Hamburg. Neue Discounter sollen verpflichtet werden, bei Neubauten verstärkt Wohnraum zu schaffen. Ein Bezirk ist dabei Vorreiter.

Schluss mit der Schuhschachtelarchitektur, in Zukunft heißt es: unten einkaufen, oben wohnen. Dieses kombinierte Prinzip aus Einzelhandel und Wohnhaus will Hamburg ­verstärkt den Supermarktketten bei Neubauten oder Modernisierungen auferlegen. Neue Märkte sollen demnach nur noch genehmigt werden, wenn darüber Wohnungen geplant werden.

Vorreiter dieser „Discounter-Strategie“ ist in Hamburg der Bezirk Eimsbüttel, wo an jeden Bauantrag von Handelsketten konkrete Wohnungsforderungen geknüpft sind. Aldi, Lidl und Co. werden damit nicht nur gezwungen, ihre zweckmäßigen Flachbauten aufzugeben, Wohnraum zu schaffen und in die Höhe zu bauen. Die Unternehmen schlüpfen auch vermehrt in die Vermieterrolle. Bei anhaltendem Zuzug versucht der Bezirk damit, die Wohnungsnot zu mindern.

Dass diese Strategie den Nerv der Unternehmen trifft, zeigte sich erst vor zwei Wochen, als Aldi-Nord ankündigte, verstärkt eigene Wohnungen zu bauen. In Berlin etwa plant das Unternehmen an mindestens 30 Standorten gemischt genutzte Immobilien. Mehr als 2000 Wohnungen plant der Handelsriese dort in Kombination mit seinen Märkten. Wie in Hamburg wird in der Hauptstadt mit enormem Bevölkerungswachstum gerechnet, Mietwohnungen werden gebraucht. Die „Wohn-Aldis“ bedienen diese Nachfrage.

Bausenatorin Stapelfeldt begrüßt die Idee der Bezirke

Dass Hamburger Bezirke wie Eimsbüttel, Altona oder Mitte die Supermärkte und Discounter verstärkt zum geförderten Wohnungsbau anhalten wollen, begrüßt die Stadtentwicklungsbehörde unter Senatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD). Eingeschossige Supermarkt-Zweckbauten seien für eine Stadt wie Hamburg „nicht zukunftsfähig“, sagte die Senatorin. „Deshalb unterstützen wir das Konzept, bei neuen Einzelhandelsflächen gleich neue Wohnungen einzuplanen.“ In dieser Strategie stecke „relevantes Potenzial für den Wohnungsbau“. Gleichwohl müsse jeder Einzelfall geprüft werden, eine generelle Verpflichtung für Handelsunternehmen zum Wohnungsbau gebe es nicht.

Dabei betreiben die Ketten inzwischen nicht nur eigene Immobilientochterfirmen, sondern eigene Wohnprojekte in Hamburg. Vor einem Jahr wurde nach einem Abendblatt-Bericht bekannt, dass Aldi Nord in Rissen Wohnungen über einem neuen Markt plant. Seinerzeit erklärte der zuständige Immobilienbeauftragte Maurice Witt: „In Ballungsräumen wie Hamburg muss man Kompromisse eingehen, um künftig etwas zu erreichen.“

Grund ist, dass Lidl, Aldi, Rewe oder Edeka in flächenarmen Großstädten immer weniger Grundstücke finden, um neue Märkte bauen zu dürfen. Das vielerorts angepasste Baurecht sieht zudem vor, bereits bebaute Grundstücke bei einer sogenannten Nachverdichtung aufzustocken. Damit sind auch Handelsketten gezwungen, in die Höhe zu bauen. Auch eine zweiteilige Nutzung der Neubauten wird inzwischen häufig verlangt. Damit ein Supermarkt genehmigt wird, muss das Unternehmen auch Wohnraum schaffen.

Discounter plant an fünf Standorten Wohnungsbau

Aldi zeigt sich dabei flexibel, „das Stadtbild in Abstimmung mit den Behörden zu entwickeln“. Wenn es sein muss und dem Geschäft dient, baut der Discounter auch Wohnungen. Als Vermieter tritt der Handelsriese bereits mit 30 Wohnungen an der Holstenstraße und mit 28 Wohnungen an der Bahrenfelder Straße auf. Während das Projekt in Rissen stockt, entsteht derzeit an der Luruper Hauptstraße eine neue Aldi-Filiale nebst Wohnungen, in Sülldorf verfolgt Mitbewerber Lidl einen ähnlichen Plan.

Im Bezirk Eimsbüttel hat die Verwaltung ihre „Discounter-Strategie“ sogar konkretisiert. Auf Amtsbestreben plant Aldi neuen Wohnungsbau an den Standorten Eidelstedter Weg, Osterfeldstraße, Randstraße, Oldesloer Straße und der Bismarckstraße. Den Bezirk leite dabei, Wohnungen möglichst auf schon bebautem Grund entstehen zu lassen statt auf Grünflächen.

Wohnraum auf dem Dach

„Effizient und intelligent“ nennt Bezirksamtsleiter Kay Gätgens das systematische Aufstocken der Supermärkte. „Wir schaffen das Planrecht, um Wohnraum auf Discountern zu ermöglichen.“ Das Dach zu nutzen nehme Druck vom Wohnungsmarkt, ein sinnvoller Funktionszusammenhang von Wohnen und Nahversorgung entstehe. Gätgens: „Unsere Discounter-Strategie ist ein intelligenter Beitrag für die Stadtentwicklung.“

Auch in Altona ist es Ziel der Stadtplanungsabteilung, bei neuem großflächigen Einzelhandel eine „Mantelbebauung“ mit Wohnungen zu erreichen, sagt Sprecher Martin Röhl. Die Discounter zögen diese Strategie anstelle eines ebenerdigen Flachbaus mit großer Parkplatzfläche als Planungsoption aber ohnehin zunehmend in Erwägung.

Daran zeige sich, dass Stadt und Unternehmen profitieren. Mehr Einwohner bedeuten mehr potenzielle Kunden. Zusätzliche Läden seien deshalb ein Gewinn für die Handelsketten, neuer Wohnraum ein Erfolg für Städte.