Hamburg. In Hamburg leben 73 abgelehnte Asylbewerber in geschützten Räumen der evangelischen Kirche. Untergräbt sie die Rechtsstaatlichkeit?
Die Nordkirche gewährt zurzeit 153 von Abschiebung bedrohten Ausländern Kirchenasyl. Wie ein Sprecher des Kirchenkreises Hamburg-Ost mitteilte, leben in Hamburg 73 Menschen, in Schleswig-Holstein 44 und in Mecklenburg-Vorpommern 36 in geschützten Räumen evangelischer Gemeinden. Es handele sich um Asylbewerber, an deren Ablehnung es begründete Zweifel gebe, sagte Sprecher Remmer Koch. Häufig geht es um Familien. Unter den 153 aufgenommenen Menschen seien 59 Kinder. Die Zahl der Kirchenasylfälle weicht darum ab. Nach Angaben der Flüchtlingsbeauftragten der Nordkirche, Dietlind Jochims, sind es in Hamburg 32, in Schleswig-Holstein 20 und in Mecklenburg-Vorpommern 19 Fälle.
Den Hamburger Behörden sind 43 Kirchenasylfälle bekannt, wie der Senat auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bürgerschaftsfraktion mitteilte. Die integrationspolitische Sprecherin der Liberalen, Christel Nicolaysen, kritisierte das Vorgehen der Kirche. Es werfe rechtsstaatliche Probleme auf. „Es darf nicht die Aufgabe von Kirchen sein, rechtskräftige Entscheidungen der Behörden zu unterlaufen“, meinte Nicolaysen. Den Betroffenen stünden unterschiedliche Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung, die eine objektive Prüfung von Rechtsansprüchen garantierten. „Der Rechtsstaat kann nur funktionieren, wenn die gleichen Rechte auch für alle Schutzsuchenden und Flüchtlinge gelten“, betonte die FDP-Abgeordnete.
Innenminister sieht Mängel beim Umgang mit Kirchenasyl
Auch der schleswig-holsteinische Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU) sieht beim kirchlichen Umgang mit dem Kirchenasyl erhebliche Mängel. Obwohl sich die beiden großen Kirchen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Februar 2015 auf einen besonders sensiblen Umgang mit dem Instrument verständigt hätten, erwecke „diePraxis in der jüngeren Vergangenheit nicht nur inSchleswig-Holstein den Eindruck, dass dies nicht von allenGemeinden verinnerlicht wurde“, sagte Grote der Tageszeitung „Die Welt“.
Es gelte nun, die damalige Vereinbarung über einen zurückhaltenden Umgang mit dem Kirchenasyl „in der Praxis wieder mit Leben zu füllen“. Dies sei auch die Ausrichtung der laufenden Vorbereitung der anstehenden Gespräche mit den Kirchen. Die Forderung nach solchen Gesprächen hatte die Länder-Innenministerkonferenz im Dezember 2017 auf Antrag Schleswig-Holsteins angesichts stark gestiegener Zahlen beim Kirchenasyl beschlossen.
Für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) allerdings bezweifelte deren Bevollmächtigter bei der Bundesrepublik Deutschland, Martin Dutzmann, dass sich die Bundesländer bei diesem Thema einig seien. „Bevor dieses Gespräch geführt werden kann, müssen sich meines Wissens erst noch die Bundesländer über eine gemeinsame Position in dieser Frage verständigen“, sagte Dutzmann dem Blatt. „Bisher erhalten wir aus den Ländern durchaus unterschiedliche Signale zu ihren Erwartungen an diesen Austausch.“ Die Kirche indesstehe zu einem solchen Gespräch zur Verfügung.
Vor vier Jahren sorgen Lampedusa-Flüchtlinge für Aufsehen
Nach Angaben der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche gab es im März dieses Jahres 414 Fälle von Kirchenasyl, die 611 Personen betrafen – eine deutliche Steigerung gegenüber November 2017, als 350 Fälle mit 530 Personen registriert wurden. Vor vier Jahren hatte die Hamburger St.-Pauli-Kirche mit der Aufnahme von rund 80 afrikanischen Flüchtlingen, die über Lampedusa nach Europa gekommen waren, für Aufsehen gesorgt. Die Gruppe habe zwar im Kirchengebäude gewohnt, aber kein Kirchenasyl bekommen, erklärte Koch.