Hamburg. Es gibt in der SPD einen klaren Favoriten, aber einige Unwägbarkeiten bei der Auswahl des Nachfolgers von Olaf Scholz – falls der geht.
Wenn erfolgreiche Politik wirklich vor allem mit Kommunikation zu tun hat, dann kann es nur einen neuen Hamburger Bürgermeister geben. Keiner kommuniziert nämlich mehr und energischer als der aktuelle SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Wer immer aus Partei oder Medien dem 43-Jährigen eine SMS schreibt, weil er etwas auf dem Herzen hat: Er bekommt eine schnelle Antwort. Und ein Gespräch. Und viele kluge Einschätzungen, egal ob es um Energiepolitik oder Fluglärm, um Billstedt oder Blankenese geht. Und bisweilen bei Bedarf auch ein wenig pastoralen Zuspruch, sodass am Ende alle Probleme gelöst zu sein scheinen.
Oft in der Öffentlichkeit
Kein Wunder also, dass ein so beflissener und meist ausgleichender Dauerkommunikator Topfavorit ist, wenn es darum geht, wer Olaf Scholz nachfolgt, sollte der Finanzminister im Bundeskabinett werden. Schon aus der Opposition heraus hatte Dressel im vergangenen Jahrzehnt Mitstreiter oder Gegner bei Bedarf in Grund und Boden kommuniziert. Lange war er Spitzenreiter beim Stellen Kleiner Anfragen, und seine Name stand fast so oft in der Zeitung wie der des Bürgermeisters. „Diese Stadt ist „overdresselt“, hieß es seinerzeit ironisch auch mit Blick auf das oft schnieke Outfit des Volksdorfers.
Bei alldem ist über den promovierten Juristen kaum ein schlechtes Wort in der SPD zu hören – ein seltener Fall für Politiker, die es in die erste Reihe schaffen. Jetzt aber, wo bei der Scholz-Nachfolge fast schon automatisch alles auf Dressel zuläuft, melden sich die Skeptiker zu Wort. Der Fraktionschef habe es mit der Kommunikation bisweilen übertrieben und sich Kompetenzen angemaßt, die ihm gar nicht zustünden, heißt es etwa aus der einen oder anderen Behörde. So habe er etwa im Zuge der Flüchtlingskrise Mails mit Anweisungen an Behördenmitarbeiter geschrieben. Das sei eine unzulässige Vermischung von Legislative und Exekutive. Ein Parlamentarier habe Behördenmitarbeitern keinerlei Anweisungen zu geben – schon gar nicht unter Umgehung der Behördenleitung.
Alle lieben Andreas Dressel!? Nein, es gibt auch Ausnahmen
Der Vorwurf rührt vor allem daher, dass Dressel zusammen mit Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks immer wieder erfolgreich versucht hat, Einigungen mit Volksinitiativen zu erzielen, bevor diese richtig loslegen konnten. Dressel neige dabei dazu, seine Grenzen zu überschreiten, glauben einige – und die anderer auch.
Mancher SPD-Amts- oder Mandatsträger wirft dem Wandsbeker Kreischef auch vor, er sei in Wahrheit unpolitisch. „Wenn Andreas nicht zwei Positionen hat, zwischen denen er vermitteln kann, weiß er gar nicht, was er selbst für eine Meinung hat“, ätzt einer.
Kaum Gegner
Die Zahl der Dressel-Gegner hält sich gleichwohl in überschaubaren Grenzen. Es gibt allerdings Genossen, die den freundlichen Dampfplauderer Dressel zwar mögen und (zu Recht) für ausgesprochen sattelfest in allen wesentlichen Themen halten – aber dennoch andere Kandidaten vorziehen. Etwa Petra Ackmann. „Andreas ist beliebt und hoch kompetent“, sagt die Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF). „Aber es wäre gut, wenn Hamburg endlich einmal eine Erste BürgermeisterIN bekäme.“ Ackmann outet sich dabei als Fan von Sozialsenatorin Melanie Leonhard.
Die 40-jährige Harburgerin habe die Sozialbehörde seit Amtsantritt 2015 so gut aufgestellt, dass sie auch als Senatschefin infrage komme. Zwar habe Leonhard keine Hausmacht, sagen andere – sie sei aber schon als Sozialsenatorin Ende 2015 allein aufgrund ihrer Fähigkeiten von Bürgermeister Scholz installiert worden. Es sei doch eine „elegante Lösung“, gebeten zu werden, so ein Vorstandsmitglied. Und das könne ja auch mehrmals im Leben geschehen.
Erste Frau an der Spitze?
Manche glauben, Olaf Scholz könnte vor seinem Abgang noch eine letzte Duftmarke setzen – indem er dafür sorge, dass Hamburg erstmals eine Frau an der Spitze des Senats bekomme. „Es gibt auch Ähnlichkeiten zwischen Leonhard und Scholz“, so ein Genosse. „Vor klaren Entscheidungen haben beide keine Angst.“ Allerdings ist unklar, ob Leonhard, die viel Wert auf genügend Zeit mit ihrem Mann und ihrem erst dreijährigen Sohn legt, überhaupt Lust auf das beschwerliche Amt hätte.
Bei all diesen Unsicherheiten vergisst die ASF-Chefin Ackmann denn auch nicht hinzuzufügen, dass natürlich auch Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit einen exzellenten Job mache. Die 44-jährige Juristin hat nicht nur in ihrem Heimatkreis Mitte, sondern vor allem auch bei jüngeren Sozialdemokraten allerlei Anhänger. Sie sei in Billstedt aufgewachsen, spreche eine klare Sprache und wisse sich durchzusetzen, lobt manche(r) aus der Nachwuchsgarde.
Die meisten in der SPD aber glauben nicht, dass die streitbare Parlamentspräsidentin genug Rückhalt in der Partei hätte. Sie sei in manchen Schlachten der Vergangenheit zu „outspoken“ gewesen, drückt es ein Genosse vornehm britisch aus, sprich: Veit sei viel zu direkt und deutlich und bisweilen zu laut. Damit habe sie sich über die Jahre einfach zu viele Feinde gemacht. Das hatte sich schon bei ihrer ersten Wahl zur Bürgerschaftspräsidentin 2011 gezeigt, bei der sie mit minimaler Zustimmung ins Amt kam. Zuvor war der frühere SPD-Landesvorsitzende Mathias Petersen ihr nur knapp bei einer internen Abstimmung in der SPD-Fraktion für dieses Amt unterlegen.
Der mittlerweile 62-jährige ist bekanntlich eine der tragischsten Figuren der jüngeren Hamburger SPD-Geschichte. Durch den Diebstahl von fast 1000 Stimmzetteln bei der Mitgliederbefragung war der vor allem bei der Basis beliebte Arzt aus Altona um die Bürgermeisterkandidatur 2008 gebracht worden. Nun fragen sich viele, ob Petersen es nach einem Scholz-Abgang noch einmal wissen will – oder ob sein einstiger Ehrgeiz erloschen ist. Sollte der Vater von drei Söhnen seinem Großvater, dem ersten Hamburger Nachkriegsbürgermeister, noch immer nacheifern wollen (was manche hoffen und andere fürchten), ginge das wohl nur auf dem mehrmals von ihm erprobten Weg. Er müsste sich als Kandidat der Basis gegen das Establishment darstellen und eine Mitgliederbefragung erzwingen. Denn in der Parteispitze begegnet man dem Altonaer Kreischef mit der alten Skepsis. „Mathias ist eine Eigenmarke“, heißt es. „Er hat seinen Hang zum Populismus nicht abgelegt. Bei ihm weiß man nie, was als Nächstes kommt.“
Und Olaf Scholz? Redet in Bremen über Würste
Bei alldem ist angesichts des Desasters, das die Bundes-SPD gerade in Berlin anrichtet, sowieso nicht sicher, ob es überhaupt zur Großen Koalition kommt. Aber könnte Olaf Scholz bei einem Nein der Basis noch Bürgermeister bleiben – lustlos und wider Willen? Oder bräuchte er nicht auch dann einen Nachfolger?
Olaf Scholz – Stationen einer SPD-Karriere
Am Freitag ging der Noch-Bürgermeister erst einmal seiner Lieblingsbeschäftigung nach: Er tat so, als sei nichts gewesen. Bei der Bremer Schaffermahlzeit ließ sich der Vizekanzler in spe grinsend beim Telefonieren fotografieren und hielt danach als Ehrengast laut Manuskript eine Rede, in der er sagte, dass Bremen und Hamburg „ein starkes und kooperatives Europa“ bräuchten.
Nebenbei räumte er noch eine Niederlage Hamburgs gegen das Städtchen an der Weser ein. „Nichts gegen Hamburger Kochwurst, die schmeckt auch sehr gut“, konstatierte Scholz. „Aber zum Siegeszug der Bremer Pinkel kann ich neidlos gratulieren.“ Das muss in diesen aufgeregten Zeiten ja auch mal gesagt werden. Auch wenn’s schwerfällt.