Hamburg. Beim Internet-Händler Viagogo werden Tickets für die Elbphilharmonie zum Vielfachen des Originalpreises verkauft.

815,09 Euro. Für zwei Konzertkarten. Die zusammen ursprünglich 64 Euro gekostet hatten. Joachim Bauer aus Freiburg ist fassungslos. Unbedingt wollte er mit seiner Frau die Elbphilharmonie besuchen, das Late Night Konzert am 17. Februar mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester und dem Pop-Duo Joco sollte es sein. Also suchte er im Internet nach Karten und stieß auf die Website der Firma Viagogo, die Tickets anbot. Dass er für seine Plätze in der 13. Etage, Bereich I, den mehr als zwölffachen Preis zahlte, wurde Bauer erst bewusst, als er die Originalkarten in Händen hielt und den dort aufgedruckten Preis sah. „Ein Skandal“, findet er und steht mit dieser Einschätzung nicht allein.

Im Internet finden sich unzählige Beschwerden über das Geschäftsgebaren von Tickethändlern wie Viagogo, die Facebook-Gruppe „Victims of Viagogo“ (Viagogo-Opfer) hat mehr als 4500 Mitglieder, aber immer noch kaufen täglich Menschen bei dem Unternehmen mit Stammsitz in Genf, das an der Nachfrage nach raren Tickets vor allem für Konzerte und Sportveranstaltungen kräftig verdient. Und das längst auch von Verbraucherschützern hart kritisiert wird.

Viagogo agiert clever

Der Wunsch, unbedingt dabei sein zu wollen, ist es wohl, der dazu verführt, den gesunden Menschenverstand für eine Weile auszuschalten. Hinzu kommt, dass Viagogo clever agiert und etwa während des Bestell­prozesses einen enormen Zeitdruck kon­struiert. Vorgegaukelt wird, man müsse jetzt sofort buchen, sonst sei die ­Chance, an Karten zu kommen unwiederbringlich dahin.

Ein Beispiel: Wer bei Google die Suchbegriff-Kombination „Anna Netrebko Karten Elbphilharmonie“ eingibt, bekommt als erstes Ergebnis den Link zur Viagogo-Website, auf der mehr als 200 Tickets zu Preisen von 412 bis 1069 erhältlich sind. „Tickets sind sehr gefragt. Bitte warten Sie, während wir die Verfügbarkeit prüfen“ heißt es zunächst, während die Ticketseite bewusst langsam geladen wird. Danach ein Banner: „21 andere Personen schauen sich gerade Tickets für Anna Netrebko an“ und der Hinweis „Tickets fast ausverkauft“.

Woher kommen die Karten?

Ist die Auswahl getroffen, der nächste Druckmacher: „Diese Tickets werden 5,5 Minuten lang für sie beiseitegelegt“. Dann: „15 Bereiche sind bereits ausverkauft“ und „Es besteht eine hohe Nachfrage nach diesen Tickets! Falls du diese nicht erwerben willst, gebe sie für andere Käufer frei“ Nachvollziehbar, dass weniger geübte Kartenkäufer bei diesem Bombardement mit „Gleich ist es zu spät“-Hinweisen nervös werden und den Eindruck gewinnen, unmittelbar zugreifen zu müssen.

Dabei verfügt Viagogo gar nicht in jedem Fall über die Tickets, die auf der Website angeboten werden. Das galt etwa für Karten der Reihe „Konzerte für Hamburg“ des NDR Sinfonieorchesters, die bei Viagogo zum Zehnfachen des Originalpreises angeboten wurden, bevor die Elbphilharmonie sie überhaupt in Umlauf gebracht hatte. Die Verantwortlichen des Konzerthauses warnten sofort in den sozialen Netzwerken, doch die „Leerverkäufe“ blieben im Angebot.

Woher Viagogo all die Karten bekommt, ist nicht sicher zu sagen, das Unternehmen reagiert nicht auf Presseanfragen und verweist nur sehr allgemein darauf, man agiere „als der weltgrößte Sekundärmarkt für Tickets für Live-Events“. Undercover-Recherchen des britischen TV-Senders Channel 4 ergaben vor einigen Jahren, dass in Viagogo-Büros Mitarbeiter zum offiziellen Vorverkaufsstart Tickets in großer Menge zum Originalpreis kauften, um sie dann sofort bei Viagogo einzustellen.

Spezielle Computerprogramme

Auch wird spekuliert, dass bei Viagogo spezielle Computerprogramme, sogenannte Bots, zum Einsatz kommen, die sich blitzschnell immer wieder in offizielle Ticketportale einwählen und riesige Kontingente aufkaufen, bevor Fans überhaupt eine Chance haben, an die begehrten Karten zu gelangen. Etwa 1000 Euro kostet ein solches Programm, mit dem sich potenziell Millionenumsätze generieren lassen. Hinzu kommen private Anbieter, die entweder tatsächlich zum Veranstaltungstermin verhindert sind oder Viagogo als Plattform nutzen, um sich auf dem Karten-Grau- und Schwarzmarkt etwas dazuzuverdienen.

Ein weiteres Kapitel sind die Gebühren, die Viagogo erhebt und die den oft ohnehin exorbitanten Kartenpreisen noch zugeschlagen werden. Wie hoch die Summe genau ist, erfährt der Käufer erst kurz vor Abschluss des Kaufprozesses am linken Rand der Website – leicht zu übersehen. Die „Servicegebühr“ diene dazu „die Kosten für die Bereitstellung der Plattform und Dienste zu decken und einen exzellenten Kundenservice zu gewährleisten“, heißt es auf der Website.

„Ein unsauberes Geschäft“

Sie liegt für den Käufer bei 15 Prozent auf den Kaufpreis, hinzu kommen Versandgebühren und die Mehrwertsteuer. Für eine Anna-Netrebko-Karte (412 Euro bei Viagogo) werden somit zusätzlich 151 Euro fällig. Macht insgesamt 563 Euro. Für ein Ticket, das vermutlich – auch diese Information verschleiert Viagogo – ursprünglich 124,10 Euro gekostet hat.„Ein unsauberes Geschäft“, klagt Joachim Bauer nach dem vermutlich teuersten Konzert seines Lebens. Noch einmal wird er Viagogo und Co. wohl nicht ins Netz gehen.