Hamburgs neuer Erster Bürgermeister Peter Tschentscher ähnelt in vielem seinem Vorgänger. Ob das ein Vorteil ist?

Das Wort Sensation passt überhaupt nicht zu Peter Tschentscher. Der Mann ist still, unauffällig, zurückhaltend, keiner für große Bühnen oder Auftritte. Und trotzdem sorgte ausgerechnet dieser Peter Tschentscher für die Sensation des an Entscheidungen nicht armen politischen Freitags – zumindest aus Hamburger Sicht. Denn Tschentscher soll neuer Erster Bürgermeister werden und damit Nachfolger von Olaf Scholz, der als Bundesfinanzminister nach Berlin wechselt.

Der Autor ist Chefredakteur des Hamburger Abendblatts
Der Autor ist Chefredakteur des Hamburger Abendblatts © HA | Andreas Laible

Eine größere Überraschung wäre nur gewesen, wenn Scholz erklärt hätte, doch nicht in die Hauptstadt zu gehen. Aber sein Finanzsenator als sein Nachfolger? Das schien und scheint allein schon deshalb gewagt, weil es so aussehen könnte, als würde einer der treuesten Gefolgsleute des scheidenden Bürgermeisters dessen Politik und Politikstil einfach fortsetzen. Tschentscher muss wie eine Verlängerung der Scholz-Jahre wirken, weil er seinem bisherigen Chef so ähnlich ist. Beide eint das Interesse an der Finanzpolitik und die Arbeit im Detail. Beide sind ruhig, unaufgeregt und in der Politik eher nicht so empathisch unterwegs. Nüchtern und klug: Was für Scholz stimmt, trifft auch auf Tschentscher zu – die Hamburger werden sich wenig umstellen müssen bei dem neuen Mann im Rathaus.

Ob das schlau ist? Ob sich die SPD einen Gefallen damit tut, den Bürgermeister zwar als Person auszutauschen, aber nicht als Typ? Zweifel sind angebracht, und das hat weniger mit der Person Tschentscher als vielmehr mit Olaf Scholz zu tun. Nach seinen sieben Jahren des Durchregierens hätte es Partei und Stadt gutgetan, ein anderes Politiker-Modell auszuprobieren. Eine Frau wäre der Idealfall gewesen, doch offensichtlich war Sozialsenatorin Melanie Leonhard nicht so weit.

Mindestens so gut, weil so anders als Scholz, wäre Andreas Dressel gewesen. Der bisherige SPD-Fraktionschef galt seit Jahren als Reserve-Bürgermeister, als sofortiger Ersatz für den Fall, dass Scholz nach Berlin gehen sollte. Er ist in vielem das Gegenteil des bisherigen Regierungschefs: Anfang 40, lebhaft und mit spürbarer Leidenschaft für die Politik, Familienvater. Kein Welterklärer, sondern ein Lokalpolitiker, wie man ihn sich besser und tiefer verwurzelt in der Stadt kaum vorstellen kann.

Jeder dachte, dass Dressel die Gelegenheit ergreifen würde, wenn sie sich ihm eines Tages böte.

So kann man sich irren.

Offensichtlich wollte der vermeintliche designierte Bürgermeister dann doch nicht, und weil Gleiches für Melanie Leonhard galt, brauchte die SPD eine andere Lösung. Und fand: Peter Tschentscher.

Für ihn spricht, dass er sich nicht vor der Verantwortung drückt, dass er sich das Amt zutraut. Trotzdem dürfte er es wegen der großen Nähe zu Scholz schwer haben, sich zu profilieren und eine von möglichst vielen Menschen wahrgenommene Eigenständigkeit zu entwickeln. Zumal ein Bürgermeister nicht noch einmal wie Scholz damit durchkommen dürfte, Attacken zu ignorieren und quasi wie Königsbeleidigungen an sich abtropfen zu lassen. Der politische Gegner, allen voran die CDU, wird Tschentscher vom ersten Tag an unter Feuer nehmen, weil er genau weiß: So schwer das Original Scholz zu schlagen war, so viel eher kann das gegen Peter Tschentscher gelingen. Die nächste Bürgerschaftswahl im Jahr 2020 ist die erste seit Langem, auf die sich die CDU freuen darf.

Es bleibt die Frage, warum es ausgerechnet zum Ende der Ära von Olaf Scholz in der Hamburger SPD doch noch einmal hektisch und unübersichtlich wurde. Geordnet sah der Übergang auf jeden Fall nicht aus, aber vielleicht ist das bei einem Weggang einer so starken Persönlichkeit auch gar nicht möglich. Zu Scholz’ Vermächtnis gehört damit auch, dass die Macht, auf die er für sich bestanden hatte, wieder geteilt wird. Denn künftig sind die Ämter des Bürgermeisters (Tschentscher) und der Parteivorsitzenden (Leonhard) wieder getrennt ...