Hamburg. Andreas Dressel verzichtet zugunsten seiner Kinder und wird Finanzsenator. Melanie Leonhard soll neue SPD-Landeschefin werden.
Das ist eine überaus überraschende Wendung: Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) soll Nachfolger von Olaf Scholz als Erster Bürgermeister in Hamburg werden. Was das Abendblatt zuvor schon aus Parteikreisen erfuhr, wurde am Freitagabend im Kurt-Schumacher-Haus bestätigt. "Es ist immer richtig, den angesehendsten Senator zum Bürgermeister zu machen", sagte Scholz in der Hamburger SPD-Parteizentrale an der Seite Tschentschers sowie der Genossen Olaf Dressel und Sozialsenatorin Melanie Leonhard. Letztere soll dem designierten Bundesfinanzminister Scholz als Vorsitzende an der Spitze der Hamburger SPD nachfolgen. Beide Personalien sollen auf einem Landesparteitag am 24. März beschlossen werden. Auch der Koalitionspartner von den Grünen wird die neue Lage am 24. März auf einer Mitgliederversammlung beraten. Die Bürgerschaft könnte den neuen Senatschef am 28. März wählen.
"Das Amt des Ersten Bürgermeisters ist für mich eine große Ehre und eine wichtige Aufgabe, die ich sehr gerne annehme“, sagte Tschentscher. Er will Hamburg als „wirtschaftsstarke Metropole und schönste Stadt in Deutschland“ weiterentwickeln. Er wolle das von Scholz stets proklamierte "Gute Regieren" weiterführen. Als Schwerpunkte nannte der 52-Jährige unter anderem sozialen Wohnungsbau und Stärkung der öffentlichen Sicherheit. Die Entscheidung für Tschentscher sei im Landesvorstand einvernehmlich gefallen, sagte Scholz. Zugleich bestätigte er, dass der bisherige Bürgerschafts-Fraktionschef Dressel Tschentscher als Finanzsenator nachfolgen solle. Dafür habe Tschentscher nach Hamburger SPD-Satzung das Vorschlagsrecht, sobald er zum Bürgermeister ernannt ist.
Tschentscher gilt als detailversessen
Vor der Entscheidung pro Tschentscher hatten in einer dramatischen Nachtsitzung des geschäftsführenden Landesvorstandes sowohl Leonhard als auch Dressel abgewinkt. "Es ist kein Geheimnis, dass ich abgewogen habe, was mit drei kleinen Kindern möglich ist", sagte der Familienvater am Abend. Wer für Dressel an die Spitze der 59 Mitglieder starken Bürgerschaftsfraktion rückt, ist nach Abendblatt-Informationen noch offen. Das sei Sache der Abgeordneten, hieß es dazu aus der Partei. Geklärt werden soll diese Personalie am 9. April.
Asket und Zahlenmensch: So tickt Peter Tschentscher
Scholz sprach mit Blick auf die Aufstellung des Personaltableaus von „einer bemerkenswerten Leadership-Leistung“ der Hamburger SPD-Spitze. „Ich finde, das ist eine sehr gute Konstellation“, sagte Tschentscher. Der künftige Bürgermeister gilt als versierter Finanzexperte, der gemeinsam mit Scholz maßgeblich dafür Sorge trug, dass der rot-grüne Senat seinem Ziel der "Schwarzen Null" stetig näherkam. Als Sprecher der Finanzressortchefs der SPD-geführten Länder hat sein Wort auch bundesweit Gewicht, derzeit hat er den Vorsitz der Finanzministerkonferenz inne. Der gebürtige Bremer gilt als ruhiger, detailversessener Politiker und ähnelt darin dem Noch-Amtsinhaber Scholz.
Grüne erfreut über Nachfolge-Regelungen
"Er hat auch ein Herz für Kultur und Wissenschaft. Er ist ein äußerst verlässlicher Kollege", sagte die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) in einer ersten Reaktion. Tschentscher habe sich mit seiner seriösen Haushaltspolitik in den vergangenen Jahren viel Vertrauen erworben. „Die politische Führungsstärke von Peter Tschentscher bemisst sich nicht in Lautstärke, sondern in Überzeugungskraft“, sagte die Wissenschaftssenatorin.
Über den Nachfolgevorschlag des SPD-Landesvorstands werde nun in der rot-grünen Koalition gesprochen werden. "Wir werden als Grüne sicherstellen, dass die Schwerpunkte der Koalition weiter vorangetrieben werden", sagte Fegebank. Sie persönlich arbeite sehr gut mit Tschentscher zusammen.
Leitartikel: Tschentscher ist der zweite Scholz
Grünen-Landeschefin Anna Gallina wünscht sich in der Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten koalitionsintern mehr Diskussion und stellenweise mehr Beweglichkeit. „Wir brauchen weiterhin offene Augen für die Entwicklung in unserer Stadt.“ Gallina, die sich auf die Zusammenarbeit in der neuen Konstellation unter Peter Tschentscher freute, würdigte ihre designierte SPD-Ansprechpartnerin auf Parteiebene, Melanie Leonhard, als „sehr kluge, starke und weitsichtige Politikerin“.
FDP-Fraktionschefin: Viele Probleme vererbt
CDU-Landeschef Roland Heintze sagte dagegen: "Das ganze wird zunehmend zur Posse. Die SPD hat offensichtlich Schwierigkeiten, den Posten zu besetzen.“ Die Opposition sparte auch zum Abschied von Scholz nicht mit Kritik. Sie hofft auf einen Politikwechsel. Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus warf Scholz vor: „Zuhören, andere Meinungen einholen, auf Gesprächspartner zugehen - das konnte Olaf Scholz nicht.“ Das müsse der Bürgermeister einer großen, weltoffenen Stadt wie Hamburg aber können. „Für seinen Nachfolger gibt es viel zu kitten.“
Die FDP-Fraktionschefin Anna von Treuenfels-Frowein monierte, Scholz' Nachfolger erbe viele ungelöste Probleme. „Die Entwicklung des Wirtschaftsmotors Hafen muss aktiver gefördert werden, in der Bildungspolitik sollte Hamburg ideologischen Ballast abwerfen, und unsere Stadt braucht dringend ein Gesamtkonzept gegen den drohenden Verkehrskollaps.“
Trepoll sieht Tschentscher als Notlösung
Für den Vorsitzenden der CDU-Bürgerschaftsfraktion André Trepoll ist Tschentscher eine Notlösung. Tschentscher bleibe nach seiner Wahl nur wenig Zeit, um die Vielzahl an Problemen in Hamburg wie Elbvertiefung, bezahlbares Wohnen und Kriminalitätsbekämpfung zu lösen. „Ich freue mich auf die harte, aber faire Auseinandersetzung mit Tschentscher um Hamburgs Zukunft“, sagte Trepoll.
Der Oppositionsführer glaubt aber nicht, dass Tschentscher den SPD-Negativtrend stoppen könne. Es sei bemerkenswert, dass dem neuen Bürgermeister als zukünftige Parteivorsitzende Melanie Leonhard zur Seite gestellt wird. „Es stellt sich die Frage, wer bei dieser neuen Machtverteilung zwischen Partei, Fraktion und Senat zukünftig das Sagen hat.“
Im Personalwechsel sehe er eine Chance für Hamburg. Mit dem Weggang von Scholz sei das Ende des rot-grünen Projekts Hamburg eingeläutet, hatte Trepoll im Vorfeld erklärt. Scholz sei von der Mehrheit der Wähler eigentlich für fünf Jahre gewählt worden. „Viele Hamburger haben nicht die SPD, sondern Olaf Scholz gewählt. Egal wer ihm jetzt im Amt nachfolgt, die Legitimation der Wähler fehlt“, kritisierte er.