Hamburg . 153 Ausländern,die ausreisen müssen, wird Schutz gewährt. Die Nordkirche weist die Kritik aus der Politik zurück.
Die steigende Zahl von Kirchenasyl-Fällen in Deutschland stößt im Norden jetzt auf Kritik in der Politik: Derzeit wird 611 von Abschiebung bedrohten Ausländern in deutschen Kirchengemeinden Schutz gewährt – das sind 81 mehr als noch im November vergangenen Jahres, wie die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche mitteilte.
Besonders engagiert zeigt sich dabei die Nordkirche: 153 der im Kirchenasyl lebenden Ausländer werden in Gemeinden der evangelischen Nordkirche betreut, also rund ein Viertel. Zum Vergleich: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zählt etwa 22 Millionen Mitglieder, davon repräsentiert die Nordkirche rund zehn Prozent.
Derzeit leben in Hamburg 73 Menschen in geschützten Räumen evangelischer Gemeinden, in Schleswig-Holstein 44 und in Mecklenburg-Vorpommern 36. Christel Nicolaysen, die integrationspolitische Sprecherin der Hamburger FDP-Bürgerschaftsfraktion, kritisierte nun das Vorgehen der Kirche, weil es „rechtsstaatliche Probleme“ aufwerfe. Es dürfe nicht die Aufgabe von Kirchen sein, rechtskräftige Entscheidungen der Behörden zu „unterlaufen“. Auch der CDU-Innenpolitiker Dennis Gladiator deutete Kritik an: „Die Kirchen müssen sich ihrer besonderen Verantwortung beim Thema Kirchenasyl bewusst sein“, sagte er.
Kirchenasyl: CDU sieht „erhebliche Mängel“
Der schleswig-holsteinische Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) sieht beim kirchlichen Umgang mit dem Kirchenasyl „erhebliche Mängel“. Obwohl sich die beiden großen Kirchen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2015 auf einen besonders sensiblen Umgang mit dem Instrument verständigt hätten, erwecke „die Praxis in der jüngeren Vergangenheit den Eindruck, dass dies nicht von allen Gemeinden verinnerlicht wurde“, sagte Grote der „Welt“.
Es gelte nun, die damalige Vereinbarung über einen zurückhaltenden Umgang mit dem Kirchenasyl „wieder mit Leben zu erfüllen“. Darauf seien auch die Vorbereitungen der anstehenden Gespräche mit den Kirchen ausgerichtet.
Die Forderung nach solchen Gesprächen hatte die Innenministerkonferenz im Dezember 2017 auf Antrag Schleswig-Holsteins angesichts stark gestiegener Zahlen beim Kirchenasyl beschlossen.
Nordkirche weist Kritik zurück
Die Nordkirche wies die Kritik am Ostermontag zurück. Kirchenasyl werde von einer Kirchengemeinde nur nach gründlicher Abwägung in einem „besonderen, nicht zumutbaren Härtefall“ gewährt, wenn eine Abschiebung etwa Gefahr für Leib und Leben bedeuten würde.
Im staatlichen Verfahren müsse sich zudem eine „positive Perspektive“ abzeichnen, so der Sprecher der Nordkirche, Stefan Döbler. Die Zahl der Kirchenasyle hänge im Übrigen mit der wachsenden Zahl der Asylentscheidungen und mit der „verbesserungswürdigen Qualität“ dieser staatlichen Entscheidungen zusammen. Die Hamburger FDP hatte kritisiert, die Nordkirche würde rechtskräftige Entscheidungen der Behörden zur Abschiebung nicht asylberechtigter Ausländer „unterlaufen“.
Tatsächlich gewährt die evangelische Nordkirche (Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern) besonders viel Kirchenasyl. Von 611 Personen in Deutschland werden allein im Norden 153 betreut. Die meisten stammen aus Afghanistan, Irak und Iran.
SPD-Fachsprecher verteidigt Nordkirche
Allerdings verweist Nordkirchen-Sprecher Döbler darauf, dass nicht die Nordkirche über Kirchenasyl entscheide, sondern jede einzelne Kirchengemeinde. Döbler: „Zudem sind die Zahlen innerhalb der Nordkirche sogar rückläufig.“ Noch im Sommer 2017 habe es 193 Menschen im Kirchenasyl im Norden gegeben.
Auch Ekkehard Wysocki, religionspolitischer Sprecher der SPD in der Bürgerschaft, wies den Vorwurf der FDP zurück: „Es ist eine Aufgabe und ein altes, tradiertes Recht der Kirche, sich um Flüchtlinge zu kümmern. Damit geht sie sehr sorgsam um. Der Rechtsstaat wird nicht ausgehebelt.“ Auch wenn dieses Recht nirgendwo festgeschrieben sei, werde es doch seit Langem vom Staat so akzeptiert. Im Übrigen seien die Behörden in Fällen von Kirchenasyl stets über den Aufenthaltsort der Betroffenen informiert.
Ähnlich verhalte es sich mit dem Eingabenausschuss der Bürgerschaft: Werde dieses Gremium, dem Wysocki angehört, angerufen, habe das ebenfalls eine aufschiebende Wirkung, auch wenn das rechtsstaatliche Verfahren abgeschlossen sei und über eine Abschiebung entschieden sei.
Wysocki räumte allerdings ein, dass nicht alle Kirchengemeinden sich gleichermaßen gut über die Hintergründe des Asylverfahrens informierten, bevor sie einer Person Asyl gewährten. Das Kirchenasyl hat sich in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren in den Gemeinden etabliert.