Sie sind Deutschlands erfolgreichste Hip-Hop-Gruppe – polizeibekannt und knasterfahren. Ende März geben Bonez MC, Gzuz, LX, Maxwell und Sa4 in Hamburg ihr bislang größtes Konzert vor bis zu 16.000 Fans. Was steckt hinter der 187 Strassenbande?
Wien, Anfang Dezember. Auf der Einkaufsmeile Mariahilferstraße gibt es kein Durchkommen mehr. Mehrere Hundert Teenager, viele noch Kinder, belagern den dortigen Nike Store. Sie drücken sich gegen die gläserne Fassade, winken und rufen und schlagen mit den Fäusten gegen die meterhohen Fenster – bis die Polizei einschreitet. Die Autogrammstunde der Hamburger Hip-Hop-Gruppe 187 Strassenbande und des Rappers RAF Camora wird nach 30 Minuten abgebrochen. „Zu gefährlich“, heißt es. Mit bellenden Hunden drängen Polizisten die Fans zurück.
Tumulte wie diese könnten sich schon bald in zahlreichen anderen Städten abspielen. Seit dem 1. März sind die Rapper Bonez MC, Gzuz, LX, Maxwell und Sa4 wieder auf Tour. Acht der 20 Konzerte sind bereits ausverkauft. Zum Abschluss steht am 31. März das bislang größte Konzert an, das die 187 Strassenbande bislang gegeben hat: Bis zu 16.000 Fans werden zum Heimspiel in der Barclaycard Arena erwartet.
Zeitweise sah es so aus, als müsste die Hip-Hop-Crew dabei auf ihre schillerndste Figur verzichten. Anfang Dezember verurteilte das Amtsgericht Altona den Rapper Gzuz zu vier Monaten Haft auf Bewährung, nachdem er in einem Bahrenfelder Getränkemarkt dem Verkäufer eine Ohrfeige verpasst hatte. Für den von Hals bis Fuß tätowierten Heißsporn mit der einschüchternden Statur ist es bereits die 13. Verurteilung. "Ihnen muss bewusst sein, dass Sie das nächste Mal für 14 Monate in den Knast gehen", so die Richterin. Es wäre nicht das erste Mal. Wegen Raubes und Körperverletzung saß Gzuz bereits drei Jahre lang im Gefängnis.
Sido von 187 Strassenbande beeindruckt
Zwischen Autogrammstunde und Gerichtsverhandlung, mit einem Bein wieder hinter Gittern, in den Gedanken schon auf Hamburgs größter Bühne: Der Fall Gzuz zeigt zwei Welten, in denen sich seine Crew, die 187 Strassenbande, bewegt. Da ist auf der einen Seite Deutschlands derzeit erfolgreichste Hip-Hop-Combo, die mit ihren derben Erzählungen vom Hamburger Kiez, mit Reimen über Drogen- oder Knasterfahrung, über willige Frauen, schnelle Autos oder Stress mit der Polizei, die Smartphones einer ganzen Generation erobert.
Ihre bisherige Bilanz beeindruckt sogar langjährige Hip-Hop-Größen. „Die Mukke ist geil, die Typen sind geil, die ganze Gang ist geil. Das ganze Modell, das sie sich da hingebaut haben funktioniert“, lobte Sido. Acht goldene Schallplatten und dreimal Platin räumten die Rapper in den vergangenen beiden Jahren ab. Ihr Album „Sampler 4“ stürmte vergangenes Jahr nicht nur die Charts, sondern brach auch bei Streamingdiensten wie Spotify alle Rekorde. In der ersten Woche streamten 22,9 Millionen Fans die Tracks der Hip-Hop-Crew, die damit sogar Ed Sheeran abhängte. Das ist die eine Seite.
Was hinter der Zahlenkombination "187" steckt
Fragt man die Hamburger Polizei ergibt sich ein anderes Bild: Die 187 Strassenbande ist den Ermittlern bestens bekannt. Einzelne Mitglieder sind demnach unter anderem wegen Raubes, Körperverletzung, Drogenbesitzes, Beleidigung und Sachbeschädigung in Erscheinung getreten. Mit Gzuz und LX, der 2015 wegen mehrerer Gewaltdelikte zu 22 Monaten Haft verurteilt wurde, saßen bereits zwei prominente Gesichter der 187 Strassenbande im Gefängnis. Andere, der Öffentlichkeit eher unbekannte Mitglieder der Gruppe, sitzen noch immer.
Dass es sich bei der 187 Strassenbande nicht um fromme Pfadfinder handelt, steckt bereits in ihrem Namen. „187" - dieser Paragraf steht im kalifornischen Strafgesetzbuch für Mord. Eine Zahlenkombination, die auch amerikanische Straßengangs in der Vergangenheit immer wieder aufgriffen, um ihre Skrupellosigkeit und kriminelle Energie zum Ausdruck zu bringen.
Will man sich selbst ein Bild von der Hamburger Strassenbande machen, stößt man auf eine Mauer des Schweigens. Obwohl die 187ers, wie sie sich nennen, ihre Fans auf Instagram und Co. bei nahezu allen Aktivitäten teilhaben lassen, gewähren sie Journalisten keinen Einblick in ihre Parallelwelt. Schriftliche Anfragen bleiben unbeantwortet. „Keine Presse“, heißt es auch auf Nachfrage in ihrem Hauptquartier, dem Tattoostudio 187 Ink auf St. Pauli.
Der Mann, der wohl am ehesten Auskunft geben könnte, nennt sich Bonez MC. Der Anfang Dreißiger, der gerne mit goldenem Zahnschmuck in die Kameras lächelt und mit bürgerlichen Namen John Lorenz Moser heißt, ist das Mastermind der 187 Strassenbande. Geboren 1985 in Hamburg, wächst John, Sohn einer musikalischen Familie, zunächst viele Jahre in Frankreich und Süddeutschland auf. Als er mit 18 Jahren nach Hamburg zurückkehrt, führt seine Leidenschaft für Basketball dort zu einer schicksalhaften Begegnung, als er Mitte der Nullerjahre auf dem Court gegen einen gewissen Kristoffer Jonas Klauß antritt, heute besser bekannt als Gzuz – nach Auskunft des Rappers eine Abkürzung für „Ghetto Zeug Un Zensiert“. Die beiden verbindet nicht nur eine Vorliebe für Basketball und Marihuana, sondern auch der Stolz auf ihre Heimatstadt. „Lokalpatriot“ ziert heute Gzuz' Brust, darüber die Skyline mit Köhlbrandbrücke und Telemichel. Im Musikvideo „Ahnma“ der Beginner um Jan Delay, mit dem Gzuz 2016 erstmals einem großen Publikum bekannt wird, verspricht er Hamburg „wieder auf die Karte“ zu packen.
Mit dem Pitbull wie Könige durchs Quartier
Gzuz (29) stammt aus St. Pauli und wächst ohne Vater gemeinsam mit seiner Schwester bei seiner Mutter auf. Seine Jugend verbringt er vor allem auf dem Kiez, wo er früh erste Erfahrungen mit Drogen sammelt. Vor allem Marihuana konsumiert er regelmäßig. Bereits mit 14 Jahren folgt eine erste Entgiftung – und wenig später der Verweis aus der mütterlichen Wohnung.
In John findet der Verstoßene nach seinem Rauswurf einen Freund, der für ihn wie ein Bruder ist. Gemeinsam mit den Sprayern Frost, Soak, Track und ein paar anderen bilden sie ab 2006 eine feste Gruppe. Sie nennen sich 187 Strassenbande. Die Gang macht nicht nur durch Graffiti auf sich aufmerksam. Anfangs drucken sie ihre Fotos auf Handzettel und verteilen sie im Schanzenviertel. Mit dem Pitbull stolzieren sie wie Könige durch das Quartier oder hängen gemeinsam im Schanzenpark ab, wo sie zu billigem Discounter-Whisky oder Jägermeister lautstarke Partys feiern.
John, der als Sprayer nur mäßig talentiert ist, konzentriert sich als erster auf das Rappen und veröffentlicht ab 2006 unter dem Namen Bonez MC seine ersten Songs. Er ist es auch, der Gzuz dazu motivieren kann, eigene Songs zu schreiben, von denen einige 2009 auf dem ersten gemeinsamen Sampler erscheinen, mit dem die 187 Strassenbande erstmals in der Hip-Hop-Szene auf sich aufmerksam macht. „Wir sind von der Straße und wollen gerne mit unserer Musik ein bisschen was erreichen“, äußert sich Gzuz 2009 erstmals im Videointerview eines Hip-Hop-Magazins. Doch damit muss er sich zum damaligen Zeitpunkt noch gedulden.
Kurz vor Fertigstellung des zweiten Samplers steht der damals 22-Jährige zum wiederholten Mal vor Gericht. Wegen räuberischen Diebstahls muss er für drei Jahre und sechs Monate in Haft. Für die 187 Strassenbande kommt die Verurteilung zu einem ungünstigen Zeitpunkt: Ist die gemeinsame Karriere vorbei, bevor sie überhaupt begonnen hat? Bonez aber glaubt weiter an die Macht des Kollektivs. „Irgendjemanden liegen zu lassen für meinen eigenen Film, war nie eine Option. Für mich ist dieses Gang-Ding das einzig Wahre“, sagte er Jahre später dem Hamburger Hip-Hop-Magazin Backspin. Mit seiner Entscheidung ebnet er den 187ers den Weg zum Erfolg.
Gzuz sitzt seine Zeit in Santa Fu ab
Gzuz Abwesenheit im Gefängnis stärkt das Selbstverständnis der 187 Strassenbande: Einer steht für den anderen ein, kompromisslos und mit allen Konsequenzen. Während Gzuz seine Zeit in Santa Fu absitzt, und sich dort mit einer aus einem alten Kassettenrecorder gebauten Tätowiermaschine den Schriftzug „Fuck Cops“ neben die Schlüsselbeine stechen lässt, gründen Bonez und seine Crew mit Toprott Muzik ihr eigenes Label, tingeln im T5-Sprinter auf „Free Gzuz“-Tour durch Deutschland und fordern die vorzeitige Entlassung ihres inhaftierten Bruders, der zu einer Symbolfigur, zu einer Art Märtyrer der Szene wird. Statt auf übliche Mechanismen des Musikmarkts zu setzen und sich bei etablierten Labels anzubiedern, nehmen die 187ers von der Produktion bis zur Promotion alles selbst in die Hand.
Als Gzuz Ende 2013 entlassen wird, hat sich die 187 Strassenbande schon einen Namen in der Rap-Szene gemacht. Doch der Entlassene hadert zunächst mit einer neuen Rolle als Rapper, träumt stattdessen davon, Zuhälter oder Drogenbaron zu werden. Am Ende ist es wieder Bonez, der seinen Freund überzeugen kann, an den Erfolg der 187 Strassenbande zu glauben. Das Album „High & hungrig“ von Gzuz und Bonez MC schafft es 2014 schließlich auf Platz 9 der deutschen Albumcharts.
Von da an kennen die Verkaufszahlen nur eine Richtung: steil nach oben. Ein Album jagt das nächste und die meist jugendlichen Fans kaufen alles, auf dem das verschnörkelte 187-Logo der Strassenbande prangt. Dass der derbe Straßenrap nicht nur bei vermeintlichen Nachwuchsgangstern gut ankommt, sondern von einem breiten Publikum konsumiert wird, bleibt auch in den Chefetagen des Major-Labels Universal nicht lange unbeobachtet, wo die Künstler inzwischen gut dotierte Verträge unterschrieben haben sollen.
Thema zu heiß – Wissenschaftler lehnt Interview ab
Mit ihrer Musik, dem Merchandise, ihrem Tattoostudio und den Einnahmen aus den sozialen Medien setzt die 187 Strassenbande heute ein Vermögen um. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Die Gruppe hält die Aufmerksamkeit permanent hoch. Für den 25. Mai ist bereits die Veröffentlichung von Gzuz neuem Album „Wolke 7“ angesetzt. Die auf eine Stückzahl von 25.000 limitierte Fanbox, die Fans bereits vorab bestellen konnten, war bereits nach einigen Stunden ausverkauft. Einnahmen: Mehr als eine Million Euro.
Ihr Image als Strassenbande haben die 187ers trotz des fulminanten Aufstiegs in die 1. Liga des Musikbusiness nicht abgelegt. Ihr Ruf eilt ihnen nicht nur auf St. Pauli voraus. Auch ein Musikwissenschaftler der Uni Hamburg weigerte sich mit dem Abendblatt über die Gruppe zu sprechen – das Thema sei ihm zu heiß. Ihre Musikvideos, in denen die Rapper mit einer Armee finster dreinblickender Männer auftreten, wirken nach außen durchaus furchteinflößend.
Wie groß die Truppe tatsächlich ist, ist unklar. Abgesehen von Bonez MC, Gzuz, LX, Maxwell und Sa4 weiß man wenig über die übrigen Mitglieder. Bei einer Ausstellung Anfang Februar stellten sich mit Track und Wesh erstmals zwei von ihnen der Öffentlichkeit vor. Letzterer zieht es wie viele Sprayer der Gruppe vor, unerkannt zu bleiben. Mit ihren Tags auf Hauswänden, Autos oder Zugwaggons tragen sie im Untergrund weiter zur Legendenbildung der 187 Strassenbande bei.
„Wir sind immer noch die gleichen Assis wie damals“
Zusammenhalt und Loyalität werden in der Welt der 187ers unabhängig vom Erfolg noch immer groß geschrieben. Während sich andere Künstler in ihren Studios einschließen und sich nur noch mit Bodyguards vor die Tür trauen, findet man die 187 Strassenbande heute noch an denselben Orten, an denen sie schon vor zehn Jahren abhingen. „Wir sind immer noch die gleichen Assis wie damals“, sagen sie selbst von sich. Auch ihr schwarzer Mercedes CL 500 mit der markanten 187 im Kennzeichen, der bis heute in keinem Musikvideo fehlen darf, parkt noch immer auf St. Pauli. Ein Kioskbetreiber vom Schulterblatt bestätigt, dass Gzuz und Co. bis heute dem Viertel treu blieben, der Rapper nach wie vor auf der Straße vor dem Laden sitze. „Da hat sich nichts verändert. Die machen keinen auf Stars.“ Die 187ers leben, was sie rappen, so die Botschaft. Bei den Fans kommt das gut an, unterstreicht es doch die Authentizität der Gruppe. Eine wichtige Währung im Hip-Hop-Geschäft, in dem jeder Rapper „more real“ sein will als der nächste.
Die Frage, ob die 187ers heute mehr auf der Bühne als in ihrem Kiez zuhause sind, stellt sich daher nicht. Sie haben ihren Kiez längst zur Bühne gemacht. Mehrmals täglich verbreiten Bonez und Co. über Instagram neue Videobotschaften und Fotos im Netz, die die sowieso netzaffinen Fans am Leben der 187ers teilhaben lassen und ihnen das Gefühl geben, ganz dicht dran zu sein an ihren Idolen. Mehr als eine Millionen Menschen folgen dem „Herzschrittmacher“ der 187 Strassenbande inzwischen auf Instagram. Über seinen Account erhielt Bonez MC laut Branchendienst Media Control im zurückliegenden Jahr 77 Millionen Likes und ist damit der erfolgreichste Musiker im Social Web.
Aus sämtlichen Branchen gibt es Werbeanfragen
Eine Tatsache, die die 187 Strassenbande auch als Markenträger für viele Unternehmen interessant macht. Aus sämtlichen Branchen, allen voran aus dem Textilbereich, gibt es Anfragen – trotz des bisweilen fragwürdigen Auftretens der Künstler. Vor der Kamera hantieren die Rapper schon mal mit scharfen Waffen oder Drogen und posieren mit Freunden, deren Tätowierungen sie als Angehörige einer namenhaften Rockergruppierung zu erkennen geben.
Ihr anhaltender Erfolg bis tief in die gesellschaftliche Mitte ist eine Herausforderung für die Kulturszene und die gesamte Öffentlichkeit. Wie umgehen mit einer Gruppe, die der Gesellschaft den Mittelfinger zeigt und sich für ihre Vorbildfunktion nicht sonderlich zu interessieren scheint? Eltern und Pädagogen fällt es bisweilen schwer, Zeilen wie „Wichs' ihr in die Fresse und frag' sie, wie's schmeckt“ oder „Mach' bei dir ein'n Hausbesuch, steche mit dem Schraubi zu“ als Ausdruck einer musikalischen Kunstform hinzunehmen.
In der Hamburger Kulturszene versucht man sich dennoch nachsichtig mit dem Phänomen auseinanderzusetzen. „Auch wenn wir sicherlich nicht alles verstehen, wofür die 187er stehen. Diese Diskussion begleitet den Popdiskurs seit den Rolling Stones, Notorious BIG oder Abwärts. Und nur diese Diskussion macht Popmusik zu dem, was sie schon immer war: zur Stimme der Jugend“, so die Jury bei der Verleihung des Hamburger Musikpreises „HANS“ im November, bei der die 187 Strassenbande als „Künstler des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Bonez MC, Gzuz, LX, Maxwell und Sa4 ließen sich davon nicht beeindrucken – sie blieben der Veranstaltung fern.