Hamburg. Eine Zählung soll nun Klarheit bringen. Auch die Privatisierung von Krankenhäusern hinterlässt laut Experten hier ihre Spuren.
Um ihr Hilfesystem zu verbessern, hat die Hamburger Sozialbehörde am Montag mit einer Zählung der in der Stadt lebenden Obdachlosen begonnen. Noch bis einschließlich Sonntag (25. März) sollen hierfür Obdachlose und in Gemeinschaftsunterkünften lebende Menschen interviewt werden. Mit anonymisierten Fragebögen möchte die Behörde neben Geschlecht, Alter und Nationalität der Betroffenen auch Informationen zur Dauer und Ursache der Obdachlosigkeit erhalten. Darüber hinaus sollen Informationen zur Nutzung von Übernachtungs- und Hilfsangeboten, zur individuellen finanziellen Situation sowie zur gesundheitlichen Selbsteinschätzung in Erfahrung gebracht werden.
„Für eine Weiterentwicklung der Angebote brauchen wir mehr Informationen, damit wir den Menschen noch zielgerichteter dabei helfen können, ihre Notlage zu überwinden“, sagte Senatorin Melanie Leonhard (SPD). Die letzte offizielle Zählung durch die Sozialbehörde erfolgte 2009. Damals wurden rund 1000 Menschen erfasst. Das Straßenmagazin „Hinz und Kunzt“ schätzt, dass sich die Zahl seitdem verdoppelt hat.
CDU kritisiert späte Umsetzung
„Grundsätzlich begrüßen wir die Entscheidung, die Obdachlosen zu zählen. Schließlich fordern wir dies schon seit Jahren“, sagt Timo Spiewak, Pressesprecher der Caritas. Auch er gehe von aktuell etwa 2000 Obdachlosen in der Stadt aus und hoffe, die Untersuchung werde nun Klarheit bringen. Eine Woche sei dafür allerdings ein sehr enges Zeitfenster. „Die Menschen müssen genau dann in die Einrichtungen kommen, wenn die Interviewer vor Ort sind. Wer in dieser Woche oder zu den Befragungszeiten keine Hilfe in Anspruch nimmt, wird also auch nicht erfasst“, kritisiert er.
Auch die Hamburger CDU beanstandet die späte Umsetzung der Untersuchung. Laut Franziska Grunewald habe ihre Fraktion bereits Anfang vergangenen Jahres eine Neuauflage der Studie beantragt, um auf die veränderte „Zusammensetzung der in Hamburg lebenden Obdachlosen“ zu reagieren, so die sozialpolitische Sprecherin. „Der Wegfall der Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren im Jahr 2014, aber auch die Zunahme an Menschen aus krisengeschüttelten afrikanischen oder südasiatischen Staaten, die keine Chance auf Anerkennung als Flüchtling haben, haben entsprechende Folgewirkungen in Gang gesetzt“, so Grunewald.
Expertin: Viele Patienten verlieren ihre Wohnung
Laut Katrin Wollberg, die die Behörde bei der Untersuchung unterstützt, sind die Gründe für Obdach- und Wohnungslosigkeit jedoch noch vielfältiger. Die Bereichsleiterin des städtischen Unternehmens „fördern & wohnen“ ergänzt, dass außerdem ein hoher Anstieg von psychisch kranken Menschen in den Einrichtungen zu beobachten sei. „Dies führen wir auf die Privatisierung der Krankenhäuser zurück“, erklärt sie. Dort seien kaum Sozialarbeiter angestellt, die sich um die Belange der Patienten kümmern würden.
Sei ein Patient etwa für mehrere Monate stationär in Behandlung, so kümmere sich oft niemand darum, dass seine Miete weitergezahlt werde, wodurch es in Folge dessen zu Zwangsräumungen käme, so Wollberg. Zudem gebe es viele Menschen, die Angst vor Behördengängen hätten und durch das Versäumen Folgeanträge für Sozialleistungen zu stellen ihre Wohnung verlieren würden.