Hamburg. Eine Frau geriet auf einer Dating-Plattform in die Fänge eines Betrügers und zahlte ihm 50.000 Euro. Der “Weisse Ring“ hilft ihr.
Als Ngo Lan Anh (41) in dem Café in der Nähe von Hamburg den Früchteteebeutel der Marke Maybe Baby in die Tasse tunkt, muss sie lachen: „Maybe Baby, das passt doch irgendwie zu unserem Thema.“ Kann sein, Baby, vielleicht Baby – das taugt in der Tat als Motto für eine Geschichte über eine Liebesfalle im Internet, über eine Frau, die ihr Vermögen an einen Betrüger verlor. Mitgebracht zu dem Treffen mit dem Abendblatt-Reporter hat sie Werner Springer, einen pensionierten Polizisten, der nun als Betreuer für die Opferschutzorganisation Weißer Ring arbeitet. Springer musste Ngo Lan Anh nicht überreden, dem Abendblatt ihr Schicksal zu erzählen – im Gegenteil, bei aller Scham ist Ngo Lan Anh dieser Termin sehr wichtig: „Ich möchte andere Frauen davor bewahren, auch Opfer zu werden.“ Allein ihr richtiger Name soll vertraulich bleiben.
Auf ihrem Smartphone zeigt Ngo Lan Anh das Facebook-Profil eines Mannes mit einer dunklen Weste, der sich Gerrard Lewis nennt. Er gibt an, dass er in Dallas lebe und die Abilene High School besucht habe. Zu seinem Beziehungsstatus macht er keine Angaben. Beim Online-Dating-Portal Finya zeigte sich eben dieser Gerrard Lewis unter dem Pseudonym „GL093“ deutlich auskunftsfreudiger. Er sei Vater einer zwölfjährigen Tochter, geschieden und auf der Suche nach einer Beziehung. Gern in Hamburg, in die Stadt habe er sich bei einer Konferenz verliebt. Er arbeite als Kaufmann.
Der Betrüger spielt seine Rolle perfekt
„Auf diesen Betrüger bin ich reingefallen“, sagt Ngo Lan Anh. 50.000 Euro hat die gebürtige Vietnamesin dem angeblichen Gerrard Lewis geliehen, um ihm aus angeblichen Finanzklemmen zu helfen. Wie der Mann wirklich heißt, wissen weder Polizei noch Staatsanwaltschaft. Sicher ist nur, dass ihr Geld unwiderruflich weg ist. Statt ihren Traumprinzen zu küssen, verhandelt Ngo Lan Anh mit Banken über Umschuldungen.
Nun kennt jeder, der in sozialen Netzwerken unterwegs ist, Fake-Mails von Neppern, die einen Millionen-Geldregen versprechen. Man müsse nur ganz schnell ein paar Tausend Euro oder Dollar zahlen, um eine letzte juristische Hürde bei der überweisenden Bank zu nehmen. Häufig enttarnt schon das erbärmliche Englisch das Angebot als kriminelle Offerte. Womit im Gespräch mit Ngo Lan Anh schnell die Frage aufkommt, wie eine kluge Frau, die neben ihrer Muttersprache perfekt Deutsch und Englisch spricht, einem solchen Betrüger auf den Leim gehen konnte.
Das Geschäftsmodell heißt Romance-Scam
Die einfache Antwort lautet, dass die Angestellte im Bereich Import/Export genau deshalb in das Beuteschema international operierender Banden passt. Ihr Geschäftsmodell heißt Romance-Scam, also Betrügen mit dem Vorgaukeln von Verliebtheit, und hat mit dem betulichen Heiratsschwindel der 1950er-Jahre ungefähr so viel zu tun wie millionenschwerer Steuerbetrug mit Ladendiebstahl. Vornehmlich aus Nigeria, Ghana und Kenia operieren die Liebesgangster und scannen weltweit Online-Dating-Plattformen nach potenziellen Opfern,
Opfern wie Ngo Lan Anh, mehrsprachig, gut situiert, hilfsbereit, auf der Suche nach dem Glück. Als sie sich im Mai 2016 bei Finya anmeldet, schreibt ihr bald ein Gerrard Lewis aus Dallas. Lewis gibt sich überaus sensibel, er fragt Ngo Lan Anh, was ihr in einer Ehe wichtig sei, woran die letzte Beziehung gescheitert wäre. Nach ein paar Wochen chatten die beiden auch außerhalb der Dating-Plattform. Stundenlang. Und dann, welcher Zufall, behauptet Gerrard Lewis gar, er sei im selben Jahr und im selben Monat geboren – kein Wunder, dass man sich so gut verstehe. Man sei ja Widder. Schließlich tauschen sie ihre Telefonnummern aus.
Grammatikfehler machten Ngo Lan Anh stutzig
Als sie die Stimme des vermeintlichen Texaners hört, wird sie das erste Mal etwas misstrauisch. „Irgendwie passte sie nicht zu seinem Profil“, sagt Ngo Lan Anh. Zudem wundert sie sich über die grammatikalischen Fehler in den Mails, unüblich für einen angeblich so erfolgreichen US-Geschäftsmann.
Doch die Liebe siegt. „Wir haben über Wochen mindestens einmal täglich telefoniert. Seine Stimme, die mir anfangs so komisch vorkam, wurde mir sehr vertraut und lieb. Wir haben wirklich wie jedes normale Paar miteinander gesprochen. Er hat mehr als einmal geweint“, sagt Ngo Lan Anh. Sie hätten über ihre Kindheit gesprochen, über Gott und die Welt, über Probleme, Sorgen und Nöte: „Es war alles so real.“
Lewis spielte seine Rolle Oscar-reif
Lewis habe seine Rolle „Oscar-reif“ gespielt, sagt sie. Der Betrüger legte sich auch bei Facebook ein Profil zu, damit er bei einer Google-Suche glaubwürdig wirkt. Als er bei einem Gespräch über Skype gegen Donald Trump wettert, läuft auf dem Fernseher im Hintergrund CNN. Ein anderes Mal erzählt Lewis, wie gern er Fahrrad fährt – und mailt am nächsten Tag ein Foto von sich mit Fahrradhelm. Sogar Mini-Beziehungskrisen baut Lewis in sein perfides Spiel ein. Als ein Telefonat einmal unerfreulich verläuft, meldet er sich tagelang nicht, um dann zu schreiben, wie verletzt er sei. Dann greift er wieder tief in die Kiste mit Poesie, mailt, wie sehr er möchte, dass man künftig „Spreu und Korn“ gemeinsam ausschütten möge, um es dann „mit der Sanftheit Deiner Hände zu sieben“.
So kann ich mich schützen
Er pumpt seine Internet-Bekanntschaft auch nicht plump an, sondern erklärt vielmehr wortreich, wie peinlich es ihm sei, dass er gerade jetzt dringend Geld brauche. Der Zoll aus Singapur fordere plötzlich 87.000 Dollar, amerikanische Freunde hätten ihm viel Geld geliehen, 15.000 Dollar würden noch fehlen.
Ngo Lan Anh leiht sich Geld für ihre Internet-LIebe
Ngo Lan Anh muss gar nicht überredet werden. Sie leiht sich sogar Geld von einer Freundin, um ihrer Internet-Liebe 15.000 Dollar zu überweisen. Lewis bedankt sich überschwänglich – und hat ein paar Wochen später ein Problem mit einem Lieferanten, diesmal fehlen 2000 Dollar. Ngo Lan Anh zahlt und zahlt, nimmt sogar einen Kredit bei einer Bank auf. „Der Druck wurde immer größer“, sagt sie heute. Lewis habe ihr immer wieder versichert, er bräuchte nur noch ein allerletztes Mal Geld, dann wäre sein großes Geschäft perfekt, und er könne auf einen Schlag alles zurückzahlen.
Erst als ein Bekannter ihr von dieser Betrugsmasche erzählt, geht sie zur Polizei. Doch auch das Landeskriminalamt kommt in den Ermittlungen nicht weiter. Der Nutzer des Fake-Accounts „Gerrard Lewis“ sei über den Mailverkehr und die Dating-Plattform nicht zu ermitteln, er könne sich „rund um den Globus“ befinden. Auch die Rückverfolgung der Einzahlungen sei unmöglich.
Dank des Weißen Rings schöpft sie wieder Lebensmut
Für Ngo Lan Anh brach eine Welt zusammen. „Ich wurde seelisch ausgeraubt und bin durch die Hölle gegangen“, sagt sie. Dass sie wieder Lebensmut geschöpft hat, habe sie auch dem Weißen Ring zu verdanken. Bei Werner Springer habe sie immer das Gefühl gehabt, er stehe bedingungslos zu ihr. Denn Vorwürfe, wie man nur so naiv sein konnte, machen sich Frauen wie Ngo Lan Anh selbst genug. Inzwischen sieht sie auch dank des Weißen Rings wieder Land, wirtschaftlich wie emotional. Dank eines weiteren Jobs wird sie ihre Schulden in den nächsten Jahren zurückzahlen können.
Wer die einschlägigen Foren studiert, in denen sich Tausende Opfer von Internet-Liebesfallen weltweit austauschen, begreift, dass Ngo Lan Anh am Ende noch Glück im Unglück hatte. Frauen, aber auch Männer, schreiben verzweifelt, dass sie hoffnungslos überschuldet sind, sogar ihre Wohnung verlieren werden. Andere berichten über drohende Haftstrafen, da sie im Auftrag ihrer Internet-Bekanntschaften Pakete transportierten – und als Drogenschmuggler erwischt wurden.
Beim Abschied sagt Ngo Lan Anh noch, dass sie weiter an das Gute im Menschen glaube: „Ich helfe und gebe noch immer gerne, es sind meine glücklichsten Momente.“ Nur von Männern auf der Suche nach einer Beziehung hat sie vorerst die Nase voll.