Hamburg. Religion, Rassismus und Identität sind häufige Themen des Hamburger Journalisten und Künstlers. Er liebt es zu provozieren.

Eine Begegnung in einer Kirche und auch in einer Moschee, das möchte Michel Abdollahi nicht. Er trifft sich lieber mitten in der Stadt, genauer: vor der Rathausschleuse, dieser engen Stelle bei den Alsterarkaden. Denn das war bis vor ein paar Monaten seine Bühne. Als Reporter war er vier Jahre lang für das NDR-Kulturjournal unterwegs und hat Umfragen gemacht, auch zu religiösen Themen. So stand an dieser Stelle ein Beichtstuhl, auf dem Willige dem Journalisten ihre Sünden beichten konnten, und an einem anderen Tag der „Believe-o-mat“.

Das war eine Art Glücksspielautomat, mit dem die Passanten einen Glaubenstest machen konnten. Sie mussten 17 Fragen beantworten, und danach sagte der „Believe-o-mat“, ob sie Jude, Moslem, Hindu, Buddhist oder Christ sind. Für viele war das Ergebnis sehr überraschend und der Film danach sehr unterhaltsam – wie fast immer bei Michel Abdollahi.

Er hört sich geduldig alle Vorurteile über Muslime an

Der immer höfliche Reporter, vornehm angezogen im feinen Hanseaten-Zwirn, das ist seine Rolle, und in dieser entlarvt er Menschen – gern auch vor der Kamera. „Ich stelle die Menschen nicht bloß, das machen sie von alleine. Aber ich provoziere gern“, sagt der 36-Jährige Deutsch-Iraner. Und deswegen stellte er sich auch mit einem Schild „Ich bin Muslim. Was wollen Sie wissen?“ mitten auf den Jungfernstieg und hörte sich geduldig alle Vorurteile über Muslime an wie „das sind Terroristen, die unterdrücken ihre Frauen und wollen alle Hamburger Kirchen in Moscheen umwandeln“. Auch wenn er es ungern zugibt – denn er hat Aktionen zu unpolitischen Themen gemacht –, geht es in seinen Beiträgen oft um Rassismus, Religion und Identität. Wahrscheinlich, weil das die Themen seines Lebens sind.

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Seit er 1986 mit fünf Jahren aus Teheran nach Hamburg-Eidelstedt gekommen ist, kennt er das Gefühl von Fremdsein. „Bis zur zweiten Klasse konnte ich kein Wort Deutsch.“ Seine Eltern, die zuvor in den 70er-Jahren in Hamburg studiert hatten, hatten beschlossen, dem Krieg im Iran zu entfliehen und sich in der Hansestadt eine neue Existenz als Geschäftsleute aufzubauen. Der lebhafte, selbstbewusste Junge fand es schrecklich, sich nicht ausdrücken zu können und „dadurch nicht wahrgenommen zu werden.“

Inzwischen kann er wie nur wenige Menschen mit der deutschen Sprache umgehen – er hat Jura und Islamwissenschaften studiert, arbeitet zudem als Moderator, malt Bilder und übersetzt persische Gedichte. Er ist eloquent, schlagfertig und hat mit seinem Schulfreund Jan-Oliver Lange die Poetry-Slam-Szene in Hamburg in die großen Theater der Stadt gebracht.

Gleichzeitig pflegt Michel Abdollahi ganz bewusst auch seine iranische Identität. Anders als seine Eltern, die mit Glauben wenig am Hut haben und ihn auch nicht religiös prägten, wendete er sich Gott zu, hält häufig Zwiesprache mit ihm. „Ich glaube, dass er es ist, der alles hier zusammenhält“, sagt der Schiit. Der Glaube ist für ihn Heimat und gleichzeitig eng verwoben mit der persischen Kultur. Dazu gehören auch Opfer zu Ehren Gottes.

„Ich lasse nach alter Tradition gerne mal ein Schaf schlachten und es unter den Armen verteilen. Es ist eine Art Gelübde: ‚Lieber Gott, erfülle mir einen Wunsch, und ich revanchiere mich dafür.‘ Den Deutschen Fernsehpreis zum Beispiel“, sagt Michel Abdollahi. Gewonnen hat er den Fernsehpreis 2016 mit seiner Reportage „Im Nazidorf“. Dafür lebte Abdollahi vier Wochen lang im mecklenburgischen Jamel, einem Dorf, das seit Jahren immer wieder für negative Schlagzeilen sorgt.

Doch seither kann er nicht mehr zählen, wie oft wildfremde Menschen ihn aufgefordert haben, nach Teheran zurückzugehen, ihn öffentlich bedroht und im Internet mit Hassparolen überzogen haben. „Ich bin da inzwischen abgestumpft. Nazis wollen gerne anderen Angst machen, aber das schaffen sie bei mir nicht“, sagt er.

Für Michel Abdollahi gehört der Islam zu Deutschland, „genauso wie ich hierhergehöre“. Er hält den Ramadan ein, und auch das persische Neujahrsfest am 20. März ist für ihn ein wichtiges Ereignis, bei dem auch der Koran auf den reich gedeckten Tisch gehört.

In die Moschee geht er allerdings selten. „Es war bei uns nie Brauch, regelmäßig eine Moschee zu besuchen. Vielleicht ist es deshalb nicht selbstverständlich für mich.“ Er lebt den Glauben für sich und empfindet es als befremdlich, dass die Kirchenzugehörigkeit von den Behörden kontrolliert wird. „Das ist so typisch deutsch. Für mich ist der Islam kein Verein, in den ich eintrete oder den ich verlasse, sondern der Glaube ist einfach in mir drin.“

Christliche Kirchen als Integrationsmotor der Stadt

Dennoch sieht er die christlichen Kirchen als großen Integrationsmotor in der Stadt und arbeitet gern mit beiden zusammen. Für die Nordkirche hat er bei einer Veranstaltungsreihe zum Thema Religionsunterricht mitgemacht, und mit der Katholischen Akademie hat er unter anderem eine katholische Schule in Rostock besucht. „Die Schüler dort hatten noch nie mit einem Moslem gesprochen, das war spannend für sie und für mich.“ Schüler und junge Erwachsene sind seine Zielgruppe, nicht nur weil sie seine Filme und Poetry-Slams lieben, sondern auch, weil sie für ihn der Schlüssel zur Integration sind. In seiner Schule, der Julius-Leber-Schule in Schnelsen, hat er viel über Toleranz und ein gutes Miteinander von unterschiedlichen Identi­täten gelernt. Und das will er weiter­geben.

Abdollahis neue Talkshow „Der deutsche Michel“ startet am 31.3. um 0.15 Uhr im NDR Fernsehen.