Hamburg. Eine Hamburger Schmerztherapeutin äußert sich sehr skeptisch. Hamburger Apothekerverein und Krankenkassen ziehen positives Fazit.
Cannabis auf Rezept – seit dem 10. März 2017 kann medizinisches Cannabis zur Behandlung von Erkrankungen auf Rezept verordnet werden. Und offensichtlich wird dieses neue Angebot von Patienten angenommen. „Die Nachfrage hat sich nach dem etwas schleppenden Beginn im ersten Quartal 2017 deutlich erhöht. Cannabis hat sich bewährt, weil es eine wichtige Therapieergänzung ist“ sagt Dr. Thomas Friedrich, Geschäftsführer des Hamburger Apothekervereins.
Verordnet wird es vor allen Dingen für Schmerz-Patienten, bei Krebserkrankungen und bei Multipler Sklerose. Nachgewiesen ist eine begrenzte Wirksamkeit laut Studien für die Behandlung chronischer Nervenschmerzen bei Erwachsenen, zur Behandlung von spastischen Muskelverkrampfungen bei Multipler Sklerose und zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen als Nebenwirkung bei einer Chemotherapie.
Schmerztherapeutin ist skeptisch
„Es gibt viele, die nachfragen, aber dann wieder abspringen“, sagt die Hamburger Schmerztherapeutin Dr. Maja Falckenberg. Zu dem Medikament äußert sie sich eher zurückhaltend: “Ich bin sehr skeptisch, weil nur wenige Patienten wirklich von dem Medikament profitieren. Laut Studien sind es unter zehn Prozent, und das entspricht auch meinen Erfahrungen.“
Es gebe nur eine ganz kleine Gruppe von Patienten, bei denen das Medikament von Nutzen sei, und das seien schwerstkranke Tumorpatienten. Bei ihnen könne das Cannabis zur Linderung der Schmerzen und zur Besserung des Allgemeinbefindens führen.
Laut der Studienlage, so die Schmerztherapeutin, helfe Cannabis am besten gegen Nervenschmerzen. Und selbst bei diesen Patienten helfe der Wirkstoff in 8,5 von 9,5 Fällen nicht. In ihrer Praxis, in der 1000 Schmerzpatienten pro Quartal behandelt werden, werden etwa ein bis zwei Anträge auf Cannabistherapie pro Woche gestellt.
Am häufigsten werden Cannabisblüten verwendet
Cannabis kann in Form von Tabletten, Spray oder Tropfen eingenommen werden. „Die häufigste Darreichungsform aber sind Cannabisblüten, die zum Beispiel als Tee aufgegossen oder geraucht werden“, sagt Friedrich.
Die steigende Nachfrage zeigt sich auch in den bundesweiten Zahlen. 2016, vor dem Gesetz zur Verordnung auf Rezept, wurden in Deutschland 647 Sondergenehmigungen für die Verschreibung von Cannabis ausgestellt. 2017 haben die deutschen Apotheken zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung rund 44.000 Einheiten Cannabis-Blüten abgegeben. „Die Tendenz war von Quartal zu Quartal steigend, sowohl bei Rezepten als auch bei den Abgabeeinheiten“, sagt Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer.
Cannabis-Präparate verursachen häufig Nebenwirkungen
Jeder Patient muss vor der ersten Verordnung eine Genehmigung der Krankenkasse einholen. Die Krankenkassen dürfen die Kosten für die Therapie allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen übernehmen. So muss es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handeln. Cannabis darf nur verschrieben werden, wenn andere Therapien keine Besserung gebracht haben und es muss die Aussicht bestehen, dass der Wirkstoff den Krankheitsverlauf positiv beeinflusst.
„Zu beachten ist auch, dass Cannabis-Präparate häufig Nebenwirkungen wie Psychosen, Schwindelgefühl und Persönlichkeitsstörungen verursachen und manchmal bereits nach kurzer Zeit abhängig machen können“, sagt Heidi Günther, Apothekerin bei der Barmer. Besonders bei Patienten mit chronischen Schmerzen empfehlen die Leitlinien deshalb den Einsatz einer Schmerztherapie, bei der mehrere Therapiebausteine zum Einsatz kommen.
Anwendungsbeobachtung über 60 Monate
Da für viele Krankheiten noch keine ausreichenden Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit vorliegen, führt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) über einen Zeitraum von 60 Monaten eine wissenschaftliche Anwendungsbeobachtung durch. Die Ergebnisse dieser Erhebung sollen dann vom Gemeinsamen Bundesausschuss als Grundlage für die Erstellung einer neuen Richtlinie genutzt werden. Das wird aber frühestens 2022 möglich sein.
Deswegen wird bei der Barmer Krankenkasse jeder Einzelfall geprüft, unter Einbeziehung des medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK), der alle Unterlagen zur Krankengeschichte des Patienten sorgfältig prüft. Seit Inkrafttreten des Cannabis-Gesetzes wurden bei der Barmer in Hamburg 100 Anträge gestellt und davon 71 bewilligt. Bundesweit gingen bei der Krankenkasse 3933 Anträge ein, von denen 2435 Anträge genehmigt wurden.
Bei der AOK Rheinland/Hamburg wurden bisher insgesamt 925 Anträge auf Kostenübernahme von Cannabispräparaten gestellt. Davon konnten 529 Anträge genehmigt werden. In Hamburg wurden 128 Anträge gestellt und davon 84 genehmigt. „Die AOK Rheinland/Hamburg begrüßt ausdrücklich die neue gesetzliche Regelung zur Kostenübernahme von Cannabis-haltigen Arzneimitteln für Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung“, sagte Antje Meyer, Sprecherin der AOK Rheinland/Hamburg in Hamburg.
Gesamtbedarf überwiegend aus dem Ausland importiert
Bei der Techniker Krankenkasse sind bundesweit rund 2900 Anträge auf Kostenerstattung von medizinischem Cannabis eingegangen. Davon wurden rund 1660 Anträge bewilligt. Eine Ablehnung bedeutet aber nicht automatisch, dass der Patienten keine Aussicht auf die Verordnung des Präparates hat. „Zum einen waren bei der Erhebung noch nicht alle Prüfverfahren des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen abgeschlossen, zum anderen wurden Anträge zum Teil unvollständig eingereicht, so dass die Antragssteller weitere Angaben nachreichen konnten. Unvollständige sowie nicht ausreichend begründete Anträge auf Kostenübernahme sind die häufigsten Gründe für negative Prüfergebnisse des MDK“, sagte Natalie Quadbeck, Sprecherin der Techniker Krankenkasse in Hamburg.
Derzeit wird der Gesamtbedarf aus dem Ausland, insbesondere aus den Niederlanden und aus Kanada, importiert. Künftig soll Cannabis auch aus der mittlerweile in Deutschland angelaufenen Produktion von medizinischem Cannabis erfolgen, sagt der Vereinsgeschäftsführer.
Wenn die Präparate in der Apotheke eintreffen, werden sie genauso behandelt wie andere Betäubungsmittel (BTM), für die besondere Regelungen gelten. Die Medikamente werden in einem BTM-Schrank gesondert gesichert. „Über jedes einzelne Präparat muss ein Nachweis geführt werden“, sagt Friedrich. Kontrolliert wird das auch von der Bundesopiumstelle, die von jedem BTM-Rezept einen Durchschlag erhält.