Hamburg. Jeder kennt den Film mit Julie Andrews. Das Hamburger Musical Mary Poppins zeigt die berührende Story mit grandioser Technik.

Wer in den 1960er- oder 1970er-Jahren (und auch später) Kind war, hat sich auf jeden Fall Julie Andrews als Kindermädchen gewünscht. So eine coole, selbstbewusste, originelle Person, wie sie sie in dem Hollywood-Erfolg „Mary Poppins“ (1964) nach Motiven der Buchreihe der Australierin P.L. Travers verkörpert hat. Eine, die vom Himmel fällt an ihrem Schirm mit Papageienkopf samt gigantischer Tasche, aus der sie allerlei hervorzaubert, was Kinder glücklich macht.

Das Werk aus der Disney-Fabrik wurde mit fünf Oscars dekoriert. Und es ist schon verblüffend, wie sehr das neue Musical „Mary Poppins“ im Stage Theater an der Elbe den Zuschauer direkt in den Film versetzt. Die liebevoll historische Inszenierung von Richard Eyre, für Hamburg adaptiert von James Powell, setzt auf die Verführungskraft von Poesie und Magie, sie wirkt auf bezaubernde Weise altmodisch, aber alles andere als angestaubt.

Mary Poppins: Ein gigantisches Puppenhaus

Von Anfang an begeistert der Einsatz grandioser Bühnentechnik (48 Maschinen sorgen im Laufe des Abends mit 355 Bewegungen für 52 Bilder) Wie ein gigantisches Puppenhaus klappt sich das Haus der Familie Banks im Londoner Kirschbaumweg auseinander. Innen von Hand bemaltes britisches Interieur vom Anfang des vorigen Jahrhunderts. Ständig schweben Kulissen aus der Höhe und von den Seiten herein, im Nu entsteht die Küche der knurrigen Mrs Brill (Heike Wiltrud Schmitz) oder das Kinderzimmer, in dem das Spielzeug in einer wunderschönen Traumszene lebendig wird.

Die Dinge stehen in der Bankiersfamilie nicht zum Besten. Es herrschen traditionelle Rollenvorstellungen - Das wirkt aus der Zeit gefallen. Die verwöhnten Kinder Jane und Michael, herausragend gespielt von Liam und Marjan, haben gerade ihr aktuelles Kindermädchen erfolgreich in die Flucht geschlagen. Der emotional verkümmerte Vater George (Livio Cecini), selbst von einer schmallippigen Nanny lieblos groß gezogen, lebt in seiner Zahlenwelt.

Seine mit häuslichen Aufgaben wenig erfüllte Frau Winifred (Milica Jovanovic), die er insgeheim weder „dekorativ noch nützlich“ findet, trauert der aufgegebenen Schauspielkarriere hinterher. Da geben die Kinder selbst eine Anzeige auf. Und auf einmal steht die geheimnisvoll lächelnde Mary Poppins im Wohnzimmer, macht kesse Ansagen und fordert die Brut gehörig heraus. Sie ist „Völlig ohne Fehler“, so einer der ersten Songs des von George Stiles & Anthony Drewe ergänzten Liedgutes der erfolgreichen Disney-Musiken Richard M. Shermans und Robert B. Shermans.

Sogar die Statuen tanzen

„Die hat Tricks drauf“, ahnt der aufgeweckte Michael gleich. Poppins, glasklar gesungen und entsprechend der Buchvorlage galant aber schnippisch artikuliert von der Hamburgerin Elisabeth Hübert, findet die Balance zwischen Spaß und Ernst, Spiel und Erziehung. Bei ihr lernen die Kinder, dass Arbeit mit Freude („Mit nem Teelöffel Zucker“) nochmal so gut von der Hand geht. Sie erfahren die unerbittliche Welt des Geldes ihres Vaters. Und lernen Respekt vor den Armen und Obdachlosen wie der Vogelfrau.

Auf der anderen Seite wird ein Besuch im Park bei Mary Poppins’ Freund, dem Laternenanzünder, Maler und Schornsteinfeger Bert, den David Boyd („Chim Chim Cher-I“) als eine perfekte Mischung aus Tagedieb und Bohemien gibt, zur Reise ins Land der Fantasie. Bühne und Kostüme erstrahlen in schönsten Bonbonfarben, sogar die elegisch grauen Statuen beginnen zu tanzen.

Musik live aus dem Orchestergraben

Die Show liefert in jeder Sekunde die perfekt gesungene und getanzte Illusion und ideale Unterhaltung für die ganze Familie. Anders als bei vielen Musicalproduktionen heutzutage kommt die Musik, dirigiert von Christoph Bönecker, tatsächlich live aus dem Orchestergraben. Es gibt weitere toll choreografierte Gruppentableaus im Laden von Mrs Corry (Anastasia Bain), in dem die Kinder das sagenhafte Wort „Supercalifragilisticexpialigetisch“ lernen. Und in der streng schwarz-weiß dominierten Bank, die Vater Banks nach einer Kreditentscheidung erst feuert, später in allen Ehren rehabilitiert.

Einige Szenen wurden gegenüber dem Film verändert, so fehlt etwa die Teerunde bei Onkel Albert und Mary Poppins entschwebt zwischendurch durch den Schornstein und gibt der Familie eine Besinnungspause.

Im Finale: Tanz an der Bühnendecke

Kontinuierlich steigern sich nicht nur die Tricks des Kindermädchens, diese strauchelnde Familie zu reparieren, sondern auch die Bühnenmagie der Musical-Macher. Beim großen Finale der steppenden Schornsteinfegerfreunde Berts darf Darsteller David Boyd höchst akrobatisch über Kopf an der Bühnendecke tanzen, bevor Mary Poppins schließlich nach erfüllter Aufgabe am Drahtseil über den obersten Rang in den Sternenhimmel entschwindet. Die Inszenierung selbst liefert damit eigentlich den besten Beweis für die Message dieses zu Recht beliebten Stoffes: „Alles, was wir wollen, kann passieren“.

„Mary Poppins“ jew. Mo 18.30, Mi 19.00, Mi 19.00, Do/Fr 19.30, Sa 14.30 u. 19.30, So 14.00 u. 19.00, Stage Theater an der Elbe, (Musical Shuttle ab Landungsbrücken), Norderelbestr. 8, Karten ab 59,90 bis 149,90 unter T. 01805/44 44; www.stage-entertainment.de