Hamburg. Ein Gespräch mit Irene Schulte-Hillen, Präsidentin der Deutschen Stiftung Musikleben, über Begeisterung und Verantwortung

Einmal im Jahr summt das Museum für Kunst und Gewerbe vor Musik. Zum 26. Mal schon richtet die Deutsche Stiftung Musikleben den Wettbewerb des Deutschen Musikin­stru­mentenfonds aus. Hochbegabte junge Streicher spielen darum, kostbare Instrumente zur Verfügung gestellt zu bekommen. Die Wertungsspiele, mit Aufregung und Organisationsrummel, Jubel und Tränen sind der Höhepunkt des Stiftungsjahres. Im Auge des Sturms: Irene Schulte-Hillen, die Präsidentin.

Die Deutsche Stiftung Musikleben nimmt sonst jedes Jubiläum gern mit. Eines haben Sie im vergangenen Jahr aber unter den Tisch fallen lassen, nämlich Ihre Silberhochzeit mit der Stiftung: Seit 1992 stehen Sie ihr vor. Was braucht es für so eine Langzeitbeziehung?

Schulte-Hillen: Um mit dem Offensichtlichen anzufangen: Liebe.

Zur Musik.

Schulte-Hillen: Natürlich.

Sie haben selbst Gesang studiert ...

Schulte-Hillen: ... aber das war in meiner Jugend keine Selbstverständlichkeit. Ich bin 1948 geboren und in der Nachkriegszeit in Aachen aufgewachsen. Damals konnte man überall noch die Spuren des Krieges sehen. Mein Vater studierte während des Russlandfeldzuges Medizin in München und verbrachte seine Trimesterferien als Sanitäter an der russischen Front. Bei Kriegsende übergab er als ganz junger Arzt ein großes Lazarett in Schliersee an die einrückenden Truppen. Ihm ging es immer um Grundlegendes. Er bemühte sich, gerecht zu sein, aber er war auch sehr hart. Er hatte Sorge, dass das Leben seiner Kinder zu einfach wäre und wir zu leichtlebig würden. Ich durfte nur nach langen Diskussionen zur Tanzstunde.

Aber Sie durften Klavier spielen, singen.

Schulte-Hillen: Ich habe wahnsinnig gerne gesungen. Wir mussten in der Schule regelmäßig auftreten. Ich hatte immer Lampenfieber, mir zitterten die Knie. Beim Singen gibt man viel mehr von sich preis als beim Klavierspielen. Aber als ich einmal „Hebe deine Augen auf“ von Mendelssohn von der Orgelempore aus gesungen habe, fühlte ich mich wie befreit.

Und was war mit dem Musikstudium?

Schulte-Hillen: Mein Vater sagte: Du mußt dich zur Not selbst ernähren können. Also habe ich Volkswirtschaftslehre studiert. Und dann geheiratet.

Während andernorts die APO tobte.

Schulte-Hillen: 1971 zog ich mit meinem Mann nach Barcelona. Aber ich bekam dort keinen Job. Frauen im Management waren unüblich. Dazu war ich so groß – und ich konnte nicht Schreibmaschine schreiben! Nach dem sechsten vergeblichen Vorstellungsgespräch bin ich wütend durch die Ramblas gestapft und stand plötzlich vor dem Konservatorium des berühmten Liceu. Da bin ich einfach reingegangen. Dort traf ich einen alten Herrn, der hatte früher als Tenor am Opernhaus gesungen und war Dozent. Der sagte, dann sing mal vor. Und hat mich genommen! Zwei Jahre habe ich dort studiert und später an der Hamburger Musikhochschule weitergemacht. Das war eine tolle Zeit. Ich hatte sehr viel Einzelunterricht, lernte klassischen Tanz, Ligeti war noch da.

Haben Sie denn als Sängerin gearbeitet?

Schulte-Hillen: Nein, als ich drei Kinder hatte, habe ich das Studium abgebrochen. Ich hatte das Gefühl, ich kann den Kindern sonst nicht gerecht werden. Man kann nicht alles auf einmal haben. Aber ich träume heute noch vom Singen!

… dann kam die Stiftung. Sich mit dem Aufwand für andere Musiker einzusetzen...

Schulte-Hillen: Das Credo meines Vaters war: Man muss etwas zurückgeben dafür, dass man in einem so guten Staat leben darf. Das hat mich geprägt. 1987 bestellte mich Eduard Söring ein ...

... der Hamburger Musikförderer, der die Opernstiftung mitbegründet hatte ...

Schulte-Hillen: ... und der lange Jahre Vorstand der Deutschen Stiftung Musikleben war. Ich traf den alten Herrn im Windfang eines Hotels. Da saß er, als wartete er auf ein Taxi, und erzählte mir von der Stiftung. Die hatte damals kein Programm und kein Profil.

1987 war auch das Jahr, in dem das Schleswig-Holstein Musik Festival für sein Logo einen Marketingpreis gewann.

Schulte-Hillen: Es war klar, dass sich die Zeiten änderten. Söring merkte, dass seine Kräfte nachließen. Er bat Reinhard Mohn um Hilfe, den Eigentümer von Bertelsmann, wo mein Mann arbeitete. Und da bei Bertelsmann alle wussten, dass ich Musik studiert hatte, fiel mein Name.

Wie muss ich mir das vorstellen? Sie kommen da hin und krempeln die Ärmel auf?

Schulte-Hillen: Es gab eigentlich nichts zu verwalten, die Stiftung hatte den Wettbewerb „Jugend musiziert“ und das Bundesjugendorchester unterstützt. Wir haben dann überlegt, Projekte zu machen, wo jeder Partner sichtbar wird. Ich habe viele Teilnehmer von „Jugend musiziert“ und dem Bundesjugendorchester gefragt: Was fehlt euch am meisten? Die Antwort war jedes Mal: Auftrittsmöglichkeiten und gute Instrumente.

Die muss man erst mal rankriegen.

Schulte-Hillen: Wir hatten gehört, die Regierung Kohl erwäge die Einrichtung eines staatlichen Instrumentenfonds. Wir haben lange überlegt, ob wir der Regierung vorschlagen könnten, mitzumachen. Der Stiftungsjurist und ich sind damals immer wieder nach Bonn gefahren. Ich glaube, die wollten rausfinden, ob wir’s wirklich ernst meinten.

Hat geklappt.

Schulte-Hillen: Wir mussten zusagen, im gleichen Wert Instrumente einzubringen wie die Bundesregierung. Es war nicht einfach, dafür Spenden zu bekommen. Ich habe überall herumgefragt. Mein Mann hat aber gesehen, wie ernst es mir war. Er hat eine sehr schöne Geige gekauft und sie treuhänderisch eingegeben, als Lockvogel sozusagen. Das war der Anfang. Heute machen treuhänderische Eingaben den halben Fonds aus.

Hätten Sie sich je träumen lassen, dass Sie mehr als 30 Jahre dabei bleiben würden?

Schulte-Hillen: Man verwächst doch sehr mit der Aufgabe. Was wir machen, können wir nur machen, weil wir die Musiker persönlich kennen. Wir überlegen genau, wer zu wem passen könnte. Die Stipendiaten sind oft begeistert, aus diesem Raster von anreisen, proben, spielen und abreisen mal rauszukommen.

Die künstlerische Entwicklung ist etwas sehr Delikates, Sie tragen da viel Verantwortung.

Schulte-Hillen: Ja, aber zum Glück nicht alleine. Wir haben ein exzellentes Team junger Frauen, die in stetem Austausch mit den Stipendiaten sind, begeisterte Ehrenamtliche und Paten, die einzelne Musiker individuell unterstützen. Die können jemanden auffangen und ihm Mut zusprechen bis zum nächsten Erfolg.

Haben Sie auch mal Zweifel?

Schulte-Hillen: Wie oft bin ich gefragt worden: „Warum strengen Sie sich an, jemandem eine Stradivari zu besorgen, wenn der nachher doch nur Taxi fährt?“ Solche Vorurteile plätten mich.

Ficht Sie so etwas an?

Schulte-Hillen: Es kommen auch bestärkende Rückmeldungen. Wir bekommen manchmal Briefe: „Ihr seid meine musikalische Familie!“ Zu unserem 55. Jubiläum hat Igorchen herzerweichend über uns gesprochen, der Pianist Igor Levit, unser langjähriger Stipendiat. Das hatte keiner von ihm verlangt!

Wie schauen Sie in die Zukunft?

Schulte-Hillen: Wir brauchen weiterhin Musikliebhaber, die uns mit Spenden unterstützen. Und wir brauchen ein jüngeres Publikum für die Stipendiaten. Bisher haben wir die Konzerte in erster Linie für die Musiker gemacht und nicht fürs Publikum. Gerade wenn die Musiker sehr jung sind, hätten sie sonst gar kein Publikum. Es wird Spaß machen, uns darüber Gedanken zu machen.

26. Wettbewerb des Deutschen Musikinstrumentenfonds 23.–25.2., Museum f. Kunst und Gewerbe. Die Auftritte sind öffentlich, Eintritt frei. www.deutsche-stiftung-musikleben.de