Hamburg . Gesetzlich vorgeschrieben sind 8,84 Euro pro Stunde. Doch Hotels und Restaurants nutzen Tricks, um die Löhne zu drücken.

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es Überlegungen, Roboter als Kellner einzusetzen und den Gästen das Bier maschinell servieren zu lassen. Cafés schließen ihre Terrassen, weil sie keine Bedienung finden. Und Hotelketten sehen sich durch den Fachkräftemangel in ihrer Expansion behindert. Keine Leute, keine neuen Hotels. Gerade in Hamburg und an den Küsten, in Regionen, die immer mehr Touristen anziehen, wird der Personalnotstand als größtes Hemmnis für Wachstum in der Gastronomie beklagt.

Doch wer soll sich in der Branche bewerben, wenn vielen Kellnern oder Köchen nicht einmal der Mindestlohn gezahlt wird? Aktuelle Kontrollen belegen, dass etliche Arbeitgeber im Norden den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 8,84 Euro pro Stunde unterschreiten. Und der Missbrauch weitet sich offenbar weiter aus. Die Zahl der Verfahren gegen Unternehmen und die Summe der Bußgelder haben sich im Vergleich zum Jahr 2016 erhöht.

Gewerkschaftsbund spricht von Betrug

Bei der jüngsten Kontrolle vor wenigen Wochen in Hamburg hat der Zoll 33 Gaststätten und Imbisse besucht. Dabei stießen die Beamten auf 14 Mitarbeiter, denen der Mindestlohn vermutlich nicht ordnungsgemäß ausgezahlt wurde, meldet die Bundesbehörde.

Die Zahlen stellen nur eine Stichprobe dar, aber sie passen ins Bild: Nach einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung haben in Hotels und Gaststätten 38 Prozent der Beschäftigten 2017 weniger als den Mindestlohn erhalten. Zum Vergleich: Im Einzelhandel, der ebenfalls für niedrige Bezahlung bekannt ist, lag noch ein Fünftel der Mitarbeiter unter der gesetzlichen Grenze.

Uwe Polkaehn, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB Nord), spricht von Betrug: „Wer weniger als Mindestlohn zahlt, verhält sich kriminell. Wir sehen, dass dies leider auch in Hamburg und Schleswig-Holstein massenhaft geschieht, da geht es nicht nur um ein paar schwarze Schafe.“

Besonders häufig müssen sich Kellner, Küchenhilfen, aber auch Köche mit einem ungesetzlichen Niedriglohn begnügen, sagt Anne Widder von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) in Hamburg. Auch Lieferdienste fielen beim Lohndumping auf. So habe eine bekannte Pizzakette die Mitarbeiter dazu gezwungen, 30 Cent ihres Trinkgeldes pro Tour an den Arbeitgeber abzugeben.

„Auf diese Weise sind die Fahrer unter den Mindestlohn gerutscht“, sagte die Gewerkschafterin Anne Widder. Hotels verlangten nach Angaben der NGG wegen der knapp bemessenen Personaldecke besonders oft Überstunden von Servicekräften oder im Housekeeping, sodass diese Beschäftigten unter die Grenze von 8,84 Euro fielen.

Insbesondere Auszubildende würden ausgebeutet

Der Branchenverband Dehoga verweist darauf, dass die überwiegende Zahl der Hotels in Hamburg an die geltenden Tarife gebunden ist. 90 Prozent sind Mitglieder beim Arbeitgeberverband. „In Hamburg liegt der niedrigste Tariflohn bei 9,35 Euro in der Stunde“, sagte Ulrike von Albedyll, Dehoga-Geschäftsführerin. Die Gewerkschaften verweisen jedoch auf Schlupflöcher: Die Dienstpläne beschränkten sich oft auf handgeschriebene Zettel, sodass diese Papiere bei Kontrollen des Zolls auch leicht über die tatsächliche Belastung der Beschäftigten hinwegtäuschen könnten. „Eine zuverlässige elektronische Zeiterfassung leisten sich meist nur große Hotels“, sagte Anne Widder.

Insbesondere Auszubildende würden in Hotels ausgebeutet. Die NGG kennt Fälle, in denen die jungen Leute so viele Überstunden leisten mussten, dass sie mit einem Stundenlohn von weniger als vier Euro abgespeist werden, und das bei den hohen Hamburger Mieten.

Das Umgehen der gesetzlichen Bezahlung wird den Gewerkschaften von den betroffenen Mitarbeitern nur selten gemeldet – die meisten Firmen haben keinen Betriebsrat und die Beschäftigten befürchten Nachteile, wenn sie das Lohndumping öffentlich machen. DGB-Chef Polkaehn fordert daher, „zügig die Zahl der Kontrolleure beim Zoll auf bundesweit 10.000 aufzustocken und die Prüfdichte zu erhöhen“. Außerdem müssten die Dokumentationspflichten der Unternehmen ausgebaut werden.

Auch beim Zoll ist man sich des Missstandes bewusst: „Das Ergebnis der aktuellen Kontrolle zeigt, dass im Gaststättengewerbe die gesetzlichen Bestimmungen noch unzureichend beachtet werden und dass deshalb die Arbeit des Zolls unerlässlich ist“, sagt Sprecherin Kristina Severon.

40 Stunden pro Woche für 1777 Euro Brutto

Dass die Branche über wenige Bewerber klagt, ist angesichts der Bedingungen keine Überraschung: „Es ist in der Gas­tronomie ohnehin eine Herausforderung, Nachwuchs zu bekommen – bei Arbeitszeiten, die familienunfreundlich und für ein soziales Leben nicht gerade zuträglich sind“, ergänzt NGG-Fachfrau Anne Widder.

Und wenn dann noch die tariflich ohnehin geringe Bezahlung unterschritten werde, dürften sich die jungen Leute für einen anderen Beruf entscheiden, sodass der Fachkräftemangel ein Dauerthema bleiben werde. Schließlich bekomme ein Hotelkaufmann oder ein Barmixer auch bei regulärer Bezahlung nach der Ausbildung gerade einmal 1777 Euro Bruttolohn, für eine 40-Stunden-Woche.

Die Tricks der Arbeitgeber beim Mindestlohn:

Nach Angaben des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) sind die Unternehmen kreativ, wenn die Löhne gedrückt werden sollen:

1. Der Arbeitszeit-Trick

Es werden neue Verträge mit reduzierter Arbeitszeit vorgelegt, aber die Arbeit im alten Umfang erwartet.

2. Der Überstunden-Trick

Ein Teil der Arbeit wird zum Mindestlohn abgerechnet, Überstunden tauchen aber auf dem Lohnzettel nicht auf.

3. Der Weihnachtsgeld-Trick

Es werden Zuschläge (Qualitätsprämien, Nachtzuschläge, Sonntagszuschläge, Überstundenzuschläge etc.) und Weihnachts-/Urlaubsgeld in den Grundlohn eingerechnet, um auf die 8,50 Euro pro Stunde zu kommen.

4. Der Bereitschaftsdienst-Trick

Es werden Pausen, Warte- und Bereitschaftszeiten plötzlich nicht mehr vergütet (z.B. bei Behindertentransporten oder auch bei Taxifahrern).

5. Der Gutschein-Trick

Es werden Naturalien als „Bezahlung“ angeboten wie etwa in Kinos (Eintrittskarten und Popcorngutschein), Bäckereien (Essensgutschein) Wellness-Centern (Solariumgutschein).

6. Der Urlaubs-Trick

Urlaubstage werden auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum (24 Werktage) reduziert, um höhere Kosten für Mindestlohn an dieser Stelle wieder „reinzuholen“ .

7. Der Praktikums-Trick

Arbeitsverhältnisse werden als Praktika oder Volontariate deklariert, obwohl es sich nicht um Lernverhältnisse handelt.

8. Der Sohnemann-Trick

Minijobber werden angehalten, Familienangehörige unter 18 Jahren bei ihrem Arbeitgeber anzumelden, um die Ausnahmeregelung für Minderjährige zur Umgehung des Mindestlohnes zu nutzen.

9. Der Trinkgeld-Trick

Kellnerinnen und Kellner sollen das Trinkgeld in einen Topf werfen, um daraus dann die Lohnerhöhung zu finanzieren.

10. Der Kilo-Trick

Saisonarbeiter sollen während der Ernte nach Kilo und nicht nach abgeleisteten Stunden bezahlt werden.

11. Der Fixlohn-Trick

Minijobberin im Einzelhandel sollen mit ihrem Vertrag übers Jahr gesehen eine feste Summe bekommen – ohne Berücksichtigung des Mindestlohns pro Zeitstunde.

12. Der Kundenpauschalen-Trick

Beschäftigte im Dienstleistungssektor sollen eine Kundenpauschale erhalten, unabhängig von der Dauer ihrer Anwesenheit im Betrieb.

13. Der Umsatz-Trick

Beschäftigte sollen zwar den Mindestlohn erhalten, müssen dann aber eine mehrprozentige Abgabe auf ihren Umsatz an den Arbeitgeber entrichten.

14. Der Schwarzarbeit-Trick

Beschäftigte erhalten nur für eine geringe Stundenzahl den Mindestlohn, der Rest wird „schwarz“ ausgezahlt.

15. Der Augen-zu-Trick

Es wird von manchen Arbeitgebern schlicht ohne Begründung der Mindestlohn nicht gezahlt oder behauptet, für bestimmte Tätigkeiten, Anstellungsverhältnisse (Minijobs) oder Betriebsgrößen gelte der Mindestlohn nicht.