Hamburg . Die Pläne der künftigen Großen Koalition stoßen in Hamburg auf geteiltes Echo. Gewerkschafter sind dafür, Unternehmer alarmiert.
Fabian Hahn arbeitet am liebsten direkt am Ofen. Da, wo aus Teig Brot wird. Mit knuspriger Kruste und unverwechselbarem Duft. Seit August macht der 16-Jährige eine Ausbildung zum Bäcker bei der Hamburger Bäckerei Becker in Marmstorf. „Was anderes konnte ich mir gar nicht vorstellen“, sagt der junge Mann und wischt sich die Hände an der weißen Schürze ab.
In seiner Familie gibt es mehrere Bäcker. Auch für Dalibor Schertes ist die Lehre erste Wahl. Seine Mutter hat einen Laden, da will der 17-Jährige nach der Meisterprüfung einsteigen. Das frühe Aufstehen und eine Ausbildungsvergütung von gerade mal monatlich 500 Euro im ersten Jahr – für die beiden keine Hindernisse. „Na ja, ein bisschen mehr Geld wäre natürlich schon schön“, sagt Dalibor Schertes und grinst.
Die Bewerbungen werden weniger und schlechter
Das kann Firmenchefin Wiebke Krüger gut verstehen. „Aber welcher Mittelständler kann sich das dann noch leisten“, sagt die 40-Jährige, die den Familienbetrieb mit acht Läden und 70 Mitarbeitern von Vater Peter Becker übernommen hat. Auch sie erlebt wie viele andere Handwerksfirmen, dass weniger und schlechtere Bewerbungen kommen. Mehr Lohn von den Ausbildungsbetrieben ist für sie nicht die Lösung. „Ich finde es schade, dass die Politik zwar das Studium subventioniert“, sagt Krüger. „Aber bei der dualen Ausbildung sollen die Firmen ran.“
Möglicherweise muss die Chefin der Bäckerei-Kette ihren Auszubildenden trotzdem bald mehr zahlen. Die Zukunft des Lehrgelds hat es bis in den Koalitionsvertrag von Union und SPD geschafft. Auf Seite 30 findet sich die entscheidende Passage, in der die GroKo-Partner eine Novelle des Berufsbildungsgesetzes inklusive Mindesthöhe der Ausbildungsvergütung versprechen.
Das Gesetz soll 2020 umgesetzt werden
Auf konkrete Zahlen legen sich die potenziellen Koalitionäre nicht fest, aber sie haben sich einen Zeitplan verordnet. Das Gesetz soll bis zum 1. August 2019 beschlossen sein und Anfang 2020 umgesetzt werden. Das wäre in knapp zwei Jahren. Ob das klappt, ist fraglich. Denn, man ahnt es nach den Verwerfungen in der Mindestlohndebatte, das Thema wird noch für ordentlich Zündstoff sorgen.
Um zu verstehen, um was es geht, ist ein Blick auf den Istzustand des monatlichen Azubi-Salärs hilfreich. Dabei ist der Begriff Vergütung anzuwenden, denn streng genommen erhalten Auszubildende keinen Lohn. In der aktuellen Version schreibt das Berufsausbildungsgesetz nur vor, dass das Entgelt angemessen sein muss. Was das bedeutet, ist je nach Branche, Region und Tarifzugehörigkeit sehr unterschiedlich.
Nicht tarifgebundene Betriebe können laut Rechtsprechung die tariflichen Sätze um bis zu 20 Prozent unterschreiten. So bekommt zum Beispiel ein Fleischerlehrling in Rostock im ersten Jahr im Schnitt etwa 300 Euro pro Monat, ein Mechatroniker in Hannover dagegen 965 Euro. Mit zu den Schlusslichtern gehören die Friseure, die bundesweit bei 406 Euro liegen. In Hamburg bekommen sie im Moment sogar anfangs nur 300 Euro. Bei dem Vorstoß der GroKo geht es auch darum, künftig solche Ungleichheiten zu verhindern.
Bessere Vergütung könnte Abbrecherquote senken
Der erste Vorschlag zur Umsetzung kam, kaum dass der GroKo-Vertrag öffentlich war, vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). „Wir haben das Thema schon seit zehn Jahren auf der Agenda“, sagt die Hamburger Vorsitzende Katja Karger. „Jetzt, wo wir den gesetzlichen Mindestlohn haben, ist die Jugend dran.“ Der DGB fordert eine Mindestausbildungsvergütung in Höhe von 80 Prozent des durchschnittlichen tariflichen Entgelts des jeweiligen Ausbildungsjahrs. In Zahlen bedeutet das: 635 Euro im ersten Lehrjahr, 696 Euro im zweiten und 768 im dritten. Insgesamt 162.000 Jugendliche würden nach Schätzungen von der Anhebung profitieren. Das sind etwa zwölf Prozent der 1,34 Millionen Azubis im Land.
„Eine bessere Vergütung ist ein wichtiger Aspekt, um die Abbrecherquote zu senken“, sagt Wiebke Oetken von der Hamburger DGB-Jugend, die den Vorschlag maßgeblich miterarbeitet hat. Die Bezahlung habe auch etwas mit Wertschätzung gegenüber den Azubis zu tun. Bei einer Umfrage an Berufsschulen hatten sich mehr als 90 Prozent für die Einführung einer Mindestvergütung ausgesprochen. „Es geht darum, dass die jungen Leute auch von dem Entgelt leben können“, sagt die DGB-Funktionärin.
Gerade in einer Großstadt wie Hamburg sei die Zahl der zugezogenen Azubis mit 40 Prozent sehr groß. „Die können gar nicht weiter bei den Eltern wohnen, um Geld zu sparen.“ Für einen Teil bleibt trotz des Kindergeldes nur der Weg, Berufsausbildungshilfe zu beantragen. „Die Betriebe müssen da mehr mit in die Verantwortung“, argumentiert Oetken. Schließlich arbeiteten die jungen Menschen ja auch.
In Betrieben und Verbänden stößt die Initiative dagegen erwartungsgemäß auf Kritik, teilweise sogar Ablehnung. Von einem Eingriff in die Tarifhoheit ist die Rede. Das Handwerk fürchtet Schaden für die Berufsausbildung: Noch mehr Betriebe, vor allem die kleineren, könnten sich daraus zurückziehen, heißt es beim Zentralverband des Deutschen Handwerks.
Bei der Hamburger Handelskammer gibt es dagegen keine Debatte, zumindest offiziell. Ein Großteil der Betriebe ist nicht betroffen, weil sie bereits mehr zahlen. Das gelte auch für die Mitglieder des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands. In allen sechs Ausbildungsberufen würden 710 Euro als Einstiegsvergütung für Azubis überwiesen, sagt die Hamburger Geschäftsführerin, Ulrike von Albedyll. Angesichts des drohenden Fachkräftemangels bezweifelt sie die Notwendigkeit einer gesetzlichen Mindestgrenze. „Das regelt der Markt.“
Aber auch in Hamburg, wo jedes Jahr insgesamt 9000 Ausbildungsplätze zu besetzen sind, liegen eine Vielzahl von Berufen unter der jetzt geforderten Mindesthöhe, darunter Friseure (300 Euro im ersten Jahr), Gerüstbauer (450), Fachverkäufer im Lebensmittelhandwerk (500), Floristen (539), Boden- und Parkettleger (540). Nicht zuletzt angesichts sinkender Bewerberzahlen haben die zuständigen Innungen für einige Berufsfelder inzwischen Erhöhungen zum 1. August beschlossen.
Trotzdem gibt es teilweise noch erhebliche Differenzen zum geforderten Mindestlohn, bei den Schornsteinfegern etwa sind es monatlich 185 Euro im ersten Jahr, für die gesamte Lehrzeit wären es 6660 Euro. Bei den Lebensmittelfachverkäufern sind es 135 Euro im Monat. Auch da kommen mehrere Tausend Euro in der Ausbildungszeit zusammen.
In Einzelfällen gibt es Boni für Bäckerlehrlinge
„Augenmaß“, fordert die Geschäftsführerin des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung (HIBB), Sandra Garbade, bei der Festlegung der Mindest-Azubi-Vergütungen. „Ein Ausbildungsverhältnis ist eine Zeit des Lernens.“ Trotzdem müsse Leistung angemessen bezahlt werden. Im Sinn der jungen Leute sei zu begrüßen, dass Fälle von Ungleichbehandlung aufgehoben werden sollen. „Wenn man sich für einen Beruf interessiert, spielt der Verdienst eine Rolle, aber es gibt noch andere Kriterien.“ Die Qualität der Ausbildung sei ebenso wichtig, die Aufnahme im Betrieb, Übernahmechancen in den Betrieben und auch der Berufsschulunterricht. Das belegt auch eine Umfrage der Hamburger Handwerkskammer unter Auszubildenden.
„Auszubildende sind keine vollwertigen Arbeitnehmer“, argumentiert Heinz Essel, Geschäftsführer der Hamburger Bäckerinnung, mit Blick auf die Berufsschultage. „Ich glaube nicht, dass eine höhere Vergütung mehr junge Menschen zum Handwerk bringt.“ Er hält die GroKo-Pläne für „Quatsch“. „Das lehnen wir ab.“ In Hamburg gibt es aktuell 53 Bäckerlehrlinge. Es würden bereits in Einzelfällen Boni gezahlt, so Essel. Die Bäckerei-Kette Junge etwa, die in Hamburg und Umgebung mehr als 60 Filialen betreibt, lockt mit einem Plus von monatlich 100 Euro. Dazu kommen leistungsabhängig weitere 200 Euro. Das gilt für Bäcker und Konditoren in Lübeck und Rostock, aber auch für Fachverkäufer in Hamburg.
Davon sind die Hamburger Friseure weit entfernt. Trotzdem führt dieses Handwerk die Liste der beliebtesten Berufe bei jungen Frauen nach wie vor mit deutlichem Vorsprung an. 543 Azubis waren Ende 2017 bei der Handwerkskammer gemeldet. Schon seit Längerem kämpft die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di um eine tarifliche Regelung für die Auszubildenden.
Inzwischen ist Bewegung in die festgefahrene Sache gekommen. „Wir planen eine erhebliche Erhöhung der Vergütung für Azubis ab dem 1. Jahr“, sagt Innungs-Obermeister Birger Kentzler. Seit 2012 war nichts passiert. Im April soll die Hauptversammlung die neuen Entgelte absegnen. Genaue Zahlen will er vorher noch nicht nennen, aber es werde sich oberhalb des Nachbarlands Schleswig-Holstein einpendeln. Dort wird nach dem jüngsten Abschluss 420 Euro im ersten Jahr gezahlt.
Geht es ums Geld oder um die innere Einstellung?
Mehr, sagt der Friseurmeister, der in Bahrenfeld einen kleinen Salon mit fast 100-jähriger Familiengeschichte betreibt, sei nicht drin. Er beschäftigt eine Auszubildende. Die Argumentation des DGB nennt er „verfehlt“. „Es muss ein Gleichgewicht gefunden werden zwischen einer vernünftigen Ausbildungsvergütung und dem, was die Betriebe zahlen können.“ Aus seiner Sicht ist die vergleichsweise hohe Abbrecherquote in dem Handwerk nicht in der Bezahlung begründet, sondern in der inneren Einstellung zum Beruf.
Für die beiden Bäcker-Azubis Fabian Hahn und Dalibor Schertes bei Bäcker Becker ist Abbrechen keine Option. „Die Ausbildung macht Spaß“, sagen sie nach den ersten Monaten. Auch die Frotzeleien von Freunden wegen der harten Arbeitsbedingungen, die anfangs kamen, sind viel seltener geworden. Inzwischen wissen sie auch noch einen anderen Vorteil zu schätzen. „Bäcker haben nachmittags frei.“ Und es gibt wohl kaum einen Arbeitsplatz, an dem es so gut riecht wie in der Backstube.