stadtentwicklungspolitische Sprecher der SPD, Dirk Kienscherf, weist Kritik an der Abrisspraxis in Hamburg zurück. Abriss sei nicht per se schlecht, sagt er. Bürobauten der 70er- und 80er-Jahre entsprächen oft nicht mehr den Anforderungen unserer Zeit. Und auch der Abriss von Wohngebäuden aus den 50er-Jahren biete oft die Chance, bessere, größere und energetisch effizientere Wohnungen zu bekommen.
Der Stadtplaner Julian Petrin bescheinigt der Stadt indes einen vergleichsweise eher zu lockeren Umgang mit alter Bausubstanz. Schon in der Nachkriegszeit sei man in Hamburg „sehr pragmatisch“ an den Wiederaufbau gegangen, um Platz für Neues zu schaffen. Tatsächlich zeigen dies Beispiele wie der Altonaer Bahnhof (1974 abgerissen), der Dovenhof (1967 abgerissen) oder auch der alte Kaispeicher (1962 gesprengt) – heute unvorstellbar. Petrin: „In München hat man sich hingegen mehr auf alte, traditionelle Strukturen und Parzellen bezogen.“ Petrin spricht daher von einer anderen „Planungskultur“ in Hamburg. Um dazu ein Gegenwicht zu setzen, hat er mit seiner Planergruppe „nexthamburg“ im Internet eine „Rote Liste“ der bedrohten Bauten in Hamburg initiiert. Rund 140 Objekte sind dort gelistet, vielfach auch kleinere Häuser. Die Folge der vielen Abrisse sei, dass eine „zunehmend genervte Stadtbevölkerung“ immer misstrauischer wird und Bauvorhaben immer häufiger auf Protest stießen.
Kleine Villen werden ersetzt durch die „immergleichen Styropor-Klötze“
Und tatsächlich verschwinden ja nicht nur markante, große Häuser aus dem gewohnten Stadtbild. Der auf Altbauten spezialisierte Makler Björn Brünner beobachtet immer wieder Abbrüche von kleineren Villen oder Siedlungshäusern aus den 20er- und 30er- Jahren in den Walddörfern. Ersetzt würden sie oft durch die „immergleichen Styropor-Klötze“ mit mehreren Wohnungen. „Das ist schade, die Stadtteile verlieren so ihren Charakter“, sagt der Altbauspezialist und fordert mehr Erhaltungssatzungen für die betroffenen Quartiere.
Der Spagat zwischen Bewahrung einer vertrauten Umgebung und der Notwendigkeit, auf Wachstum angemessen zu reagieren, ist eben groß in einer Stadt wie Hamburg. Denn viele Abbrüche sind auch Zeichen von wirtschaftlicher Dynamik – was ja nicht schlecht sein muss. Zu einer differenzierten Betrachtung rät daher der Hamburger Architekt Mathias Hein: Viele Nachkriegsbauten wie das Allianz-Hochhaus oder der City-Hof seien „maßstabslos“ in historische gewachsene Stadtstrukturen gebaut worden, ganz im Sinne einer autogerechten Stadt und aufgelockerten Bebauung. Hein: „Städte ächzen heute unter der Last von Verwaltungsburgen, Kaufhausklötzen und Parkhäusern aus den 60er- und 70er-Jahren“. Auch ihre Entstehung sei im Grunde wie heute „Monopoly“ der Investoren gewesen. „Kluge Stadtplanung“, sagt Hein, „muss erhaltend sein oder korrigierend und heilend eingreifen.“ Ein Abriss des „störenden“ Nachkriegs-Komplexes City-Hof sei daher nicht weiter tragisch – ein Abriss des in den 1920er-Jahren gebauten Deutschlandhauses aber ein „kulturgeschichtlicher Verlust ersten Ranges.“