Hamburg. 53-Jähriger wurde in Wandsbek festgenommen – 37 Jahre, nachdem er in Hamburg zwei 16-Jährige brutal attackiert haben soll.
Den großen Moment übernahm Steven Baack selbst. Eine Spezialeinheit brach am Montagabend die Tür zu dem weißen Mehrfamilienhaus in Wandsbek auf, in dem der mutmaßliche Triebtäter Frank S. unauffällig lebte – dann führte der Leiter der „Cold Cases“ den 53 Jahre alten Verdächtigen höchstpersönlich ab. Die Festnahme ist ein möglicher Triumph für Baack und seine ungewöhnliche Truppe von Ermittlern bei der Polizei.
Binnen weniger Monate haben sie zwei Fälle besonders brutaler Angriffe auf Frauen im Jahr 1980 möglicherweise aufgeklärt (das Abendblatt berichtete), die 37 Jahre lang ungelöst geblieben waren. Ein Richter erließ am frühen Dienstagabend nun Haftbefehl gegen Frank S. Der 53-Jährige muss nun mit einer Anklage wegen versuchten Mordes rechnen.
Als Jugendlicher soll Frank S. zwei grausame Taten begangen haben: Im Spätsommer 1980 wurde eine 16-Jährige am Gustav-Seitz-Weg von einem damals jungen Mann plötzlich attackiert – der Täter versuchte, das Mädchen zu vergewaltigen. Am 1. November desselben Jahres wurde dann im Einmündungsbereich derselben Straße zur Steilshooper Allee die ebenfalls 16 Jahre alte Rita G. angegriffen.
Beide Opfer sind bis heute traumatisiert
Das blonde Mädchen hatte an jenem Sonnabendabend zuvor eine Freundin besucht, um sich eine Musikplatte der Rockgruppe Toto abzuholen, und wollte zu Fuß zu ihrer Mutter gehen – da kam ihr „ein junger Mann in schwarzer Nappalederhose entgegen“, wie das Abendblatt in der damaligen Ausgabe schrieb: „Wortlos zog er ein großes Messer mit hellbraunem Griff und stach immer wieder auf das Mädchen ein.“ Danach vergewaltigte der Täter Rita G. Sie überlebte nur dank einer Notoperation im UKE. In ihren ersten Aussagen gab sie an, der Täter sei „kein Rocker-, eher ein Popper-Typ“ gewesen. Die Ermittlungen verliefen jedoch ergebnislos, die damalige Vergewaltigung ist inzwischen verjährt.
Beide Opfer aus dem Jahr 1980 hätten aber bis heute mit den traumatischen Erlebnissen zu kämpfen, heißt es von der Polizei. Frank S., der damals ebenfalls 16 Jahre alt war, war vor seiner Festnahme am Sonntag zuletzt in seiner Jugendzeit wegen geringfügiger Delikte wie Körperverletzung bei der Polizei auffällig geworden, wurde bislang keiner Sexualstraftat verdächtigt. In unmittelbarer Nähe seines Wohnortes in Wandsbek, einer sehr schmalen und ruhigen Wohnstraße, befindet sich eine Schule.
53-Jähriger müsste nach Jugendrecht vor Gericht
In einer ersten Vernehmung im Januar hatte Frank S. die Vorwürfe noch abgestritten. Die lange Zeit zwischen Tat und Festnahme stellt die Ermittler vor Probleme, nicht nur wegen der schwierigeren Beweisführung. „Da der Verdächtige im Jahr 1980 erst 16 Jahre alt war, müsste er nach geltendem Jugendstrafrecht angeklagt werden“, sagt Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Dabei stehe jedoch der Gedanke im Vordergrund, wie ein Täter zu einem Leben ohne Straftaten „erzogen“ werden könne. Immerhin würde bei Frank S., im Gegensatz zu jugendlichen Angeklagten wohl kein Jugendhelfer mit im Saal sitzen, heißt es.
Dass die Beamten der Abteilung „Cold Cases“ den Tatverdächtigen nach der langen Zeit überhaupt ausfindig machen konnten, ist einer anderen Fahndung zu verdanken. Als die Ermittler in dem inzwischen abgeschlossenen Mordfall an der Hausfrau Beata Sienknecht nach neuen Zeugen suchten, gingen auch Hinweise auf die beiden Angriffe auf die 16-Jährigen in Steilshoop ein. Eine Öffentlichkeitsfahndung mit dem Bild der damaligen Tatwaffe brachte dann kurzfristig das entscheidende zusätzliche Indiz, um Frank S. festnehmen zu können. Neben dem neuen Zeugen, der das Messer eindeutig Frank S. zuschrieb, gibt es laut Ermittlern aber weiteres belastendes Material. „Es ist ein sehr komplexes Ermittlungsverfahren.“
Abteilung „Cold Cases“ hat unterschiedliche Spezialisten
Die erst Ende 2016 gegründete Abteilung „Cold Cases“ geht auf ungewöhnlichen Wegen an die ungelösten Gewaltverbrechen heran. Die Polizisten haben ein Punktesystem, nach dem sie aus der Vielzahl von „kalten Fällen“ auswählen. „Wir müssen zunächst den Namen auf der Akte zu einem Leben in unseren Köpfen werden lassen“, sagte Abteilungsleiter Steven Baack im Herbst. „Es gehört auch dazu, sich intensiv in die damalige Zeit zurückzuversetzen“. Die vier Beamten bringen jeweils eigene Stärken in die Arbeit ein: Baack war zuvor Teil des Mobilen Einsatzkommandos (MEK), seine Mitstreiter bringen Erfahrung bei der Aufklärung von Sexualverbrechen, Großverfahren im Bereich der Organisierten Kriminalität und täglicher Ermittlungsarbeit beim Kriminaldauerdienst mit.
Im Gegensatz zur Mordkommission lesen die Spezialisten jede Akte von „vorn nach hinten“ – nur so lasse sich feststellen, ob etwa ein Hinweis falsch interpretiert wurde. Anschließend werde „jedes weitere Wort“ zu viert besprochen. Parallel zu dem Verfahren gegen Frank S. arbeitet „Cold Cases“ an einem der aufsehenerregendsten Fälle der Kriminalgeschichte: dem Verschwinden der erst zehn Jahre alten Hilal Ercan im Jahr 1999.