Hamburg. Finanzsenator zum Bürgermeister-Kandidaten gekürt. Leonhard neue Landesvorsitzende. Olaf Scholz hält bewegende Abschiedsrede.

Jetzt ist es offiziell: Peter Tschentscher soll Hamburgs neuer Bürgermeister werden. Der 52 Jahre alte Mediziner, seit 2011 Finanzsenator, wurde auf einem Sonderparteitag der Hamburger SPD mit 95,2 Prozent der Stimmen als Nachfolger von Olaf Scholz nominiert, der mittlerweile Bundesfinanzminister ist: 337 von 354 Genossen votierten für Tschentscher, 15 gegen ihn, zwei enthielten sich.Tschentscher zeigte sich mit dem Ergebnis sehr zufrieden – zumal es in geheimer Abstimmung zustande gekommen war.

Olaf Scholz mit Melanie Leonhard
Olaf Scholz mit Melanie Leonhard © Michael Rauhe

Am kommenden Mittwoch soll er in der Bürgerschaft zum Bürgermeister gewählt werden. Dass die rot-grüne Regierungsmehrheit hinter ihm stehen wird, gilt zwar als sicher. Dennoch stellt sich der designierte Senatschef am Nachmittag zunächst noch dem Koalitionspartner vor – die Grünen haben dafür extra eine Mitgliederversammlung einberufen.Nachfolgerin von Scholz als SPD-Landeschef ist Melanie Leonhard.

Es war eine Bewerbungsrede

Die Sozialsenatorin wurde ebenfalls mit überwältigender Mehrheit von 94,6 Prozent gewählt. Sie erhielt 317 von 335 Stimmen. Die 40-Jährige hatte die Parteimitglieder mit ihrer Bewerbungsrede begeistert. Für ihre Plädoyers für Integration, soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung und Aufstieg durch Bildung gab es immer wieder Applaus – vor allem, als Leonhard auf ihre Herkunft verwies: „Ich habe viele Male gehört, was jemand nicht werden kann, der in Wilhelmsburg aufgewachsen ist – das Ergebnis steht hier.“Nach neun Jahren als SPD-Landesvorsitzender und sieben Jahren als Bürgermeister hatte sich Olaf Scholz zuvor mit emotionalen Worten von seinen Hamburger Genossen verabschiedet.

"Ich habe es gern gemacht"

„Es ist für mich mit großer Wehmut verbunden, das Amt des Ersten Bürgermeisters aufzugeben in der Stadt, in der ich aufgewachsen bin“, sagte Scholz im Bürgerhaus Wilhelmsburg und betonte: „Ich habe das gern gemacht.“Scholz, der mittlerweile Bundesfinanzminister und Vizekanzler in der neuen Großen Koalition ist, zog eine positive Bilanz seiner Regierungszeit und lobte seine Genossen für die Unterstützung und Zusammenhalt: „Das war nur möglich, weil das eine tolle Partei ist, das war nicht nur einer“, so Scholz, der als Bürgermeister und Parteivorsitzender zeitweilig alles überstrahlt hatte.

„Die Hamburger SPD verfügt über viele tolle Männer und Frauen, die diese Stadt regieren können“, betonte Scholz und warb für seinen designierten Nachfolger Peter Tschentscher: Der bisherige Finanzsenator sei „der richtige Mann für die Stadt“, so Scholz. Tschentscher habe den Haushalt in Ordnung gebracht, mit soliden Finanzen den Zusammenhalt in der Stadt gefördert, er habe viel Erfahrung, „und er hat einen erwachsenen Sohn. Das ist gut.“

Eltern in der Politik

Das durfte als Anspielung darauf verstanden werden, dass mit Fraktionschef Andreas Dressel (drei kleine Kinder) und der neuen Parteichefin Melanie Leonhard (einen dreijährigen Sohn) zwei weitere Kandidaten für die Scholz-Nachfolge mit Rücksicht auf ihre Familien verzichtet hatten. Dressel wurde am Rande des Parteitags vom SPD-Landesvorstand einstimmig für das Amt des Finanzsenators vorgeschlagen.

Tschentscher setzte in seiner mehrfach von kräftigem Applaus unterbrochenen Nominierungsrede vor allem auf Kontinuität: Wohnungsbau, Wirtschaftskraft, ordentliche Finanzen und ein Ausbau der Verkehrsinfrastruktur mit neuen U- und S-Bahnen nannte auch er als seine Schwerpunkte.„Hamburg ist eine Stadt, in der wirtschaftlicher Erfolg und soziale Verantwortung zusammengehören“, sagte Tschentscher. Seine Partei habe seit 2011 viel erreicht, aber es gebe noch viel zu tun. „Wenn wir heute unsere politischen Projekte ansehen, dann haben sie alle miteinander eines gemeinsam“, so der künftige Bürgermeister: „Sie sind darauf gerichtet, dass alle Hamburgerinnen und Hamburger gut und sicher und bezahlbar in ihrer Stadt leben und arbeiten können. Das ist unsere Vision von einer modernen Stadtgesellschaft.“

Indirekt sprach sich Tschentscher, wie schon als Finanzsenator, für ein weiteres Wachstum der Stadt aus. Mit Blick auf die 300.000 Pendler sagte er: „Jeder, der in Hamburg arbeitet und dort auch eine Wohnung findet, ist ein Pendler weniger, und deshalb führt mehr Wohnungsbau in der Stadt nicht zu mehr, sondern zu weniger Verkehr, weniger Lärm und weniger Umweltbelastung, und das ist gut für die, die hierher ziehen wollen und für alle, die schon hier sind.“

Anders als Scholz, der seinen Koalitionspartner in Reden oft gar nicht erwähnt hatte, ging Tschentscher mehrfach auf die Grünen ein. So erwähnte er in Zusammenhang mit dem nötigen Wohnungsbau auch den von der Koalition beschlossenen „Naturcent“ als Ausgleich für den Verlust von Grünflächen. Ausdrücklich betonte Tschentscher auch, dass er seine Ziele innerhalb der „rot-grünen Koalition“ erreichen wolle.Zum Abschluss erfüllte sich der Ex-Bürgermeister und Ex-Parteichef Scholz noch einen Herzenswunsch. Statt des bei den Genossen üblichen „Glück auf“ wolle er seinen Parteifreunden einen hamburgischen Abschiedsgruß zurufen: „Ahoi.“

Ad personam: Tschentscher und Leonhard

Mediziner

Peter Tschentscher wurde 1966 in Bremen geboren. Für sein Medizin-Studium kam er nach Hamburg, wo er 1989 in die SPD eintrat. Von 1991 bis 2008 war er Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg-Nord und dort ab 1999 Vorsitzender der SPD-Fraktion. 2007 übernahm er auch den Vorsitz des SPD-Kreisverbands Hamburg-Nord. 2008 wurde Tschentscher in die Bürgerschaft gewählt und machte sich schnell einen guten Ruf als Finanzpolitiker.

Nach dem Regierungswechsel 2011 berief ihn der neue Bürgermeister Olaf Scholz zum Finanzsenator. Als erstem Finanzsenator überhaupt gelang es ihm, über mehrere Jahre Haushalte ohne Neuverschuldung aufzustellen – allerdings unter sehr günstigen konjunkturellen Bedingungen.Tschentscher ist verheiratet und hat einen erwachsenen Sohn.

Historikerin

Melanie Leonhard wollte nie Berufspolitikerin werden - doch nun ist sie die neue starke Frau an der Spitze der Hamburger SPD. Die 40-Jährige ist mit drei Geschwistern in einfachen Verhältnissen in Hamburg-Wilhelmsburg aufgewachsen.

Leonhard hat eine rasante Karriere hingelegt: 2011 zog die Historikerin erstmals in die Bürgerschaft ein, wo sie sich bald als familienpolitische SPD-Fraktionssprecherin und als SPD-Obfrau im Untersuchungsausschuss zum Fall Yagmur einen Namen machte. 2013 war die drei Jahre alte Yagmur nach Misshandlungen durch ihre Mutter gestorben. Das Mädchen wurde von Jugendämtern betreut.

Im Herbst 2015 fiel schließlich die Wahl des damaligen Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) auf die Sozialexpertin, als er für den zur Bundesagentur für Arbeit wechselnden Sozialsenator Detlef Scheele eine Nachfolgerin suchen musste. War Leonhard doch bereits seit dem Jahr davor auch eine seiner Stellvertreterinnen an der Spitze der Hamburger SPD. Sie wird oft als unscheinbar und leise beschrieben - aber mit viel Durchsetzungskraft.