Hamburg steht gut da. Selbstzufriedenheit aber wird nicht reichen
Das Schlimmste an Hamburg ist nicht das Wetter, sondern die Selbstzufriedenheit. Das Gesäusel von der „schönsten Stadt der Welt“ atmet den Mangel an Weltläufigkeit, der Stolz auf das Erreichte birgt den fehlenden Wagemut, der Wohlstand macht satt. Das alles muss ein Bürgermeister stets wissen, er darf es nur nicht zu laut sagen.
Zweifellos steht die Hansestadt nicht schlecht da – aber sie überstrahlt weder international noch national andere Metropolen. Erst am Dienstag, Peter Tschentscher wird dieses Timing verfluchen, landete ausgerechnet Hamburg auf dem letzten Platz im Schuldenvergleich. Die meisten anderen Bundesländer haben ihre Verbindlichkeiten abgebaut, in der Hansestadt erhöhte sich der Schuldenstand um 4,7 Prozent auf 32,7 Milliarden Euro. Das HSH-Desaster und der Netzerückkauf lassen grüßen. Die Hypothek aus der gescheiterten Expansion der ehemaligen Landesbank wird die Stadt noch lange belasten.
Das ist nicht die einzige Herausforderung für den neuen Bürgermeister. Eines der Standbeine der Wirtschaft, der Hafen, bröckelt. Er gerät von zwei Seiten unter Beschuss: Zunehmend führen Handelsrouten an Hamburg vorbei, der Welthandel wächst weniger stark als erwartet – und nun droht sogar ein globaler Handelskrieg. Die Stadt trägt aber auch Mitverantwortung für die missliche Lage – die unendliche Geschichte der Elbvertiefung und ein dauerhafter Widerstand gegen das Projekt selbst beim grünen Koalitionspartner haben den Hafen geschwächt. Auch bei Unternehmensgründungen in den Bereichen Biotech, Technik oder Internet hinkt die Stadt hinterher.
Dabei beherrscht Hamburg durchaus den Aufbruch – die Elbphilharmonie verwandelt die Stadt in eine Kulturmetropole. Und Hamburg hat sich, wenn auch viel zu spät, auf den Weg zu einer Wissenschaftsstadt gemacht. Hier wird Bürgermeister Tschentscher, selbst habilitierter Mediziner, stärker noch als seine Vorgänger Maßstäbe setzen können – und müssen.
Eine Stadt des Wissens sollte nicht nur an der Spitze glänzen, sondern auch an der Basis erfolgreich sein. Die Herausforderungen für Schulen und Kitas werden nicht ab-, sondern zunehmen. Ganztagsbetreuung oder Inklusion fordern die Pädagogen schon über Gebühr, nun kommt die Integration von Tausenden Schülern hinzu, die mit der Flüchtlingskrise gekommen sind. An den Schulen wird sich entscheiden, welche Chancen diese Generation einmal bekommen wird.
Die Integration der Zuwanderer wird zur Schlüsselaufgabe. Sie verläuft erfolgreicher, als Migrationsgegner glauben machen; sie ist aber schwieriger, als Anhänger der Willkommenskultur gepredigt haben. Hamburg wird Migranten über Jahre fördern müssen – und zugleich mehr Integrationsbereitschaft einfordern dürfen.
Der massive Wandel, vor dem die Stadt steht, verunsichert die Menschen und polarisiert die Gesellschaft. Die Sicherheiten schwinden, die Globalisierung, ob in der Hafenkrise oder bei der Zuwanderung, fordert von Hamburg mehr Beweglichkeit und den Blick über den Tellerrand – alte Wahrheiten und Rezepte verlieren an Gültigkeit. Der neue Bürgermeister muss nicht nur Stratege, er wird auch Kommunikator sein müssen. Er muss die Menschen bei dem Aufbruch ins Ungewisse mitnehmen und Leitplanken formulieren – ohne eine Vision von Hamburg 2030 wird es kaum gehen. Gesundes Selbstbewusstsein ist gut, Selbstüberschätzung wäre fatal.