Hamburg. SPD-Politiker lässt offen, ob er als Finanzminister und Vizekanzler nach Berlin wechseln will. Das schafft ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Welch ein absurdes Schauspiel: Die ganze Republik spricht darüber, alle Medien schreiben und senden, dass Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) im Falle einer Großen Koalition Bundesfinanzminister und Vizekanzler werden wird. Aber derjenige, um den die Überlegungen kreisen, lässt die entscheidende Frage offen.

Rathaus, Kaisersaal, 13 Uhr: Ein müder und von einem Infekt deutlich angeschlagener Scholz betritt den Saal – die Tage und Nächte der Berliner Marathonverhandlungen haben ihm zugesetzt. Schlafen wäre jetzt wahrscheinlich das Schönste. Stattdessen stellt Scholz mit großem Gefolge den architektonischen Entwurf und das Realisierungskonzept für den Elbtower am Rande der HafenCity vor (Bericht rechts).

Mitglieder sollen entscheiden

Fast eine Stunde dauert es, bis die entscheidende Frage gestellt werden kann – immerhin. Will er also nach Berlin gehen? „Dass die SPD das Finanzressort übernehmen wird, wissen wir seit gestern 8.45 Uhr. Das hätte auch ganz anders kommen können. Dass sich in einer solchen Situation alle Blicke auf mich richten, ist jetzt auch nicht weiter erstaunlich“, antwortet Scholz. „Entschieden wird, wenn die Mitglieder entschieden haben, und wir haben uns darauf verständigt, dass wir vorher keine Auskünfte geben werden, nicht weil wir das verheimlichen wollen, sondern die Frage, wer an welcher Stelle ins Kabinett kommt, erst danach endgültig entschieden wird.“ Ob der Bürgermeister ernsthaft glaubt, dass die Bürgerinnen und Bürger ihm das glauben – jedenfalls, was seine eigene Zukunft angeht?

Aber haben nicht zumindest die SPD-Mitglieder, die über Ja oder Nein zur Großen Koalition abstimmen sollen, ein Recht, vorher zu erfahren, wer sie am Ende regieren wird? Ist das nicht ein Gebot der Transparenz? Scholz weicht aus. „Es ist jedenfalls bisher üblich gewesen, dass man sich auf die Sache konzentriert und personelle Fragen hinterher entscheidet“, lautet seine Antwort. Das sei zuletzt bei der Mitgliederbefragung der SPD über die Große Koalition 2013 auch der Fall gewesen. Diesmal habe es nur eine Ausnahme gegeben: Martin Schulz, der erklärt hat, Außenminister werden zu wollen.

Kurze Ansage von Scholz

„Es bestand ein eminentes Interesse vieler Bürger und vieler SPD-Mitglieder daran, dass der Vorsitzende der SPD sich in dieser Frage zu seiner Person äußert, deshalb haben wir dort eine Durchbrechung vorgenommen“, sagt Scholz. „Ansonsten werden wir als Führung der SPD einen Vorschlag dazu machen und dann auch entscheiden, wenn das Mitgliedervotum der SPD positiv ausgeht.“ Ende der Durchsage.

Diese Verabredung, über die Besetzung der anderen Kabinettsposten zu schweigen, die Scholz als stellvertretender SPD-Vorsitzender mitgetragen hat, bringt ihn selbst in Hamburg in größte Schwierigkeiten. Es wäre ein Gebot der Ehrlichkeit, den Hamburgern wenigstens jetzt klar zu sagen, was seine Absichten sind. Scholz ist nun ein Bürgermeister auf Abruf, ob er will oder nicht.

Die Karriere des Olaf Scholz

Olaf Scholz – Stationen einer SPD-Karriere

Der SPD-Politiker soll neuer Finanzminister in der Großen Koalition werden
Der SPD-Politiker soll neuer Finanzminister in der Großen Koalition werden © Imago/photothek | Unbekannt
Sehen so Verhandlungssieger aus? Dieses Selfie zeigt die SPD-Granden Manuela Schwesig (v.l.), Malu Dreyer, Martin Schulz, Andrea Nahles, Carsten Schneider, Olaf Scholz und Lars Klingbeil nach dem Durchbruch am Mittwoch
Am Tag des Durchbruchs bei den Koalitionsverhandlungen posierte Scholz gemeinsam mit den SPD-Granden Manuela Schwesig (v.l.), Malu Dreyer, Martin Schulz, Andrea Nahles, Carsten Schneider und Lars Klingbeil für ein Selfie © dpa | Unbekannt
In Hamburg musste Bürgermeister Scholz dagegen zuletzt einige politische Niederlagen einstecken
In Hamburg musste Bürgermeister Scholz dagegen zuletzt einige politische Niederlagen einstecken © dpa | Unbekannt
Dazu gehörte auch der G20-Gipfel im Juli 2017 – trotz solch staatsmännischer Bilder mit US-Präsident Donald Trump
Dazu gehörte auch der G20-Gipfel im Juli 2017 – trotz solch staatsmännischer Bilder mit US-Präsident Donald Trump © Imago/Sven Simon | Unbekannt
Ins Gedächtnis eingebrannt haben sich – nicht nur bei Hamburgs Bürgern – dagegen eher solch unschöne Bilder wie aus dem außer Kontrolle geratenen Schanzenviertel
Ins Gedächtnis eingebrannt haben sich – nicht nur bei Hamburgs Bürgern – dagegen eher solch unschöne Bilder wie aus dem außer Kontrolle geratenen Schanzenviertel © Picture Alliance | Unbekannt
Die Händler forderten nach den Plünderungen eine Entschädigung von Scholz und Kanzlerin Angela Merkel
Die Händler forderten nach den Plünderungen eine Entschädigung von Scholz und Kanzlerin Angela Merkel © Picture Alliance | Unbekannt
Am Tag nach den Krawallen nahmen Demonstranten ein beschwichtigendes Scholz-Zitat im Vorfeld des G20-Gipfels auf
Am Tag nach den Krawallen nahmen Demonstranten ein beschwichtigendes Scholz-Zitat im Vorfeld des G20-Gipfels auf © Picture Alliance | Unbekannt
All eyes on us: Wenig später durfte sich Scholz mit den Royals Kate und William an der Elbphilharmonie erholen
All eyes on us: Wenig später durfte sich Scholz mit den Royals Kate und William an der Elbphilharmonie erholen © Imago/Future Image | Unbekannt
Das gibt's eher keinmal: Olaf Scholz versuchte vergeblich, mit Unterstützung von DOSB-Chef Alfons Hörmann (M.) und Innenminister Thomas de Maizière die Olympischen Sommerspiele nach Hamburg zu holen
Das gibt's eher keinmal: Olaf Scholz versuchte vergeblich, mit Unterstützung von DOSB-Chef Alfons Hörmann (M.) und Innenminister Thomas de Maizière die Olympischen Sommerspiele nach Hamburg zu holen © Witters | Unbekannt
Den Rückschlag musste der Sozialdemokrat nach einem gescheiterten Referendum am 29. November 2015 verkünden
Den Rückschlag musste der Sozialdemokrat nach einem gescheiterten Referendum am 29. November 2015 verkünden © Witters | Unbekannt
Auch der 2013 per Volksentscheid beschlossene Rückkauf der drei Energienetze für Strom, Gas und Fernwärme geschah gegen den Willen des Bürgermeisters
Auch der 2013 per Volksentscheid beschlossene Rückkauf der drei Energienetze für Strom, Gas und Fernwärme geschah gegen den Willen des Bürgermeisters © Picture Alliance | Unbekannt
Im Mai 2014 zitterte Olaf Scholz mit dem HSV im ersten Relegationsdrama in Fürth
Im Mai 2014 zitterte Olaf Scholz mit dem HSV im ersten Relegationsdrama in Fürth © Witters | Unbekannt
Privat vertraut Olaf Scholz auf Genossin Britta Ernst
Privat vertraut Olaf Scholz auf Genossin Britta Ernst © Imago/Future Image | Unbekannt
Auch bei der ältesten Hamburgerin kommt Scholz gut an – hier gratuliert er Lydia Smuda zum 111. Geburtstag
Auch bei der ältesten Hamburgerin kommt Scholz gut an – hier gratuliert er Lydia Smuda zum 111. Geburtstag © Marcelo Hernandez | Marcelo Hernandez
Auch die Einbürgerung von Reporter-Komödiant Alfons bot Scholz willkomene Abwechslung vom harten Polit-Alltag
Auch die Einbürgerung von Reporter-Komödiant Alfons bot Scholz willkomene Abwechslung vom harten Polit-Alltag © HA | Marcelo Hernandez
Der wahre Hafengeburtstag: Olaf Scholz wird die Hamburger Glocke so schnell nicht wieder läuten
Der wahre Hafengeburtstag: Olaf Scholz wird die Hamburger Glocke so schnell nicht wieder läuten © Picture Alliance | Unbekannt
1/16

Es kommt ein zweiter Punkt hinzu. Stets hatte Scholz betont, er bleibe Bürgermeister und wechsle nicht als Ressortchef in die Bundesregierung. Minister war er schließlich schon einmal. Zuletzt hatte er sich im Abendblatt-Interview Anfang Dezember – nach dem Jamaika-Aus und vor dem SPD-Bundesparteitag – festgelegt.

Er hatte nicht ausgeschlossen, nach Berlin zu gehen

„Vor vier Jahren bin ich Hamburger Bürgermeister geblieben“, sagte er mit Blick auf die Bildung der Großen Koalition 2013. „Meine Pläne haben sich an dieser Stelle nicht verändert.“ Und nicht geändert habe sich auch die Vorstellung, 2020 erneut als Spitzenkandidat der SPD bei der Bürgerschaftswahl anzutreten. Dass es nun erkennbar anders kommen wird, wenn die SPD-Mitglieder die Erlaubnis zur GroKo erteilen, schafft für Scholz ein Glaubwürdigkeitspro­blem. Glaubwürdigkeit ist ein zentraler Bestandteil des Vertrauenskapitals, das er bei vielen in der Stadt genießt. „Ich halte, was ich verspreche, und was ich nicht tue, habe ich nicht versprochen“, ist einer der Sätze, mit denen Scholz einst als Bürgermeister angetreten ist und die für ihn charakteristisch sind.

Scholz hat bis zuletzt semantisch nicht völlig ausgeschlossen, nach Berlin zu gehen, aber er hat mindestens den Eindruck erwecken wollen, dass es so ist. Und genau diese Unschärfe passt nicht zu einem Politiker, der ansonsten mit Klarheit punkten will. Augenscheinlich hat der Sozialdemokrat nun ein neues, nur eben wichtigeres Projekt: Es geht nicht mehr darum, die Stadt ordentlich zu regieren, sondern die SPD zu retten. Und das ist offensichtlich nur mit seiner Hilfe in Berlin möglich.

Strategisch gesehen ist Scholz’ Schweigen zu seiner Berliner Zukunft nur unter einem Gesichtspunkt klug. Wenn sich die SPD-Mitglieder tatsächlich gegen die GroKo aussprechen, kann er sagen, nie behauptet zu haben, Finanzminister werden zu wollen. Leicht würde der Neustart im Amt für ihn in diesem Fall dennoch nicht.

Gerne Hamburger Bürgermeister

An diesem für Scholz nicht gerade einfachen Tag wurde eines deutlich: Der Abschied aus dem Bürgermeisteramt würde ihm, anders als vielfach behauptet, ziemlich schwerfallen. „Ich glaube, Sie haben gemerkt, wie gern ich Hamburger Bürgermeister bin“, sagte Scholz am Ende der Pressekonferenz und spielte damit auf seine Begeisterung für den Elbtower als Stadtentwicklungsprojekt an. „Sie sehen also, dass das etwas ist, was mich emotional sehr bewegt.“

Für Scholz-Verhältnisse war das beinahe ein Gefühlsausbruch. Und so schwebte plötzlich ein Hauch von Abschied durch den Kaisersaal – obwohl Scholz diesen Eindruck doch eigentlich vermeiden wollte.

Lesen Sie auch

Sozialsenatorin Melanie Leonhard am Montag (19.07.2016) an der Alten Harburger Elbbrücke in Hamburg. Foto:Roland Magunia
Von Jens Meyer-Wellmann und Peter Wenig