Derzeit werden ganze Jahrzehnte pulverisiert. Eine Stadt ist kein Museum, aber auch kein Monopoly-Spielfeld.
Wer das Hamburg der Jetztzeit im Kopf bewahren möchte, benötigt eine Handykamera und eine Dreitageskarte des HVV – oder er kauft sich im Antiquariat ein Buch über Architektur. „Hamburg und seine Bauten 1969-1984“ etwa heißt ein Standardwerk, das alle 15 Jahre die wichtigsten Bauwerke seiner Zeit erfasst. Wer dieses Buch liest, glaubt eher, einen Abreißkalender in den Händen zu halten. Die Gebäude dieser Jahre stehen fast samt und sonders zur Disposition. Das Frappant, das Hotel Interconti oder der großartige Astra-Turm sind längst Geschichte. Man ahnt, warum der frühere Direktor der Hamburger Kunsthalle einst über die „Freie und Abrissstadt Hamburg“ spottete.
Während Nachhaltigkeit sonst das Lieblingswort der Deutschen ist, hält der Trend zur Einweg-Architektur an. Natürlich ist in diesen Jahrzehnten mitunter schlampig, schnell und schlimm gebaut worden, es sind Monstrositäten dabei, und die Energiebilanz mancher Häuser erinnert eher an Maschinen aus dem VEB Waschgerätewerk Schwarzenberg. Die Grundrisse mögen nicht mehr zeitgemäß sein – das Großraumbüro der 60er-Jahre ist heutigen Mietern kaum noch vermittelbar, die großen Firmenzentralen von einst braucht heute kein Unternehmen mehr.
Kaum Überlebenschancen hat auch der einst gefeierte „Weiße Riese“ in Bahrenfeld. Das Euler-Hermes-Hochhaus, erst 1981 errichtet, soll abgerissen werden, weil der hohe Energieverbrauch einen wirtschaftlichen Betrieb langfristig verhindere. Dass der durchaus spektakuläre Bau auf einem 20.000 Quadratmeter großen Filetgrundstück an der Friedensallee liegt, dürfte bei den Kalkulationen eine Rolle gespielt haben.
Am Millerntor ist die Zukunft der 60er-Jahre längst Vergangenheit: Schon seit 23 Jahren ist das Iduna-Hochhaus Geschichte, hier machte Asbest dem Bau den Garaus. Was nun an seiner Stelle in den Himmel ragt, hat den Stadtraum kaum verschönert. Kaum jemand wird auch das Allianz-Gebäude am Großen Burstah vermissen, weil es den Stadtraum ignorierte und wie ein Riese im Kindergarten wirkte.
Doch bei allem Respekt vor dem Eigentum der Bauherren, ihrem berechtigten Gewinnstreben und einer mitunter nötigen Stadtreparatur – Hamburg ist mehr als ein Baukasten für Investoren oder ein Monopoly-Spiel für Renditejäger. Die Kritik am Abriss des City-Hofs war erst der Anfang. Die vier Hochhausscheiben am Hauptbahnhof galten als Aufbruch in die Architekturmoderne, in ihrer ursprünglichen Gestaltung waren sie ein weißer Schwan im Backsteinrot der Stadt. Das aber vermag den Klophaus-Bau nicht zu retten.
Der City-Hof wird nun Opfer seiner Verunstaltung in den 70er-Jahren. Schon im Sommer könnte der Abriss beginnen. Während mancher Hamburger dem Koloss am Klosterwall kaum eine Träne hinterherweinen wird, steht ein weiteres traditionsreiches Gebäude auf der Abrissliste: das Deutschlandhaus am Gänsemarkt. Auch hier wird dem markigen Bau der Architekten Fritz Block und Ernst Hochfeld ein Umbau zum Verhängnis.
Das Gebäude, vis à vis zur Finanzbehörde von Fritz Schumacher, atmete die Moderne der 20er-Jahre. Der UFA-Palast mit seinen 2650 Plätzen war Konzertsaal, Bühne und Lichtspielhaus in einem. Der hintere Teil wurde im Krieg zerstört, der vordere in den Jahren 1979 bis 1982 beschädigt. Der damalige Nutzer, die Dresdner Bank, baute das Gebäude komplett um. Damals lobte der Verfasser in „Hamburg und seine Bauten 1969 bis 1984“, dass die Fassaden „in Abstimmung mit der Stadt und dem Denkmalschutzamt zwar erneuert wurden, die ursprüngliche Fassaden- und Baukörpergestaltung aber erhalten bliebe.“ Heute ist dieser Umbau dafür verantwortlich, dass das historische Gebäude keinen Denkmalschutz genießt.
Die Liste ließe sich weiter fortsetzen, in Ottensen soll nun die ehemalige Fischfabrik von 1890 an der Ecke Barnerstraße/Bahrenfelder Straße abgerissen werden. Sie fügt sich in eine lange Liste des Gedächtnisverlusts ein: der Dovenhof und weitere Bauten des Rathausarchitekten Martin Haller, der alte Bahnhof Altona, das Hotel Prem. Hamburg kann gut bauen, es kann noch besser verschandeln – und am besten kann es seit Lichtwarks Tagen: abreißen.