Hamburg. Rotterdam und Antwerpen nehmen Hamburg immer mehr Ladung weg. Experten bemängeln fehlendes Konzept und Querelen.
In wenigen Tagen wird die Marketingorganisation des Hamburger Hafens ihren Bericht für das abgelaufene Jahr präsentieren. Und sie wird sich natürlich bemühen, die Entwicklung ins positive Licht zu rücken. Doch das dürfte ihr diesmal besonders schwerfallen. Denn die Probleme des Hamburger Hafens sind groß. Die Marketingexperten werden verkünden müssen, dass das vergangene Jahr in Bezug auf das Wachstum ein verlorenes für Hamburg war. Der Hafenumschlag wird bestenfalls sein Niveau knapp gehalten haben. Experten gehen sogar davon aus, dass Hamburg 2017 mit einem Minus abgeschlossen hat – denn im vierten Quartal wurden weniger Container gezählt.
Die Bezeichnung „verlorenes Jahr“ bezieht sich vor allen auf das Wachstum. Denn qualitativ ist einiges auf den Weg gebracht worden. Die Hafenverwaltung Hamburg Port Authority hat die Rethebrücke fertiggestellt und eröffnet, den Bau der Kattwyk-Bahnbrücke sowie weiterer Infrastrukturprojekte vorangetrieben und insgesamt den digitalen Wandel des Hafens angeschoben. Die HHLA hat den Weitertransport von Gütern per Bahn ausgeweitet und die Terminalmodernisierung vorangetrieben. Doch was bringt es am Ende, den Hafen flott und modern zu machen, wenn die Ladung fehlt?
Hamburg profitiert nicht vom Ladungswachstum
Wie groß die Hamburger Misere ist, zeigt ein Vergleich mit den schärfsten ausländischen Konkurrenten Rotterdam und Antwerpen. Während der Containerumschlag dieser beiden Häfen seit drei Jahren deutlich wächst, stagniert er in Hamburg. Das weltweite Ladungsaufkommen wächst insgesamt, aber Hamburg profitiert davon im Gegensatz zu seinen Wettbewerbern nicht, sondern verliert Marktanteile (siehe Grafik). Besonders gravierend zeigt sich die Diskrepanz beim direkten Vergleich mit Antwerpen. Lange Zeit war der Hamburger Hafen vor den Belgiern Europas zweitgrößter Umschlagplatz für Containerladung. Doch im Jahr 2015, als der Seegüterumschlag an der Elbe aufgrund der Russland-Krise und des geringeren Wirtschaftswachstums in China einbrach, zog der Schelde-Hafen an der Hansestadt vorbei und entfernt sich seitdem immer weiter von Hamburg.
„Die Gründe für den Rückgang sind vielfältig“, sagt Jan Ninnemann, Gründer und Geschäftsführer der Beratungsfirma Hanseatic Transport Consultancy und Logistik-Professor an der Hamburg School of Business Administration (HSBA). „Ein wesentlicher Grund ist, dass Hamburg im Moment die große Story fehlt“, glaubt er. Rotterdam habe mit dem neuen Hafengebiet Maasvlakte II den Anspruch erhoben, der dominierende Hafen in Europa zu bleiben, und gestalte entsprechend aggressiv seine Preispolitik. Die zweitgrößte Reederei der Welt MSC sei dabei, Antwerpen zu ihrem Hauptumschlaghafen auszubauen. „Und was hat Hamburg?“, fragt Ninnemann. „Vor allem Probleme. Fahrrinnenanpassung, Hafenschlick, Köhlbrandbrücke, um nur einige zu nennen. Es fehlt die Erfolgsformel. Hamburg gilt unter den Reedern derzeit als bürokratisch, kompliziert und teuer“, lautet seine Antwort. Das zeige sich auch in der Außendarstellung: „Der Unternehmensverband Hafen Hamburg schießt gegen die Hamburg Port Authority. Jeder schießt gegen jeden, anstatt dass gemeinsam versucht wird, eine Aufbruchstimmung zu erzeugen. Zudem fehlt eine straffe politische Führung“, kritisiert der Seehafenexperte.
Elbvertiefung wird weltweit wahrgenommen
Natürlich wird die Entwicklung des Hamburger Hafens vor allem durch die fehlende Elbvertiefung gehemmt. Da sind sich alle Experten einig. „Die schnelle Realisierung der Elbvertiefung ist ein wesentlicher Punkt“, sagt etwa Claus Brandt, maritimer Experte und Leiter der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) in Hamburg. „Die öffentliche Diskussion zu dem Projekt – das Hin und Her darüber – wird weltweit wahrgenommen. Das merken wir bei vielen Gesprächen mit Kunden, egal wo sie ihren Sitz haben.“ Dabei spiele auch Psychologie eine Rolle: „Wenn es nicht bald eine positive Entscheidung gibt, dann gilt der Hamburger Hafen bei den Kunden als nicht mehr attraktiv“, so Brandt.
Jeder Tag ohne eine juristische Entscheidung über die Fahrrinnenanpassung sei für den Standort nachteilig. Die Verlader prüften permanent Alternativen, um ihre Ladung nach Europa zu bringen. „Hamburg lebt derzeit von seinem großen Vorteil, dass 40 Prozent der Ladung für den lokalen Raum bestimmt ist, weil hier so viel verarbeitende Industrie sitzt.“ Weder Bremerhaven noch Wilhelmshaven könnten mit einem derart hohen regionalen Anteil punkten, meint Brandt. „Doch bleibt die Hafenzufahrt so schwierig wie bisher, dann nehmen die Überlegungen zu, ob es nicht besser wäre die Ladung zum Beispiel mit dem Zug aus Rotterdam in den Norden zu bringen – oder per Lkw aus Wilhelmshaven.“
Schiffe im Hamburger Hafen werden immer größer
Was Brandt meint, verdeutlichen andere Zahlen: Der Hafen ist nicht nur davon abhängig, dass die Kunden möglichst viel Ladung nach Hamburg buchen, sondern auch davon, welche Schiffe für den Transport eingesetzt werden. Und hier hat die Entwicklung eine für Hamburg ungünstige Wendung genommen. Vor allem im starken Asien-Europa-Verkehr haben die eingesetzten Schiffe Größen erreicht, mit denen schon im nicht beladenen Zustand die Einfahrt in den Hamburger Hafen eine nautische Herausforderung ist. Selbst bei Hochwasser können sie aufgrund ihres Tiefgangs nur teilbeladen die Hansestadt erreichen. Hamburgs Problem ist, dass der Anteil der riesigen Schiffe wächst, derjenige der kleineren aber zugleich sinkt.
Was also ist zu tun, damit Hamburg den Anschluss an Rotterdam und Antwerpen wiederherstellt? „Wir brauchen dringend einen neuen Hafenentwicklungsplan“, sagt Logistikprofessor Ninnemann. Allein schon bei den Prognosen zur Umschlagentwicklung ist der derzeit gültige Plan völlig überholt. Der neue Plan muss konsequent auf die Frage abzielen, wie wir mehr lokale Ladung an Hamburg binden können – und er muss Antworten geben, wie die großen, frei gewordenen Flächen auf Steinwerder genutzt werden sollen.“ Ninnemann hat auch einen Lösungsansatz parat: „Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, hat Hamburg richtigerweise auf Technologie und Innovation gesetzt. Die Koordination des Schiffsverkehrs und Automatisierung beim Umschlag und der Abwicklung der Hafenverkehre werden immer wichtiger. Diesen Weg muss Hamburg fortsetzen. Da waren einige Konkurrenten zu halbherzig.“
Hafenschlick erfordert langfristiges Konzept
Auch der Chef der Hamburg Port Authority, Jens Meier, arbeitet an einer Verbesserung der Situation. „Wir benötigen ein langfristiges Entsorgungskonzept für den Hafenschlick. Daran wird gearbeitet. Und wir treiben den Infrastrukturausbau voran, planen derzeit mit Hochdruck eine neue Köhlbrandquerung. Und wir müssen uns bei der Ansiedelung neuer Unternehmen fragen, was von der Wertschöpfung her am meisten Wirkung entfaltet. Da ist uns schon vieles gelungen“, zählt Meier auf.
Schließlich kommt Hamburg auch beim Thema Elbvertiefung voran: In der kommenden Woche wird die Wirtschaftsbehörde die überarbeiteten Pläne einreichen, in denen die Mängel aufgearbeitet wurden, die das Bundesverwaltungsgericht aufgelistet hatte. Noch 2018 sollen die Bagger beginnen. „Ich will mich nach dem jetzt erreichten Stand festlegen, dass wir im Jahr 2018 – abhängig von den weiteren Dingen – beginnen“, so Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch. Für den Hafen wäre dies eine gute Nachricht – im Wettbewerb mit Rotterdam und Antwerpen.