Hamburg. Eigentlich sah der SPD-Politiker seine Zukunft in Hamburg. Doch nun soll er Finanzminister und Vizekanzler werden. Wie Scholz tickt.

Noch vor Kurzem hing seine politische Karriere am seidenen Faden. Nach dem G-20-Gipfel im Juli, der Teile der Stadt ins Chaos gestürzt hatte, erlebten Wegbegleiter Olaf Scholz in diesen Sommertagen ungewohnt an- und niedergeschlagen. „Wo ist der Bürgermeister?“, riefen nicht nur wütende Anwohner nach den Krawallen in der Schanze, sondern auch wohlmeinende Parteifreunde. Olaf Scholz hatte im Vorfeld des Gipfels für die Sicherheit der Hamburger garantiert – und dieses Sicherheitsversprechen nicht halten können.

Leitartikel: Ein doppelter Verlust für Hamburg

„Das treibt mich um und wird mich noch lange umtreiben“, sagte er danach zerknirscht dem Abendblatt. Am Wochenende nach dem Gipfel stellte er sich selbst die Frage, ob er zurücktreten muss. Und gestand später vor dem Sonderausschuss der Bürgerschaft: Hätte es bei den G-20-Krawallen einen Toten gegeben, wäre er nach dem Treffen abgetreten.

Scholz kennt Niederlagen

Olaf Scholz kennt Niederlagen. Sie schwächten ihn nicht, sondern machten den heute 59-Jährigen stets stärker. „Wenn man sich als Politiker schon einmal mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die politische Laufbahn beendet ist, schützt das vor Größenwahn und unsäglichen Selbstbildern“, sagte er 2011. Da hatte er sein persönliches Waterloo längst erlebt. Am 17. November 2003 erlitt er in der Ruhrcongress-Halle seine wohl schlimmste Niederlage.

Ein Jahr zuvor hatten ihn die Genossen noch mit 92 Prozent in das Amt des Generalsekretärs der deutschen Sozialdemokratie getragen, nun war er der Watschenmann. Scholz wurde an diesem Abend in Bochum zum Sündenbock aller Widerständler gegen den Wandel, aller Haderer mit den Hartz-Reformen, aller Abweichler von der Agenda 2010. 52,6 Prozent ohne Gegenkandidaten, das ist wie ein 0:6 in Sandhausen, Schneeschauer auf Capri oder Alexander Gauland ohne Hunde-Krawatte.

Als „Scholzomat“ verspottet

Nicht einmal ein halbes Jahr später schien Scholz’ Aufstieg in Berlin endgültig gestoppt – mit dem Rücktritt des Parteichefs Schröder verlor auch Scholz sein Amt. Als „Scholzomat“ wegen seiner roboterhaften Sätze von Journalisten verspottet, von den Genossen als „Problem-Olaf“ gemieden. Es gibt andere, deren Karriere an diesem Punkt bereits zu Ende gewesen wäre. Scholz musste sich in Berlin wieder ganz hinten anstellen – so wie 1998, als der damals 40-Jährige erstmals als Wahlkreissieger in Altona in den Bundestag einzog.

Schon als Jugendlicher wurde Scholz am Gymnasium Heegen in Rahlstedt politisch sozialisiert – und machte als Jungsozialist bald Karriere. 1975 trat er in die Partei ein, von 1982 bis 1988 war er stellvertretender Juso-Bundesvorsitzender. Den jungen Scholz würde man heute kaum wiedererkennen – nicht nur wegen der langen und lockigen Haare. Damals träumte er als Stamokap-Fan noch vom Sieg des Sozialismus. „Er war ein Apparatschik, der wie versteinert zuhörte und uns dann in langatmigen Reden die wahre Lehre eintrichtern wollte – ohne ein Lächeln“, erinnerte sich ein Wegbegleiter. Aber wie wusste schon Winston Churchill: „Wer mit 20 Jahren nicht Sozialist ist, der hat kein Herz, wer es mit 40 Jahren noch immer ist, hat keinen Verstand.“

Rasche Auffassungsgabe

Letzteres kann man Scholz sicherlich nicht nachsagen. Auch politische Gegner zollen ihm Respekt angesichts seiner raschen Auffassungsgabe, seiner Recherchetiefe und seines Verhandlungsgeschicks. Politische Freunde wundern sich manchmal über seine politische Beweglichkeit. In Hamburg lässt sie sich an mehreren Punkten belegen. Wobei die möglicherweise auch auf einem Missverständnis gründet: „Olaf hat sich immer als Linker verortet, er war es aber eigentlich nie“, meint Johannes Kahrs vom rechten Seeheimer Kreis der SPD.

Alle Bürgermeister Hamburgs

 

Seit dem Zweiten Weltkrieg wurde Hamburg von 13 unterschiedlichen Bürgermeistern regiert.

Rudolf Hieronymus Petersen (CDU)

Aug. 1945 – Nov. 1946

Max Brauer (SPD)

Nov. 1946 – Dez. 1953

Kurt Sieveking (CDU)

Dez. 1953 – Nov. 1957

Max Brauer (SPD)

Dez. 1957 – Dez. 1960

Paul Nevermann (SPD)

Jan. 1961 – Juni 1965

Herbert Weichmann (SPD)

Juni 1965 – Juni 1971

Peter Schulz (SPD)

Juni 1971 – Okt. 1974

Hans­-Ulrich Klose (SPD)

Nov. 1974 – Mai 1981

Klaus von Dohnanyi (SPD)

Juni 1981 – Juni 1988

Henning Voscherau (SPD)

Juni 1988 – Okt. 1997

Ortwin Runde (SPD)

Nov. 1997 – Okt. 2001

Ole von Beust (CDU)

Okt. 2001 – Aug. 2010

Christoph Ahlhaus (CDU)

Aug. 2010 – März 2011

Olaf Scholz (SPD)

Seit März 2011

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2000 wird Scholz SPD-Landesvorsitzender an der Elbe, machtstrategisch eher ein Amt, das seinen Aufstieg in Berlin beschleunigen soll. Doch dann geht in der Heimat einiges schief: Der rot-grüne Senat gerät durch massive Fehler im Bereich der inneren Sicherheit unter Druck. Spektakuläre Kriminalfälle erschüttern die Hansestadt, die offene Drogenszene am Hauptbahnhof empört die Bürger, Medien schüren ein Gefühl der inneren Unsicherheit. Und der Populist Ronald Schill und seine neu gegründete Partei steigen von Umfrage zu Umfrage. Der damalige Bürgermeister Ortwin Runde reagiert – und holt Scholz als Innensenator nach Hamburg.

Er ändert die Sicherheitspolitik der SPD radikal

Zum Entsetzen der linken Szene, aber auch einiger Parteifreunde macht Scholz ernst – und ändert die Sicherheitspolitik der SPD radikal. „Ich bin liberal, aber nicht doof“, lautet sein Credo; Gegner verhöhnen ihn als Schillz oder „Hamburger Brechmittel“. Tief prägen ihn die Anschläge vom 11. September – die Terroristen lebten als islamistische Schläfer in Harburg. Plötzlich ist Scholz als Hamburger Innensenator mittendrin in der Weltpolitik. Die Folgen des Terrors schlagen sich auch im Wahlergebnis nieder: Die Bürgerschaftswahl zwei Wochen später geht verloren, Ole von Beust wird neuer Bürgermeister. Die SPD findet sich erstmals seit 1957 wieder auf den Bänken der Opposition.

Olaf Scholz – Stationen einer SPD-Karriere

Der SPD-Politiker soll neuer Finanzminister in der Großen Koalition werden
Der SPD-Politiker soll neuer Finanzminister in der Großen Koalition werden © Imago/photothek
Am Tag des Durchbruchs bei den Koalitionsverhandlungen posierte Scholz gemeinsam mit den SPD-Granden Manuela Schwesig (v.l.), Malu Dreyer, Martin Schulz, Andrea Nahles, Carsten Schneider und Lars Klingbeil für ein Selfie
Am Tag des Durchbruchs bei den Koalitionsverhandlungen posierte Scholz gemeinsam mit den SPD-Granden Manuela Schwesig (v.l.), Malu Dreyer, Martin Schulz, Andrea Nahles, Carsten Schneider und Lars Klingbeil für ein Selfie © dpa
In Hamburg musste Bürgermeister Scholz dagegen zuletzt einige politische Niederlagen einstecken
In Hamburg musste Bürgermeister Scholz dagegen zuletzt einige politische Niederlagen einstecken © dpa
Dazu gehörte auch der G20-Gipfel im Juli 2017 – trotz solch staatsmännischer Bilder mit US-Präsident Donald Trump
Dazu gehörte auch der G20-Gipfel im Juli 2017 – trotz solch staatsmännischer Bilder mit US-Präsident Donald Trump © Imago/Sven Simon
Ins Gedächtnis eingebrannt haben sich – nicht nur bei Hamburgs Bürgern – dagegen eher solch unschöne Bilder wie aus dem außer Kontrolle geratenen Schanzenviertel
Ins Gedächtnis eingebrannt haben sich – nicht nur bei Hamburgs Bürgern – dagegen eher solch unschöne Bilder wie aus dem außer Kontrolle geratenen Schanzenviertel © Picture Alliance
Die Händler forderten nach den Plünderungen eine Entschädigung von Scholz und Kanzlerin Angela Merkel
Die Händler forderten nach den Plünderungen eine Entschädigung von Scholz und Kanzlerin Angela Merkel © Picture Alliance
Am Tag nach den Krawallen nahmen Demonstranten ein beschwichtigendes Scholz-Zitat im Vorfeld des G20-Gipfels auf
Am Tag nach den Krawallen nahmen Demonstranten ein beschwichtigendes Scholz-Zitat im Vorfeld des G20-Gipfels auf © Picture Alliance
All eyes on us: Wenig später durfte sich Scholz mit den Royals Kate und William an der Elbphilharmonie erholen
All eyes on us: Wenig später durfte sich Scholz mit den Royals Kate und William an der Elbphilharmonie erholen © Imago/Future Image
Das gibt's eher keinmal: Olaf Scholz versuchte vergeblich, mit Unterstützung von DOSB-Chef Alfons Hörmann (M.) und Innenminister Thomas de Maizière die Olympischen Sommerspiele nach Hamburg zu holen
Das gibt's eher keinmal: Olaf Scholz versuchte vergeblich, mit Unterstützung von DOSB-Chef Alfons Hörmann (M.) und Innenminister Thomas de Maizière die Olympischen Sommerspiele nach Hamburg zu holen © Witters
Den Rückschlag musste der Sozialdemokrat nach einem gescheiterten Referendum am 29. November 2015 verkünden
Den Rückschlag musste der Sozialdemokrat nach einem gescheiterten Referendum am 29. November 2015 verkünden © Witters
Auch der 2013 per Volksentscheid beschlossene Rückkauf der drei Energienetze für Strom, Gas und Fernwärme geschah gegen den Willen des Bürgermeisters
Auch der 2013 per Volksentscheid beschlossene Rückkauf der drei Energienetze für Strom, Gas und Fernwärme geschah gegen den Willen des Bürgermeisters © Picture Alliance
Im Mai 2014 zitterte Olaf Scholz mit dem HSV im ersten Relegationsdrama in Fürth
Im Mai 2014 zitterte Olaf Scholz mit dem HSV im ersten Relegationsdrama in Fürth © Witters
Privat vertraut Olaf Scholz auf Genossin Britta Ernst
Privat vertraut Olaf Scholz auf Genossin Britta Ernst © Imago/Future Image
Auch bei der ältesten Hamburgerin kommt Scholz gut an – hier gratuliert er Lydia Smuda zum 111. Geburtstag
Auch bei der ältesten Hamburgerin kommt Scholz gut an – hier gratuliert er Lydia Smuda zum 111. Geburtstag © Marcelo Hernandez
Auch die Einbürgerung von Reporter-Komödiant Alfons bot Scholz willkomene Abwechslung vom harten Polit-Alltag
Auch die Einbürgerung von Reporter-Komödiant Alfons bot Scholz willkomene Abwechslung vom harten Polit-Alltag © HA | Marcelo Hernandez
Der wahre Hafengeburtstag: Olaf Scholz wird die Hamburger Glocke so schnell nicht wieder läuten
Der wahre Hafengeburtstag: Olaf Scholz wird die Hamburger Glocke so schnell nicht wieder läuten © Picture Alliance
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Ein Jahr später ist Olaf Scholz zurück im Bundestag und stürzt sich in die Arbeit. Vollblutpolitiker wäre als Charakteristik für Olaf Scholz fast noch untertrieben. Wie seine Gattin Britta Ernst, mit der er seit 1998 verheiratet ist, treibt ihn der Wille zu gestalten. Ernst ist Bildungsministerin in Brandenburg, Scholz bald vermutlich Bundesfinanzminister in Berlin.

Fleißig bis zum Erbrechen

„Er ist energisch, hochintelligent, fleißig bis zum Erbrechen – ein richtiges politisches Tier“, beschrieb ihn Johannes Kahrs einmal. Aber zugleich ist Scholz kein Volkstribun; ihm fehlt das Empathische. Er brilliert im Ausschuss, aber nicht im Bierzelt. Er hat ein breites Faktenwissen, aber keine große Rhetorik. Und doch entwickelt er sich in den Jahren vom „Scholzomaten“ zu einem ordentlichen Redner. Gerade südlich des Weißwurstäquators aber bleibt Scholz für viele der nüchterne, dröge Norddeutsche. Er ist keiner, den die Wähler mit heißen Herzen ins Amt tragen, aber einer, den sie mit kühlem Verstand die Stimme geben können.

Berlin reizt Scholz stets mehr als die Lokalpolitik. So setzt er voll auf eine Karriere in der Bundeshauptstadt. Im Oktober 2005 wird er Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD – eine Art zweiter Mann in der Fraktion. Als Anfang 2007 in der Hansestadt alles drunter und drüber geht, die Urwahl des Spitzenkandidaten zwischen Mathias Petersen und Dorothee Stapelfeldt in einem Stimmenklau endet, kann er sich geschickt der fast unausweichlichen Spitzenkandidatur entziehen. Olaf Scholz zaubert zur Überraschung aller Parteifreunde den ehemaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann aus dem Hut. Der verliert knapp – wichtiger aber ist: Er hält Scholz im entscheidenden Moment den Rücken frei.

Helmut Schmidt adelte Scholz

Denn im November 2007 wird der Posten des Arbeitsministers nach dem Rücktritt von Franz Müntefering frei. Der Job liegt dem ehemaligen Arbeitsrechtler Scholz: Er steuert das Land durch die schwerste Rezession und Finanzkrise; mit dem Kurzarbeitergeld verhindert er Massenentlassungen. Helmut Schmidt, der sonst wenig Sonne neben sich duldete, adelte Scholz später mit der Aussage, zwei Politiker hätten Deutschland gut durch die Krise geführt: Finanzminister Steinbrück und Arbeitsminister Scholz. Aus dieser Zeit der Großen Koalition stammt sein gutes Verhältnis zu Kanzlerin Merkel: Die beiden schätzen einander und vertrauen sich.

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Umfrage: Olaf Scholz soll Finanzminister in Berlin werden

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    Als 2009 eine schwarz-gelbe Regierung in Berlin übernimmt, wird die Heimat wieder politisch interessant. Schwarz-Grün schwächelt, Olaf Scholz wird erst wieder Landesvorsitzender und bekommt das Amt des Bürgermeisters 2011 fast auf einem Silbertablett präsentiert. Zwar betont Scholz stets, wie sehr er das Amt des Bürgermeisters in seiner Heimatstadt schätzt, zugleich aber verliert er seine Bundeskarriere nicht aus dem Auge. Er versucht, Hamburg in vielen Bereichen zu einem Modell für Deutschland zu machen. Und auf manchen Politikfeldern – ob Arbeitsmarktintegration, Wohnungsbau, zuletzt sogar in der Bildung – gelingt es ihm. Zugleich wird Scholz Hamburg allein bald zu klein. Er tummelt sich in der nationalen Politik – zusammen mit Wolfgang Schäuble reformiert er etwa die Bund-Länder-Finanzen.

    In der Partei hat er es schwer

    Scholz traut sich einiges zu, aber in der Partei hat er es schwer. „Er ist sowohl einer unserer klügsten als auch einer unserer arrogantesten Köpfe“, sagt ein führender Genosse über den Hamburger. Und spricht damit vielen Sozialdemokraten aus der Seele. Mit einem Thesenpapier übt Scholz nach dem Desaster bei der Bundestagswahl Kritik an Martin Schulz. Er läuft sich warm, aber springt dann nicht. Die Strafe folgt auf dem Fuß: Beim SPD-Parteitag im Dezember landet Scholz noch hinter Stegner bei 59,2 Prozent. Aber Niederlagen nimmt er längst als Motivation.

    Im Jahr 2000 beantwortete Olaf Scholz die Frage nach seinen politischen Zielen: „Ich will nie Bürgermeister werden.“ 2011, gerade im Rathaus, wich er der Frage aus, ob er Bundeskanzler werden wolle: „In vier Jahren kandidiere ich noch einmal als Bürgermeister.“ Nun wird Scholz konkreter: Bald ist er Vizekanzler – wenngleich noch unter Vorbehalt des Mitgliederentscheids. Und damit CDU-Herausforderer Nummer eins.Vielleicht sollte Scholz seine Genossen an den heiß geliebten Willy Brandt erinnern: Der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin wurde 1966 Vizekanzler der Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger. Drei Jahre später war er Bundeskanzler.

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    Scholz bittet Hamburger um Entschuldigung

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