Hamburg. Der Kabarettist Henning Venske verabschiedet sich nach 57 Jahren von der Bühne und rechnet im Interview schon mal ab.
Es hatte Charme, praktische und persönliche Gründe: Den Auftakt seiner bundesweiten Abschiedstournee verband Henning Venske Ende Februar in Minden zugleich mit dem Jubiläumstreffen zum 60. Abitur mit seinen ehemaligen Mitschülern in der Stadt in der Region Ostwestfalen-Lippe. Und nicht nur im dortigen Theater war der Saal voll.
Mit seinem Programm „Summa Summarum“ verabschiedet sich der Hamburger Kabarettist, Schauspieler, Regisseur, Autor und frühere NDR-Moderator in diesem Jahr von der Bühne. Nach einer Osterpause mit Zeit für die Enkelkinder und der Feier des 79. Geburtstags am gestrigen Dienstag tritt Hamburgs langlebigste Lästerzunge noch mal hier auf. Mit seinem langjährigen musikalischen Begleiter, dem Akkordeonvirtuosen Frank Grischek, spielt Venske sein Abschiedsprogramm von diesem Donnerstag bis zum Sonntag in Alma Hoppes Lustspielhaus.
Künstlerische Heimat in Hamburg
Jenem Eppendorfer Kabarett-Theater, das 1994 nach seiner Rückkehr vom Ensemble der Münchner Lach- und Schießgesellschaft nach Hamburg seine künstlerische Heimat wurde. Von dort aus hatte Venske noch gespottet, Bürgermeister Ole von Beust sehe immer so aus, „wie es aus Douglas-Parfümerien riecht“, 2009 bekam er unter dessen schwarz-grünem Senat zu seiner Verblüffung dann von Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) die Biermann-Ratjen-Medaille des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg – für seine Verdienste um die Kultur in Hamburg.
Herr Venske, bei Veranstaltern (auch im Lustspielhaus) werden Sie mit Ihrem letzten Programm als „Kabarettist der guten alten Schule“ bezeichnet. Das kann einem, der sich selbst gern als „gelernten Misanthropen“ bezeichnet, nicht gefallen ...?
Henning Venske: Erstens: Ich weiß nicht, was mit „gute alte Schule“ gemeint ist. Gibt es auch eine weniger gute „neue Schule?“ Und zweitens: Ich habe mich nie „gern“ als „gelernten Misanthropen“ bezeichnet – wenn ich diesen Ausdruck verwende, dann ist das selbstironisch gemeint. Kein Satiriker ist ein Menschenhasser – Charles Chaplin sagte: „Ein echter Satiriker kann nur ein Mensch sein, der im Herzensgrund die Menschen liebt.“ Empathie und Mitleid mit den Schwachen, den Hungernden, den Ausgebeuteten und Unterdrückten sind die Antriebskräfte des Satirikers – und die Wut auf jene, die das Elend verursachen.
Bei der Premiere Ihres letzten Jahresrückblicks nach 21 Jahren im Lustspielhaus gab es Anfang Januar am Ende erstmals Standing Ovations. Fliegen Ihnen jetzt bei „Summa Summarum“ plötzlich auf Tournee auch die Herzen zu??
Venske: Das war eine schöne Geste des Hamburger Publikums, um sich von mir und der Tradition meines alljährlichen Rückblicks zu verabschieden. Aber ich werde auch anderenorts sehr herzlich entlassen.
Oder vermisst das Kabarett-Publikum Sie und Ihre satirische analytische Schärfe bundesweit schon jetzt?
Venske: Warum sollte es? Dafür ist Anfang 2019 doch immer noch Zeit.
Vor mehr als einem Jahr begründeten Sie Ihren Abschied von der Bühne für 2018 im Abendblatt bereits damit, es „werde überschätzt, was die Politiker uns an Stoff bieten“. Vor allem seit Bildung der Großen Koalition 2005. Es seien „überwiegend noch immer dieselben Charaktere, die dafür stehen. Es gibt im Kabinett Merkel IV jetzt aber einige neue Gesichter, Minister und Ministerinnen …
Venske: „Die aktuelle Politik liefert Stoff“ – ja, immer denselben. Seit 2500 Jahren haben sich die Themen für die Satire nicht geändert: Krieg und Frieden, Arm und Reich, Macht und Ohnmacht, Gesundheit und Krankheit, Korruption, Ausländer, Moral, Mann und Frau. Die handelnden Personen sind austauschbar, das heißt, Dummheit, Aufgeblasenheit, Eitelkeit, Habgier, Schwatzhaftigkeit, Rücksichtslosigkeit, Inkompetenz, Größenwahn und Opportunismus bleiben eisern im Amt. Herr Spahn ist genauso borniert wie einst der junge Herr Stoiber, und Heimatminister Seehofer wirkt auf mich wie der Wiedergänger eines reaktionären Politikers und Heimat-Vertriebenenfunktionärs der 50er-Jahre namens Hans-Christoph Seebohm.
Im letzten Jahresrückblick haben Sie Hamburgs damaligen Bürgermeister Olaf Scholz, der vorher für Ihre bundesweiten Tourneen nicht erwähnenswert schien, als „dummen Olaf“ verspottet und mit G 20, Polizei und Justiz sehr kritisch abgerechnet. Kommt der Sinneswandel manchmal doch schneller als gedacht?
Venske: Ein dummer Politiker ist nicht erwähnenswert, weil nichts Besonderes. Wenn der Dummkopf aber größere Schäden verursacht, verdient er sich ein paar Zurechtweisungen.
Ihr letztes Programm „Summa Summarum“ kann ja wohl kein Best-of sein bei der aktuellen Weltlage ...?
Venske: Ein „Best-of“ könnte die aktuelle Weltlage durchaus ziemlich exakt abbilden – man muss nur die Namen der Regierenden austauschen. Aber „Summa Summarum“ ist ein kabarettistischer Blick auf sieben Jahrzehnte politische Entwicklung in Deutschland und eine Leistungsbilanz meiner Generation. Weil sie vieles versäumt hat, Artensterben, Überbevölkerung, Kriege und Atomkraftwerke nicht verhindert, weil sie die Sauberkeit der Gewässer nicht erreicht und den Regenwald nicht gerettet hat, ist nicht zu erwarten, dass die Menschen in Zukunft sicherer, gesünder, freier und friedlicher leben werden.
Sehen Sie sich eigentlich als Mahner, Aufklärer oder Analytiker?´
Venske: Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich einen älteren Herrn, der beruflich auf der Bühne seinen Standpunkt zu diversen Themen vertritt.
Als ausgebildeter Schauspieler standen Sie insgesamt 57 Jahre auf der Bühne und sind der letzte noch lebende Regieassistent des Dramatikers Samuel Beckett (1906–1989). Was ist Ihnen aus der Zusammenarbeit mit ihm 1965 für „Warten auf Godot“ am Berliner Schillertheater in Erinnerung geblieben?
Venske: Ich erinnere mich gern an seine Freundlichkeit. Und gelernt habe ich, zuzuhören, wenn mir einer gegenübersteht, der wirklich was zu sagen hat.
Und was müsste passieren, damit Sie Ihren Abschied von der Bühne doch noch mal revidieren?
Venske: Machen Sie mich 50 Jahre jünger – dann denke ich vielleicht drüber nach.
Sehen Sie Nachfolger für sich auf dem Gebiet der politischen Satire?
Venske: Nein, aber ich halte auch nicht Ausschau nach ihnen. Nicht mal ansatzweise.
„Summa Summarum“ Hamburg-Premiere Do 5.4., dann Fr 6./Sa 7., jeweils 20:00, + So 8.4., 19.00, Alma Hoppes Lustspielhaus (U Hudtwalckerstraße), Ludolfstr. 53, Karten zu 10,- (erm.) bis 27,- unter T. 55 56 55 56; www.almahoppe.de, www.venske.de