Hamburg. Beim Irmgard-Keun-Abend blieben im Literaturhaus keine Wünsche offen – sogar die Brezeln waren umsonst.
Manchmal und zu besonderen Anlässen werden im Hamburger Literaturhaus Gratis-Getränke und kostenlose Kost gereicht. Quasi auch als Belohnung für das absolvierte Maß an Hochkultur, oder etwa nicht? Man könnte ja auch daheim auf dem Sofa lungern und Netflix gucken. Vielleicht sind die Spendierhosen im Literaturbetrieb aber auch einfach grundsätzlich besonders weit. Weil er sich die richtigen Partner sucht! Im Literaturhaus lässt selbst die Kulturbehörde ab und an einen springen. Jetzt war es freilich mit der Wüstenrot Stiftung die Privatwirtschaft, die Wein und Brezeln auffahren ließ.
Und zwar anlässlich des grandiosen Irmgard-Keun-Abends, dessen Zustandekommen sowieso viel mit Kultursponsoring zu tun hat. Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung lässt es sich angelegen sein, auch dank eingeworbener Gelder regelmäßig Editionen von schriftstellerischen Werken aufzulegen, denen vonseiten der Lesegemeindenvergesslichkeit Gefahr droht.
Scharfsichtige Kommentare zur NS-Zeit
Mit der von Heinrich Detering und Beate Kennedy herausgegebenen Werkausgabeist es nun gelungen, die grob der Neuen Sachlichkeit zugeordnete große Schriftstellerin Irmgard Keun (1905–1982) wieder zur viel gelesenen Autorin zu machen. Zum Revival gehört auch eine PR-Tour durch die Literaturhäuser des Landes. Mit an Bord: der Germanist Detering, die Buchpreis-Gewinnerin und Keun-Kennerin Ursula Krechel sowie die Schauspielerin Nina Kunzendorf. Keun war nur einmal richtig berühmt; in den 1930er-Jahren, als „Gilgi, eine von uns“ und „Das kunstseidene Mädchen“ zu Hits der späten Weimarer Republik wurden.
Danach musste sie erst ins Exil, später kam sie inkognito zurück. Ihre von Kunzendorf glänzend vorgetragenen Texte sind scharfsichtige, ironische und satirische Kommentare zu NS-Zeit und Exil – und Zeugnisse stilistischer Meisterschaft. Keun nahm gerne die Perspektive der pseudonaiven Frau ein, um umso deutlicher das zu ihrer Zeit auch mal weltkriegende Gewese der männlich dominierten Welt zu entlarven. Heinrich Detering („Keun war die vielleicht aufregendste deutschsprachige Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts“) führte durch einen famos herunterschnurrenden Abend – in Anwesenheit von Keuns Tochter Martina übrigens.