Hamburg. Firmen in der Region überraschen mit neuen Produkten. Wir prüfen, wie gut sie sind. Heute: Filme auf Deutsch und in Originalsprache.

Hamburg Für Filmfreunde, die sonst Multiplex-Kinocenter besuchen, ist das Ambiente ungewohnt: In einem Altbau geht es auf einer steilen Holztreppe mit abgetretenen Stufen, entlang an teils Graffiti-geschmückten Wänden, erst einmal zwei Etagen hoch, bis der Besucher zum Eingang gelangt – aber schließlich befindet man sich hier im Herzen des Schanzenviertels. Zudem ist das Konzept nach eigenen Angaben weltweit einmalig: Im Schanzenkino 73 können die Gäste die Filme wahlweise in deutscher Synchronisation oder in der Originalfassung sehen und sogar zwischendurch zwischen den Sprachen hin und her wechseln. Möglich machen das Kopfhörer mit einem Wahlschalter für die unterschiedlichen Tonspuren.

Ein Saal hat 50 Plätze

Für Dirk Evers, Inhaber der Betreibergesellschaft des 2017 eröffneten Kinos, dessen zwei Säle je 50 Plätze haben, ist das neue Betätigungsfeld so etwas wie eine Rückkehr zu den Wurzeln: „Ich habe vor gut 30 Jahren als Mitglied im Team des B-Movie in St. Pauli mit weniger als 60 Sitzen angefangen und hatte jetzt den Wunsch, auch mal wieder in dieser Größenordnung tätig zu sein.“ Denn im Hauptgeschäft hat es Evers mit ganz anderen Besucherzahlen zu tun.

Er leitet die Eimsbütteler Firma Outdoor Cine, einen der größeren Freiluftkino-Veranstalter in Deutschland. „In diesem Bereich haben wir bis zu 3000 Zuschauer vor Leinwänden von 30 Meter Breite“, so Evers. Das Unternehmen betreibt in den Sommermonaten drei Open-Air-Kinos allein in Hamburg – im Stadion des FC St. Pauli, im Schanzenpark und in Barmbek – sowie eines auf Usedom in Mecklenburg-Vorpommern. Bis zu 60 Mitarbeiter sind dann für die Firma im Einsatz.

Aus diesem Geschäft stammen auch die Erfahrungen mit den Kopfhörern: „Das größte Problem der Freiluftkinos ist die nächtliche Ruhestörung“, sagt Evers. Schon vor drei Jahren begann er daher mit dem sogenannten Silent Cinema: Wenn alle Zuschauer mit Kopfhörern ausgestattet werden, fühlen sich die Anwohner nicht mehr belästigt.

Filmwiedergabe läuft über zwei Computer

Das zweisprachige Kino, im Kulturhaus 73 direkt neben der Roten Flora sei dennoch ein großer Entwicklungsschritt, sagt Evers: „Wir mussten den Filmverleihern erst einmal erklären, was wir hier eigentlich tun wollen.“ Normalerweise ist es ganz einfach: Der Kinobetreiber erhält eine Festplatte, lädt die Daten auf einen Server-Computer und bekommt einen Freischaltungscode übermittelt – aber dieser Schlüssel gilt nur für eine Tonfassung. Für die zweite zahlt Evers zusätzlich.

Auch technisch gesehen stand das Hamburger Team zunächst vor einigen Herausforderungen: Damit das Konzept wie geplant funktioniert, muss die Filmwiedergabe auf zwei Computern millisekundengenau gleichzeitig gestartet werden. Dabei gab es anfangs ein Pro­blem: „In der Regel laufen die Angaben zur Synchronisation im Abspann, in seltenen Fällen aber im Vorspann“, erklärt der Kinochef. „In einem solchen Fall ist der Vorspann der synchronisierten Ausgabe etwas länger und der eigentliche Film beginnt nicht gleichzeitig mit dem in der Originalfassung.“

Durch eine entsprechende Programmierung der Server lässt sich das allerdings korrigieren. Bei allen Besonderheiten hat das Schanzenkino 73 eines mit allen anderen kleinen Lichtspielhäusern gemeinsam: „Wir stehen gewissermaßen am Ende der Nahrungskette und erhalten die Filme erst dann, wenn sie in den großen Kinos schon seit Wochen laufen.“

Auf der anderen Seite gelingt es dem Team von Evers nach seiner Beobachtung jedoch, einen relativ hohen Anteil von Gästen aus der angesichts der Konkurrenz durch Online-Video-Dienste wie Netflix sonst wenig kinoaffinen Altersgruppe der 18- bis 26-Jährigen anzuziehen – und das nicht nur wegen der Sitzsäcke in den ersten Reihen: „Junge Leute sehen sich Filme gern in der englischsprachigen Originalfassung an.“

Kino noch nicht in der Gewinnzone

Zwar verzeichnet der Geschäftsführer steigende Besucherzahlen, in der Gewinnzone ist er mit seiner Innovation aber noch nicht. Um das zu erreichen, werden auch künftig zusätzliche Einnahmen aus der Vermietung der Räumlichkeiten für Veranstaltungen nötig sein. Als hilfreich erweist sich dabei die Flexibilität der Räume, die andere Kinos zumeist nicht bieten: Anstelle der fest installierten Sitzreihen gibt es weiße Kunststoffsessel auf hölzernen Tribünenstufen, die ebenfalls weggenommen werden können, außerdem lassen sich die beiden Säle zu einem einzigen, großen verbinden.

Im vorigen Jahr fanden hier unter anderem Betriebsversammlungen des FC St. Pauli und des Schanzenkino-Sponsors Fritz-Kola statt, die Konzerne Beiersdorf und Bayer mieteten die Räume für kleinere Konferenzen. Doch auch für den alltäglichen Kinobetrieb hat Evers noch eine ganze Reihe von Ideen. „Denkbar wäre etwa ,Vino Kino‘ mit Weinverkostung“, sagt er, außerdem könne man die große Leinwand für Computerspiel-Begeisterte nutzbar machen. Denn eines steht für ihn fest: „Man muss mit dem Kino heute ganz neue Wege gehen.“

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