Hamburg. Die Plantagen kommen nicht mehr hinterher. Die Barmer hat in Hamburg fast alle Anträge auf medizinisches Cannabis genehmigt.
Seit gut fünf Monaten können schwer kranke gesetzlich versicherte Patienten Cannabisblüten zum Inhalieren auf Rezept erhalten. Die Zahl der Cannabis-Verordnungen ist seitdem um 80 Prozent gestiegen, wie das Marktforschungsinstitut Quintiles IMS in einer Analyse festgestellt hat.
Das Gesetz regelt den Einsatz von Cannabisarzneimitteln, wenn andere Medikamente nicht mehr helfen. Darüber muss allerdings ein Arzt entscheiden. Helfen sollen die Cannabispräparate bei der Linderung von Schmerzen und neurologischen Erkrankungen wie zum Beispiel Multipler Sklerose oder Tourette-Syndrom sowie bei der Behandlung von Krebspatienten.
Import kann Nachfrage nicht decken
Doch viele Patienten haben Schwierigkeiten, an diese Medikamente zu kommen. Einer der Gründe dafür ist, dass es zurzeit bundesweite Lieferengpässe gibt. Im Moment seien die Cannabisblüten nicht lieferbar, sagt Kai-Peter Siemsen, Präsident der Hamburger Apotheker.
Die Nachfrage sei so gestiegen, dass der Bedarf nicht mit den Importen aus den Niederlanden und Kanada, wo der Hanf für die medizinische Nutzung angebaut wird, gedeckt werden könne. Dort müssten die Anbauflächen entsprechend erweitert werden. „Es kann nach meiner Einschätzung ein Jahr dauern, bis wieder ausreichend Mengen zur Verfügung stehen“, sagt Siemsen.
Versorgung dennoch gesichert
Noch länger wird es dauern, bis der medizinische Hanf, wie im Gesetz vorgesehen, in Deutschland produziert wird. „In Deutschland wird es wahrscheinlich erst in drei bis vier Jahren eine Ernte geben“, sagt der Apotheker.
Trotzdem ist die Versorgung mit Cannabisprodukten gesichert, wenn auch nicht mit den begehrten Blüten. Die Alternative sind Kapseln und Tropfen mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Cannabinol, die der Apotheker selbst herstellt und die auch schon vor der Gesetzesänderung zur Verfügung standen. „Wissenschaftlich gibt es noch keinen Nachweis dafür, dass die inhalativen Cannabisprodukte besser wirken als Kapseln oder Tropfen“, sagt Siemsen. Das Einzige, was die beiden unterscheide, sei das subjektive besondere Gefühl, das mit dem Inhalieren von Cannabis verbunden werde.
Kostenübernahmeerklärung der Krankenkasse nötig
Für alle Cannabisprodukte gilt: Bei der ersten Verordnung von Cannabispräparaten muss die Kostenübernahme vor dem Beginn der Behandlung von der Krankenkasse genehmigt werden. Laut dem neuen Gesetz sind die Kassen verpflichtet, die Kosten von durchschnittlich 540 Euro pro Monat zu zahlen. Aber nicht alle Anträge haben Erfolg.
Bei der AOK Rheinland/Hamburg Seit wurden seit Inkrafttreten der neuen Regelung insgesamt 259 Anträge auf Kostenübernahme von Cannabis-haltigen Arzneimitteln gestellt, davon 156 Anträge genehmigt. Auf Hamburg entfielen davon 76 Anträge, von denen 58 genehmigt wurden. Zehn dieser Anträge wurden von Versicherten gestellt, die an der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung teilnehmen. Sie wurden alle genehmigt.
Barmer hat fast alle Anträge genehmigt
Die Barmer hat fast alle Anträge in Hamburg genehmigt. Von den insgesamt 34 Anträgen wurden nur drei abgelehnt. Gründe für die Ablehnung sind, dass alternative Therapien noch nicht in Anspruch genommen wurden oder dass Kontraindikationen vorlagen, also Erkrankungen, bei denen das Mittel nicht verschrieben werden darf, etwa eine Suchterkrankung oder eine Psychose in der Vorgeschichte des Patienten.
Die Techniker Krankenkasse hat bis Anfang Juli bundesweit 522 von 863 Anträgen auf Cannabis-Verordnung genehmigt. Die DAK konnte keine Zahlen nennen, teilte aber auf Anfrage mit, dass die Bewertung eines Antrags sich streng nach dem Gesetz und den Angaben des Arztes richte. Würden Anträge abgelehnt, dann meistens deshalb, weil nicht alle Alternativen zu Cannabis begründet ausgeschlossen worden sein. Dann habe der Arzt jedoch die Möglichkeit, eine Begründung nachzuliefern, und der Antrag werde neu geprüft. Viele Anträge würden auch abgelehnt, weil Unterlagen fehlten.
Keine klaren Kriterien
Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) weist indessen darauf hin, dass das Gesetz keine klaren Kriterien definiere. Deshalb müssten die Kassen jeden einzelnen Fall bewerten und entscheiden.
Denn bei Cannabis müsse nicht – wie bei anderen Medikamenten – vorab anhand von Studien nachgewiesen werden, dass es sicher wirke. Auch fehlten verlässliche Informationen zu Neben- und Wechselwirkungen, erklärte die stellvertretende Sprecherin des GKV-Spitzenverbandes, Ann Marini. „Wir werden also frühestens in einigen Jahren jene Kenntnisse zu Cannabis haben, die andere Medikamente bei der Zulassung vorlegen müssen, damit die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten übernehmen.“