Hamburg . Fritzi Haberlandt, in Hamburg unvergessen, präsentiert am Donnerstag „Das kunstseidene Mädchen“ im St. Pauli Theater

Wenn Fritzi Haberlandt in Hamburg auftritt, ist es für beide Seiten, Künstlerin und Zuschauer, ein bisschen wie nach Hause kommen. „Ich werde aufgenommen wie eine verlorene Tochter. Das ist ein großartiges Geschenk“, sagt Fritzi Haberlandt munter durchs Telefon aus Berlin. Es gebe auch immer noch Menschen, die sie für eine Hamburgerin im Exil halten. Und das, obwohl ihr charmanter Berliner Akzent abseits der Bühne nun wirklich nicht zu überhören ist. Immer noch wird sie mit dem Hamburger Thalia Theater identifiziert, dessen Ensemble sie unter dem Intendanten Ulrich Khuon von 2000 bis 2006 angehörte und wo sie epochale Rollen vor allem in Michael-Thalheimer-Inszenierungen wie „Liliom“ oder „Lulu“ spielte.

Kein Wunder also, dass ihr Gastspiel mit „Das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun im St. Pauli Theater anlässlich des Hamburger Theater Festivals am 19. Oktober bereits ausverkauft ist. Den Abend hat Haberlandt selbst vor zwei Jahren mit dem Pianisten Jens Thomas für ein Literaturfestival erarbeitet. Thomas ist bekannt etwa durch seine Auftritte mit Matthias Brandt. Der Abend ist eine Mischung aus Lesung, Spiel und Musik – und Fritzi Haberlandt singt sogar.

„Ich liebe diesen Abend und diesen Text. Der ist ja relativ autobiografisch und von der ganz jungen Keun 1932 verfasst“, sagt die 42-Jährige. „Danach hat es lange keine Literatur mehr von jungen Frauen gegeben, die sich kritisch mit der Zeit auseinandersetzen.“ Die Zeit, das ist die der Weimarer Republik. Irmgard Keun wurde später von den Nazis mit einem Schreibverbot belegt. „Es ist eine Katastrophe, dass so viele Leute, die Großes vollbracht haben, verboten wurden“, ereifert sich Haberlandt. Kunst und Kultur seien dadurch schwer geschädigt worden.

Zum Stück: Vom Lande kommend, will die Protagonistin Doris, eine gefeuerte Sekretärin mit Rechtschreibschwäche, in der Großstadt Berlin als Künstlerin ein „Glanz werden“. In prekären Verhältnissen lebend, hat sie diverse Begegnungen und Männerbekanntschaften. In einer Theatergarderobe stiehlt sie einen Pelzmantel und begibt sich auf eine abenteuerliche Odyssee durch die Metropole. Am Ende wird sie doch allein bleiben. Haberlandt interpretiert die leicht verdrehte Doris mit ihrem eigenen Berliner Humor, der noch immer etwas von einer kessen Göre hat. „Doris ist keine Heldin, kein Vorbild, aber der Text ist ja aus der Zeit heraus geschrieben und da war das Bild als Mutter und Ehefrau das absolute Ideal. Wenn überhaupt, wurden Frauen Verkäuferinnen oder Stenotypistinnen.“ Aus Fritzi Haberlandt sprudelt es nur so heraus, wenn sie über den Stoff spricht, den sie absolut modern findet. „Es ist berührend, wenn man mit einem so großen Traum in der Gosse landet.“ Dabei bleibt sie, was die Aufführung angeht, ganz bescheiden. Das sei ein „einfacher Abend“, kein „großes Theater“. „Ich bleibe nah am Text, veranstalte keine großen Tänze, aber ich habe großen Respekt vor dem Singen.“

Seit ihrem Weggang von Hamburg spielt Fritzi Haberlandt regelmäßig am Deutschen Theater und am Stuttgarter Theater, sie reist viel herum zu Dreharbeiten und tourt mit literarischen Programmen durch die Republik. In ein und derselben Stadt zu leben und zu arbeiten fehle ihr mitunter, sagt sie. Zudem vermisse sie lieb gewonnene Kollegen wie den Thalia-Weggefährten Peter Kurth, an dessen Seite sie einst in Michael Thalheimers „Liliom“ eine unvergessliche Darstellung ablieferte. Aber sie genießt den Luxus des freien Engagements. Auch wenn sie nicht absolut ausschließt, irgendwann noch einmal Ensemble-Mitglied zu werden. Die aktuellen Neustarts in der Berliner Theaterszene, an der Volksbühne und am Berliner Ensemble, verfolgt sie jedenfalls mit großem Interesse.

Fritzi Haberlandt kann sich seit Jahren ihre Rollen aussuchen. In Film und Fernsehen ist sie häufig als etwas verquere, schief ins Leben gebaute junge Frau zu erleben. Etwa in den Kinofilmen „Fenster zum Sommer“ und „Nebel im August“ oder im TV-Film „Ein spätes Mädchen“. Ebenso in der gerade bei Sky gestarteten Serie „Babylon Berlin“, die ab Ende 2018 auch in der ARD zu sehen sein soll. Noch so eine in der Weimarer Zeit angesiedelte Geschichte. Regie führte – neben Tom Tykwer und Achim von Borries – Haberlandts Lebenspartner Hendrik Handloegten.

Am Abend des Telefoninterviews ist Gala-Premiere in Berlin. Haberlandt ist keine, die den großen Auftritt auf dem roten Teppich sucht, aber in diesem Fall ist ihre Vorfreude groß. Gerade erst hat sie das Werk komplett angeschaut. „Ich war wirklich überwältigt, komplett im Rausch und überglücklich“, sagt sie. „Das ist das Tollste, bei dem ich je mitmachen durfte.“ Natürlich seien die Erwartungen des Publikums hoch, aber diese würden gewiss erfüllt: „In jeder Position haben Menschen an ,Babylon Berlin‘ gearbeitet, die genau wissen, was sie tun.“

In der bislang ambitioniertesten deutschen Serienproduktion spielt Fritzi Haberlandt eine Witwe, die einem ermittelnden Kommissar in ihrer Privatwohnung ein Zimmer vermietet. Eine längerfristig angelegte Rolle. Zumal bereits Drehbücher für weitere Folgen in Arbeit sind. Immerhin eine Gelegenheit, Fritzi Haberlandt auch in Hamburg wieder regelmäßig zu sehen. Und sei es nur auf dem Bildschirm.

„Das kunstseidene Mädchen“ 19.10., 20.00, St. Pauli Theater (ausverkauft)