Lüneburg. Gewerkschaft NGG kritisiert hohen Zuwachs bei Beschäftigten, für die der Lohn nicht ausreicht

Im Landkreis Harburg brauchen immer mehr Menschen einen zweiten Job. Betroffen sind derzeit 7100 Arbeitnehmer, die neben dem Haupterwerb noch einen Minijob übernommen haben. Das sind 65 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Das geht aus einer Untersuchung für die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) hervor.

„Wir haben einen niedersachsenweiten Trend“, sagte NGG-Geschäftsführer Steffen Lübbert dem Abendblatt. So gab es zwischen März 2007 und März 2017 im Heidekreis ebenfalls ein Plus um 53 Prozent, in Lüneburg um 66 Prozent und in Rotenburg (Wümme) sogar um 79 Prozent. Die NGG Lüneburg beruft sich für die Untersuchung auf Zahlen der Arbeitsagentur.

Besonders verbreitet seien Zweitjobs im Gastgewerbe, so die NGG. 840 geringfügig Beschäftigte arbeiten in der Branche im Kreis Harburg – zusätzlich zu einer sozialversicherungspflichtigen Stelle. Gegenüber 2007 stieg ihre Zahl sogar um 68 Prozent. „Es kann nicht sein, dass immer mehr Menschen mit einem Arbeitsverhältnis nicht über die Runden kommen“, so Lübbert weiter.

Mit Blick auf das Gastgewerbe kritisiert der Gewerkschafter, die Branche dürfe nicht zur Minijobber-Domäne werden: „In Hotels, Pensionen und Restaurants brauchen wir mehr gelernte Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte. Aushilfen können auf Dauer keine Fachkräfte ersetzen.“ Schon heute seien die Klagen über fehlende Köche und Oberkellner groß. Doch die seien nur zu gewinnen, indem die Betriebe gute Löhne zahlten.

Zuletzt hatten sich Arbeitgeber und Gewerkschaft vom 1. Juni an auf ein Plus beim Lohn von 5,2 Prozent geeinigt. Der Tarifabschluss gilt für 24 Monate. Damit erhalten Aushilfen 10,21 Euro pro Stunde und ausgebildete Fachkräfte im ersten Jahr 11,54 Euro. „Es stellt sich aber die Frage, ob in der Gastronomie nach Tarif gezahlt wird“, so der NGG-Geschäftsführer.

Der Hintergrund: Insgesamt geht die Zahl der tarifgebundenen Unternehmen laut NGG in der Branche zurück. Lübbert plädiert daher dafür, dass ausgehandelte Tarifverträge künftig in allen Betrieben einer Branche gelten sollen – unabhängig davon, ob der Chef in einem Arbeitgeberverband ist oder nicht.

Die zunehmende Zahl der Aushilfen in der Gastronomie könne auch eine Reaktion auf die Fachkräftemangel in der Branche sein, eine „Notlösung“, wie Christina Schrödter, Beraterin Tourismus bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Lüneburg, sagt. „Die Zahl der offenen Stellen nimmt seit Jahren zu“, weiß die Expertin. So hatten bei der Saisonumfrage der Kammer im Herbst vergangenen Jahres 58,7 Prozent der Betriebe darauf verwiesen, dass sie Stellen längerfristig nicht besetzen konnten. Im Herbst 2014 waren es dagegen noch 44,6 Prozent. In der zweiten Novemberhälfte sollen nun neue Daten für den Bereich der IHK vorgelegt werden. Zu den sieben vertretenen Landkreisen zählt auch der Landkreis Harburg.

Handlungsbedarf sieht die NGG Lüneburg auch bei der Politik. „Wenn laut Arbeitsagentur im Kreis Harburg mittlerweile mehr als jeder neunte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte einen Nebenjob hat, ist etwas aus dem Ruder gelaufen“, sagt Lübbert. Der gesetzliche Mindestlohn sei zwar ein erster Schritt, um Niedriglöhne abzuschaffen. Doch mit derzeit 8,84 Euro pro Stunde liege die Untergrenze zu niedrig, um davon als Vollzeit-Beschäftigter eine städtische Wohnung bezahlen zu können.